Historischer Rücktritt vor über 700 Jahren kein Thema bei Predigt

Besuch in L'Aquila: Franziskus deutet Erbe von Coelestin V. neu

Veröffentlicht am 28.08.2022 um 13:59 Uhr – Lesedauer: 

L'Aquila ‐ Am Sonntag reiste Papst Franziskus nach L'Aquila – die Stadt, die bei einem Erdbeben 2009 stark zerstört wurde und in der sich das Grab des einst zurückgetretenen Papstes Coelestin V. befindet. Dessen Erbe versuchte Franziskus neu zu deuten.

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Bei seinem zunächst von Rücktrittsgerüchten begleiteten Besuch in L'Aquila hat Papst Franziskus das Erbe von Papst Coelestin V. neu gedeutet. Coelestin (um 1209-1296) habe der Kirche die Erkenntnis hinterlassen, dass der Mensch allein mit dem Geschenk der Vergebung glücklich leben könne, erklärte Franziskus am Sonntag bei einer Messe auf dem Platz vor der "Heiligen Pforte" in dem Abruzzen-Ort L'Aquila. Auf Coelestins historischen Rücktritt als Papst vor mehr als 700 Jahren ging Franziskus in seiner Predigt mit keinem Wort ein.

In der Basilika Santa Maria di Collemaggio hatte Coelestin V. im Jahr 1294 einen vollständigen Sündenablass für alle Pilger eingeführt, die am 28. und 29. August nach einer Beichte durch die Heilige Pforte dieser Kirche gehen. Im Jahr 1300 wurde diese Idee von seinem Nachfolger Bonifatius VIII. bei der Erfindung des "Heiligen Jahres" aufgegriffen. Dieses wird in der katholischen Kirche bis heute regelmäßig gefeiert und ist mit einem Sündenablass für die Pilger verbunden.

"Hauptstadt der Vergebung"

Papst Franziskus betonte in seiner Predigt, die Barmherzigkeit verschaffe dem von eigenen Verfehlungen gebeugten Menschen die Erfahrung, wieder angenommen, gestärkt, geheilt und ermutigt zu werden. "Die Vergebung ist hier und jetzt die Erfahrung, die uns am nächsten an das heranführt, was Auferstehung ist", erklärte der Papst. Die Vergebung führe vom Tod zum Leben, von der Erfahrung der Angst und der Schuld zur Freiheit und zur Freude.

Deshalb solle die Kirche Santa Maria di Collemaggio mit ihrer Heiligen Pforte "für immer ein Ort der Versöhnung und der Gnade sein". Die Stadt L'Aquila solle die "Hauptstadt der Vergebung, des Friedens und der Versöhnung" werden, sagte Franziskus.

Papst Franziskus und Giuseppe Petrocchi
Bild: ©KNA/Vatican Media/Romano Siciliani

Papst Franziskus und Kardinal Giuseppe Petrocchi tragen Bauhelme, während sie den vom Erdbeben 2009 beschädigten Dom in L'Aquila besichtigen.

Der nach den Feierlichkeiten mit den neuen Kardinälen in Rom vom Vortag sichtlich erschöpfte Papst überließ die Feier der Messe dem örtlichen Erzbischof, Kardinal Giuseppe Petrocchi. In seiner Predigt verriet der Papst, dass der Landeanflug im Hubschrauber am Sonntagmorgen problematisch gewesen sei. Erst nach mehreren vergeblichen Runden habe der Pilot eine Lücke im dichten Nebel gefunden und diese mit großem Geschick zur Landung genutzt.

In seiner mehrfach von Applaus unterbrochenen Dankesrede an den Papst am Ende der Messe nannte Kardinal Petrocchi Franziskus einen wahren Vater (Papa), der den leidgeprüften Bewohnern der Abruzzen seine väterliche Liebe geschenkt habe.

Keine Geste wie einst Benedikt XVI.

Nach der Messe öffnete der Papst symbolisch für zwei Tage die Heilige Pforte der Basilika. Anschließend wurde er im Rollstuhl zum Grabmal von Coelestin V. gefahren, wo er lange im Gebet verharrte. Sein Vorgänger Benedikt XVI. hatte bei einem ähnlichen Besuch an dieser Stelle im Jahr 2009 seine erzbischöfliche Stola abgelegt, was später als Andeutung seines 2013 erfolgten Rücktritts gedeutet wurde. Eine vergleichbare Geste war beim Besuch von Papst Franziskus am Sonntag nicht zu beobachten.

Am Morgen hatte der Papst den Überlebenden des Erdbebens von 2009 Respekt und Mut zugesprochen. Bei einer Begegnung mit einem kurzen Gebet auf dem Domplatz sagte er vor mehreren tausend Menschen, Worte alleine könnten nach dem tragischen Verlust von mehr als 300 Menschen nicht wirklich trösten, dazu brauche es menschliche Nähe und Geschwisterlichkeit. Den Bürgern bescheinigte er Widerstandsfähigkeit und feste Verwurzelung in ihren christlichen und staatsbürgerlichen Tugenden für den Wiederaufbau. Nun gehe es darum, auch den geistigen, kulturellen und kirchlichen Wiederaufbau gemeinsam zu schaffen. (KNA)