Beer: Wer nur eigenen Weg für richtig hält, ist nicht mehr katholisch
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2019 hatte der Münchner Generalvikar Peter Beer große Karriereperspektiven in der Kirche, bis er gesagt hat: Das ist nichts für mich. Heute unterrichtet Beer ohne Priesterkragen an der Universität Gregoriana und stellt sich große Fragen zur Zukunft der Kirche. Ist Bedeutungsverlust etwas schlechtes? Hätten wir uns als Institution nicht schon viel früher hinterfragen müssen? Sind Reformideen wie der Synodale Weg und die Weltsynode die wahre Antwort auf die Probleme der Kirche? Antworten darauf gibt Beer im Interview.
Frage: Missbrauch, Austritte, Säkularisierung: Da kann man doch mit Recht fragen: Hat die Kirche überhaupt eine Zukunft? Kann die Religionsgemeinschaft katholische Kirche in Deutschland mehr sein, als nur noch Mangelverwalter?
Beer: Das kann schon alles so sein. Solche Entwicklungen kann es geben. Es hat auch in der Kirchengeschichte in Regionen immer solche Entwicklungen gegeben. Denken Sie an Nordafrika, das vor fast 1500 Jahren sicherlich christlicher war, als es jetzt ist. Vergessen wir auch nicht: jeder Weihbischof ist Titularbischof eines untergegangenen Bistums. Und wie sich die Strukturen entwickeln, weiß ich nicht. Ich bin kein Wahrsager.
Aber eines bleibt, davon bin ich fest überzeugt. Die christliche Botschaft ist eine tolle Botschaft. Das, wovon wir als Glaubende überzeugt sind, dass diese Welt nicht in den engen Grenzen des Mess- und Zählbaren bleibt. Dass es dahinter noch irgendetwas geben muss, dieses angerührt sein, dieses bewegt sein davon, dass das nicht alles sein kann, das hat es immer gegeben und das wird es meiner Meinung nach auch immer geben. Wie immer sich das dann auch ausformt. Und es wird immer Menschen geben, die sich zusammenfinden, um genau diesen Fragen nachzugehen.
Da fängt für mich schon Kirche an, weil damit die Offenheit da ist, dass dieser Geist Gottes wirken kann, von dem man ja sagt, er weht, wo er will. Vielleicht will er jetzt nicht, vielleicht weht er jetzt momentan nicht bei uns. Damit sollte man rechnen.
Es könnte aber auch sein, dass er eigentlich will, aber wir ihn draußen halten; weil wir uns zu sehr an Altem, Überkommenem, nicht mehr Verständlichem zu sehr festhalten, weil wir uns nicht bewegen wollen und nur noch jammern, dass Gewohntes in einer sich immer schneller ändernden Welt an ein Ende kommt. Hier finde ich einen Gedanken des Soziologen Welzer interessant. Er sagt, uns fehlt in unserer Gesellschaft eine Kultur des Aufhörens. Und ich glaube, das fehlt auch in unserer Kirche. Es fehlt das entspannte Aufhören mit etwas, das vielleicht früher mal gepasst hat, aber jetzt seine Funktion, seine Bedeutung und Wichtigkeit verloren hat. Wer mit etwas aufhören kann, der muss auch keinen Mangel verwalten. Wer aufhören kann, der kann auch mit etwas anderem neu beginnen.
Ein ganz einfaches Beispiel: natürlich ist es verständlich, darüber traurig sein, wenn Kirchen, die früher im Gottesdienst voll waren, jetzt so gut wie nicht mehr besucht werden, natürlich ist es möglich mit enormen Ressourcenaufwand das Gebäude letztendlich dann als liturgische Leerstelle aufrechtzuerhalten und zu klagen, dass niemand in den Gottesdienst kommt. Aber wäre es nicht sinnvoller, das Kirchengebäude umzunutzen, daraus vielleicht ein Stadtteilzentrum zu machen, in dem sich Menschen begegnen können, Jugendliche einen Platz haben, es einen Ort zum Beten gibt genauso wie eine Teestube und soziale Beratungsstellen? Es wäre eine andere, neue Präsenz der Kirche vor Ort, aber wahrscheinlich keine schlechtere als bisher.
Frage: Was macht das mit uns als glaubenden Menschen? Wenn man sich fast schon rechtfertigen muss, hinterfragen lassen muss, überzeugt katholisch zu sein.
