Glamour essen Seele auf
Es geht schließlich um ein ehemaliges deutsches Staatsoberhaupt, das bisher jüngste und dasjenige mit der kürzesten Amtszeit wegen des durch staatsanwaltliche Ermittlungen erzwungenen Rücktritts. Schon seit dem hat Christian Wulff keine gute Presse. Dass jetzt nach dem Verlust von Amt und Ansehen auch noch die Partnerschaft mit der zweiten Ehefrau zerbricht, überrascht diejenigen nicht, die sich den Tort antaten, das autobiographisch gemeinte Buch "Jenseits des Protokolls" von Bettina Wulff auch nur ein wenig genauer durchzublättern. Schon dort waren die Distanzierungen von ihrem Mann unübersehbar. Aber auch das ist noch Privatsache.
Wunderbare Inszenierung
Doch da ist noch etwas anderes passiert: Christian Wulff und seine Frau Bettina haben von Anfang an – noch vor ihrer Heirat schon – die Nähe der Medien gesucht. Sie haben sich äußerst kommunikativ und auch im Privaten sehr offenherzig gegeben. Das hat viele generös auch über die Scheidung des Katholiken Wulff von seiner ersten Ehefrau hinwegsehen lassen. Wie wunderbar passte doch dieses Bild einer modernen Patchwork-Familie – drei Kinder aus drei Verbindungen – in den öffentlichen mainstream: die moderne Gesellschaft war im Präsidenten-Palais angekommen.
Und dann die berückenden Bilder, zumal diejenigen von der Reise in die Golfregion im Dezember 2011: Szenen wie aus Tausendundeinernacht. Was wohl nur wenige damals sehen konnten oder wollten: das war alles Inszenierung. Inszenierung für den Boulevard. Menschen, zumal solche, denen es nicht so gut geht, möchten gern träumen, am liebsten soap operas. Die Wulffs waren willige Traumspender.
„Die Massenmedien können nur zwei Dinge gebrauchen: Rosa Matsch oder bad news.“
Die Medien profitierten davon. In dem Augenblick aber, da der Verdacht aufkam, da könnten auch private materielle Vorteile im Spiel sein, setzte prompt der Neidfaktor ein. Dann wurde gewühlt und gewühlt – und es kamen viele im Grunde triviale, aber im letzten doch unappetitliche Dinge zutage, die kleinen Vorteilsnahmen eben so nebenher, die aber ganz und gar nicht zum Amt und seiner strahlenden Repräsentanz passten, sondern eher zu einem unreifen Typen, der es nie verwunden hat, aus kleinsten Verhältnissen zu stammen.
Gestolpert über eine Illusion
Doch die Lawine war losgetreten. Zuerst wurde unter ihr Christian Wulff begraben, jetzt auch seine zweite Ehe. Sie hat diese Last nicht ausgehalten. Die Wulffs haben die Eigengesetzlichkeit der Medien grandios unterschätzt. Sie meinten, steuern zu können, was über sie berichtet wird. Was für eine Illusion! Wer den Medien freiwillig den kleinen Finger hinhält, muss aufpassen, dass er nicht kannibalisiert wird.
Die Massenmedien können nur zwei Dinge gebrauchen: Rosa Matsch oder bad news. Und die – die bad news – sind für die Medien die good news, weil sie sich endlos ausschlachten lassen. Vermutlich mochte sich Bettina Wulff dieser Logik nicht mehr unterwerfen, weil die Gratifikation für die Inszenierungen nicht mehr entrichtet wurde, nachdem die Geschäftsgrundlage dafür – das Staatsamt ihres Mannes – entfallen war. Und Christian Wulff muss sich schlichtweg neu erfinden.
Sie waren nicht sie selbst
Beides hat damit zu tun, dass ihr wie ihm Eines fehlte: authentisch sie und er zu sein, wie sie wirklich sind. Solches Authentisch-Sein hat nach meiner langjährigen Erfahrung in der Seelsorge einen so einfachen wie fundamentalen Grund: Es steht und fällt damit, dass ein Mensch anerkennen kann, dass das Grundwort seines Lebens – mit dem Apostel Paulus gesprochen - nicht heißt: "Du musst", sondern "Du bist".
Der Kirchenvater Augustinus hat das in einem seiner Bibelkommentare aufgegriffen und sinngemäß geschrieben: Jemandem sagen "Ich liebe Dich", heißt ihm/ihr sagen: "Ich will, dass Du bist" oder anders: "Ich lasse Dich sein". So wie es aussieht, sind die Wulffs bis dahin nicht durchgedrungen. Das Inszenieren hat all ihre Kräfte absorbiert. Gegen die beschämende Häme in den Leser-Zuschriften der meisten Online-Publikationen wünsche ich den beiden, sie möchten eines Tages noch in die Nähe von Paulus und Augustinus finden.
Von Klaus Müller