Standpunkt

Auch die Kirchen müssen anti-marktwirtschaftliche Affekte hinterfragen

Veröffentlicht am 23.08.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ In der Vergangenheit haben die Kirchen immer wieder gegen Freihandelsabkommen Stellung bezogen. Angesichts der dramatisch veränderten Weltlage sollten auch sie alte anti-marktwirtschaftliche Affekte dringend hinterfragen, meint Volker Resing.

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind gerade in Kanada unterwegs. In den Gesprächen soll es um die Folgen des russisch-ukrainischen Kriegs gehen und wie Wirtschaftsbeziehungen vor allem im Energiesektor ausgebaut werden können. "Das Land verfügt über ähnliche reiche Bodenschätze wie Russland – mit dem Unterschied, dass es eine verlässliche Demokratie ist", sagt der Kanzler. Diese irgendwie oberlehrerhafte Erkenntnis kommt reichlich spät. Dass Kanada ein befreundeter Verbündeter ist, wissen wir seit mindestens 75 Jahren. Es ist schon erstaunlich, wie vergesslich die politische Öffentlichkeit bisweilen ist.

Vor fünf Jahren tobten in Deutschland Proteste und Demonstrationen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA, die die Wirtschaftsbeziehungen mit den USA und Kanada erleichtern sollten. "Bei TTIP und CETA werden erkämpfte Bürgerrechte in den Verhandlungstopf geworfen als wären sie Autoblinker, Wurst oder Käse", wetterte Habeck damals. Nun sind die lauten Gegner von einst an der Regierung und ein Krieg tobt im Osten Europas – und plötzlich hat das Bundeskabinett ohne große Aufregung endlich die Ratifizierung von CETA beschlossen. Die Gastgeber in Montreal und Toronto wird es freuen, verzweifelten sie doch zuletzt an den unschlüssigen Deutschen.

Die Kirchen und viele kirchliche Hilfsorganisationen und Verbände waren vor fünf Jahren in gewohnter Weise auf der Seite der Skeptiker. Zwar sei man nicht gegen den Freihandel, so damals Kardinal Reinhard Marx, aber es müsse "ein faires Handelssystem" geschaffen werden, "als Teil einer Globalen Sozialen Marktwirtschaft". Und Essens Bischof Franz-Josef Overbeck forderte, die Abkommen müssten zu fairen Bedingungen auf dem Weltmarkt beitragen und für Dritt- und Entwicklungsländer offen sein.

Und wieso warnt jetzt keiner mehr vor CETA? Sind alle klüger geworden? Als die deutsche Politik sich in die große Abhängigkeit zu Russland begeben hat, gab es keine Großdemonstrationen. Auch unsere Handelspolitik gegenüber China findet wenig Beachtung. Was die Politik jetzt verstanden hat, müssen die Kirchen noch nachholen. Der alte anti-westliche und anti-marktwirtschaftliche Affekt in vielen sozialethischen Debatten sollte hinterfragt werden. Wo stehen die Kirchen heute angesichts der dramatischen Weltlage? Darauf braucht es neue Antworten!

Von Volker Resing

Der Autor

Volker Resing leitet das Ressort "Berliner Republik" beim Magazin "Cicero".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.