Beer: Also mal hinterfragen ist doch immer gut. Sich selbst fragen und sich vergewissern, wo entwickelt sich was hin? Sind wir noch in der Spur oder sind wir irgendwie in den Graben gefahren? Die berühmte Frage ist doch: Bin jetzt ich der Geisterfahrer oder die anderen? Solche Fragen sind doch wichtig und sie sind richtig.
Ich glaube, das kann nur dazu beitragen, die Gottesbeziehung zu vertiefen und aus dieser Gottesbeziehung heraus dann auch neu Gemeinschaft zu leben. Ich glaube, dass das an sich etwas Gutes ist und davon auch die Zukunftsfähigkeit überhaupt abhängt. Wenn wir sagen, es muss jetzt alles so bleiben, dann ist die Zukunft schon vorbei.
Und noch ein Gedanke zu dem Thema, das in unseren Tagen nicht übergangen werden kann. Wäre es nicht besser gewesen, wenn die Kirche, wenn wir alle als Glaubensgemeinschaft, nicht schon viel früher viel mehr hinterfragt worden wären?
Wenn wir gefragt worden wären, was macht ihr hier eigentlich? Und macht ihr das, was ihr macht richtig? Passt das, was ihr sagt, dass ihr macht, wirklich zu dem, was tatsächlich passiert? Vielleicht hätten solche Fragen, wenn sie nachdrücklich genug an uns selbst von uns selbst und von anderen gestellt worden wären, zu einer früheren und schnelleren Auseinandersetzung mit dem Thema Missbrauch geführt.
Frage: Der Gegensatz von Tradition und Zukunft ist eigentlich ja auch was Künstliches. Die traditionelle Kirche, die sich viele zurückwünschen, gibt es ja auch erst seit dem 19. Jahrhundert in dieser Form.
Beer: Es gibt den eingängigen Satz: Zukunft braucht Herkunft. Keiner kommt aus dem luftleeren Raum. Nur wird es nie eine geradlinige Entwicklung sein. Das würde ja die Hybris bedeuten, dass wir genau wissen, wo es hingeht, und dass wir auch Gott unterstellen, dass er genau weiß, dass wir wissen, wo es hingeht, und er muss sich dann nach uns orientieren. Das kann es ja nicht sein.
Ich glaube, Herkunft und Tradition sind wichtig, und dann wird es Entwicklungen geben. Aber ich glaube nicht, dass das dieser gerade Bachlauf ist, der einfach nur so schnurgerade vor sich hinplätschert, sondern da wird sich auch mal etwas aufstauen, da wird was versickern und da wird sich etwas den Weg durch Hindernisse durchbrechen. Das macht Lebendigkeit aus.
Frage: Dann sollte man also im Moment die Veränderung auch nicht unbedingt nur als etwas Negatives betrachten?
Beer: Auf keinen Fall. Wir Glaubenden sollten eigentlich die Veränderungs- oder die Wandlungsspezialisten sein. Wandlung ist jeden Sonntag in der heiligen Messe so wichtig, eigentlich der Kern. Aber das ist doch nicht nur etwas, was sich vorne auf dem Altar abspielt nach dem Motto, das wars und ich gehe raus und mache so weiter wie gewohnt.
Es geht doch darum, diese Wandlung in die Welt hinauszutragen oder mit Wandlungen zu rechnen, dass Gott ins Leben einbricht und dass wir dann positiv diese Wandlung sehen als Anruf und als Aufruf, uns mit dieser Wandlung positiv auseinanderzusetzen. Wichtige Gottesbegegnungsgeschichten in der Bibel passieren auf dem Weg – und nicht eingesperrt zu Hause auf dem Sofa. Da wird nichts passieren.
Frage: Das klingt alles optimistisch, positiv und hoffnungsvoll, aber auch relativ theoretisch. Wenn wir uns die Praxis anschauen, dann haben es ja die Menschen, die die Kirche verändern wollen und auf die Zeichen der Zeit achten wollen, nicht unbedingt einfach. Jede angestrebte Reform, ob es der Synodale Weg in Deutschland ist oder die Weltsynode von Papst Franziskus, trifft ja auf massiven Widerstand. Kann sich so ein Gebilde mit 1,3 Milliarden Menschen überhaupt verändern? Es wirkt ja alles ziemlich festgefahren.
Beer: Das kann man sicherlich so sehen. Aber machen wir uns doch nichts vor, als würde man 1,3 Milliarden Menschen kontrollieren können und wissen, wo genau wann was passiert. Als ob man alles verhindern könnte, was zu Veränderung aufruft. Entschuldigung, aber das ist auch theoretisch.
