Kardinal Ouellet in Missbrauchs-Sammelklage beschuldigt
Medienberichten zufolge ist der kanadische Kurienkardinal Marc Ouellet unter den Beschuldigten in einer Klage gegen das Erzbistum Quebec wegen Übergriffen. Wie die kanadische Rundfunkgesellschaft "CBC/Radio-Canada" am Dienstag berichtete, soll der ehemalige Quebecer Erzbischof (2002-2010) in den Jahren 2008 bis 2010 einer Praktikantin gegenüber körperlich übergriffig geworden sein. Dem Vatikan sind die Vorwürfe laut dem Bericht seit 2021 bekannt. Der Sammelklage hätten sich über 100 Betroffene angeschlossen, beschuldigt werden 88 Kleriker. Die meisten der mutmaßlichen Taten sollen in den 1950er- und 1960er-Jahren stattgefunden haben. Ouellet ist den Angaben zufolge der prominenteste unter den Beschuldigten.
Gegenüber CBC sagte die Betroffene, die Ouellet Übergriffe vorwirft, dass er sie bei öffentlichen Veranstaltungen angefasst habe. "Er hat mich gepackt und dann ... seine Hände auf meinem Rücken, sie gingen ziemlich tief runter. Ziemlich aufdringlich für jemanden, der mein Vorgesetzter ist, der Erzbischof von Quebec", sagte die als "F" bezeichnete Frau in der CBC-Investigativsendung "Enquete". Der Kardinal habe ihr gesagt, dass er sie auf die Wange küssen könnte, schließlich sehe er sie schon zum zweiten Mal in dieser Woche, "und es kann ja nicht schaden, sich ein wenig zu verwöhnen". Bei anderen Gelegenheiten habe Ouellet die Frau gegen ihren Willen umarmt, ihre Schultern massiert oder sie heftig am Rücken gestreichelt. Die Betroffene habe sich daraufhin immer mehr zurückgezogen und Veranstaltungen mit dem Kardinal gemieden. Gegenüber CBC wollte sich die Erzdiözese Quebec nicht zu den Vorwürfen äußern.
Vatikan ermittelt seit 2021
Laut der Klageschrift wirft die Betroffene dem Erzbistum vor, dass ihr Unbehagen nicht ernst genommen worden sei, als sie es gegenüber Kollegen geäußert habe. Das Verhalten des Kardinals wurde damit entschuldigt, dass der Kardinal ein "warmherziger Mann" und sie nicht die einzige Frau sei, dem es so mit ihm gehe. Ein anonym bleibender Priester der Erzdiözese sagte gegenüber CBC, dass es Gerüchte über das Verhalten Ouellets gegeben habe. Laut der Klageschrift habe sich "F" zehn Jahre nach den Vorfällen an die Aufarbeitungskommission der Erzdiözese gewandt.
2021 ging den Angaben zufolge eine Beschwerde beim Vatikan ein, wo Ouellet seit 2010 als Präfekt der Bischofskongregation arbeitet. Die Betroffene sei seither einmal angehört, aber nicht über den Fortschritt des Verfahrens informiert worden. Mit der Aufklärung soll der belgische Jesuit Jacques Servais betraut sein, ein ehemaliger Mitarbeiter der Glaubenskongregation. Servais leitet das römische Studienhaus "Casa Balthasar", das von der "Lubac-Balthasar-Speyr Association" getragen wird, einer Initiative einer Gruppe von Schülern und Freunden der Theologen Henri de Lubac und Hans Urs von Balthasar, zu denen auch Ouellet gehört. Expertise im Bereich Aufarbeitung sexualisierter Gewalt oder eine kirchenrechtliche Qualifikation sind von dem 73-jährigen Servais nicht bekannt.
Ouellet ist seit 2010 Präfekt des jetzigen Bischofsdikasteriums und Mitglied der Priestergemeinschaft der Sulpizianer. Nach Lehraufträgen in Dogmatik, zuletzt an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom, ernannte ihn Papst Johannes Paul II. 2001 zum Sekretär des Päpstlichen Rates für die Förderung der Einheit der Christen. 2002 wurde er Erzbischof von Quebec und 2003 zum Kardinal erhoben. Papst Benedikt XVI. holte Ouellet 2010 als Kardinalpräfekt zurück an die Kurie. Als Leiter des Bischofsdikasteriums, das unter anderem für die Auswahl von Bischofskandidaten zuständig ist, ist Ouellet einer der einflussreichsten Kardinäle an der Kurie. Der 78-jährige galt zeitweise als aussichtsreicher Kandidat für eine Papstwahl. In jüngster Zeit wurde erwartet, dass er im Zuge der Umsetzung der Kurienreform an der Spitze des Bischofsdikasteriums bald abgelöst werde. (fxn)