Wenn man mit offenen Augen durch die Diözesen geht, ob das hier ist oder in anderen Ländern, da passiert viel, wo Leute einfach etwas machen. Da finden die theoretischen Auseinandersetzungen statt, aber vieles passiert einfach und durch diese faktischen Veränderungen verändert sich nachhaltig langfristig auch etwas. Denken sie nur mal an die kürzlich an die Öffentlichkeit getretene Initiative "#OutinChurch". Hier ist etwas passiert, was vor einiger Zeit noch als absolut unvorstellbar galt. Kirchliche Mitarbeitende, Priester und Laien haben sich als homosexuell geoutet und der Caritas-Vizepräsident spricht vom Rückenwind für die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts, den diese Bewegung mit ihrer Initiative bedeutet.
Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, sich auch theoretisch lehrmäßig in Diskussionen zu begeben und Strukturen zu verändern. Da rede ich überhaupt nicht dagegen und will da auch gar nichts kleinreden. Das ist ein sehr ehrenwerter Streit, der da geführt wird. Aber wenn Sie mich als Mensch persönlich fragen: Ich bin diese Streitereien leid, ich bin müde davon. Manchmal muss man einfach das tun, was man meint, das richtig ist. Und dann schauen wir mal, was passiert.
„Wir alle sitzen im selben Boot. Aber wenn alle auf der gleichen Seite sitzen, gehen wir unter.“
Frage: Da sagen andere, wir müssen nur wieder fromm sein, wir müssen nur wieder richtig glauben, dann wird alles gut.
Beer: Dann sollen sie das tun und dann werden wir schon sehen, ob das der große angekündigte Game-Changer ist.
Frage: Das heißt, man kann auch leben und leben lassen?
Beer: Das müsste eigentlich so sein. Wenn Gruppierungen egal welcher Couleur immer meinen, nur ihr Weg ist der Richtige, dann sind die, glaube ich, nicht mehr katholisch. Dann exkommunizieren sie sich selbst aus einer Gemeinschaft, die von Anfang an plural ist.
Wenn Sie die Apostelgeschichte lesen, wenn Sie die Paulusbriefe lesen: Was haben die sich gezofft! Oder die unterschiedlichen Auffassungen: Wer gehört jetzt dazu und was für Speisevorschriften muss ich jetzt erfüllen? Da sind ja jetzt unsere Diskussionen fast schon zahm dagegen.
Nochmal, ich glaube, manchmal muss man einfach was tun, wenn es durch Reden nicht weitergeht. Da braucht es Solidarität zwischen Gleichgesinnten und Fairness gegenüber denen, die eine andere Meinung haben. Wenn immer nur einzelne etwas sagen und die anderen erst abwarten, wie sich die ganze Sache entwickelt, dann kann man sich ganz schön die Finger verbrennen und dann wird das nichts. Und es wird auch Nichts, wenn Sachfragen immer gleich persönlich werden und es nicht drauf ankommt, etwas zu klären, sondern die anderen schlechtzumachen. Schwester Philippa Rath hat es erst vor kurzem in Bezug auf den Synodalen Weg schön auf den Punkt gebracht: unterschiedliche Gruppierungen sollten Ängste und Sorgen offen eingestehen, gemeinsam darüber sprechen und eine neue Kultur des Hörens und Verstehens schaffen.
Im Laufe meines Lebens musste ich immer mehr lernen, dass Einheit nicht als Uniformität verstanden werden kann. Das merke ich jetzt auch bei den Studenten, die ich an der Gregoriana in Rom unterrichte, die aus ganz unterschiedlichen kulturellen Kontexten Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas kommen und da ganz unterschiedliche Vorstellungen haben. Manchmal stelle ich mir dann schon die Frage, ob das jetzt noch katholisch ist? Umgekehrt fragen die sich wahrscheinlich, ob ich noch katholisch bin. Aber das ist ja okay, da kann man ja voneinander lernen. Vielleicht wäre es besser, nicht immer zu sagen, was der andere nicht kann und was der nicht glaubt, sondern mal zu fragen, was man denn davon lernen kann oder was berechtigte Anfragen sind und wo der oder die andere recht hat.
In dem Zusammenhang fällt mir immer wieder der Spruch ein: wir alle sitzen im selben Boot. Aber wenn alle auf der gleichen Seite sitzen, gehen wir unter.