Zentralrat der Juden warnt Christen vor Antijudaismus
Mit einem Appell gegen Judenfeindlichkeit hat am Mittwoch in Karlsruhe die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) begonnen. Besorgt über eine mögliche israelfeindliche Positionierung des Weltkirchenrats äußerte sich Barbara Traub vom Zentralrat der Juden in Deutschland in einem Grußwort an die Versammlung. Israel sei die einzige Demokratie und der einzige Rechtsstaat im Nahen Osten, betonte Traub, die auch Vorstandsvorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRWG) ist.
"Für uns Juden ist Israel zugleich der zentrale religiöse und kulturelle Bezugspunkt und viele haben enge familiäre Verbindungen nach Israel", fügte sie hinzu. An die Vollversammlung appellierte sie: "Fallen Sie nicht in alte, antijüdische Muster zurück. In Fragen des Antijudaismus muss Haltung gezeigt werden und Ihr klares 'Nein!' auch Konsequenzen in Ihrem Handeln haben!" Die anglikanische Kirche von Südafrika will eine sehr israelkritische Resolution zur Beratung und Abstimmung in die Vollversammlung einbringen. Der Entwurf wirft Israel Unterdrückung der Palästinenser sowie Menschenrechtsverletzungen vor. Zudem bezeichnet der Text Israel als "Apartheid-Staat".
Traub sagte in ihrem Grußwort, über den Umweg der Israelkritik spüre sie als Jüdin stärker und stärker Ausgrenzung statt Versöhnung. Sie erwarte, dass die dem ÖRK angehörenden Kirchen "von diesem Treffen eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung aussenden, statt Vorbehalte gegen Israel und das jüdische Volk zu schüren". Der christliche Antijudaismus habe Jahrhunderte lang durch Ausgrenzung und Schuldzuweisung das Verhältnis zu den Juden geprägt. "Das darf sich nicht – in welcher Form auch immer – fortsetzen oder wiederholen", so die IRGW-Vorsitzende. Die Vollversammlung dürfe nicht zu einer Plattform für Ausgrenzung und einseitige Schuldzuweisungen gegen Juden werden.
Generalsekretär Sauca ging auf Israel-Kritik ein
ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca ging in seinem Bericht an die Vollversammlung auf die unterschiedlichen Erwartungen an den Weltkirchenrat mit Blick auf die Haltung zu Israel und Palästina ein. Die ÖRK-Mitgliedskirchen in der Region hätten sich mit Blick auf "Apartheid"-Etikettierungen Israels und die Boykott-Bewegung BDS "sehr zurückhaltend und nuanciert" geäußert. Er empfehle, so Sauca, "dass wir ihren Stimmen und Bitten folgen".
Weiter prägten Aufrufe zum Umweltschutz und zum Frieden in der Ukraine die Vollversammlung des ÖRK. Sauca bezeichnete den Krieg als "klaffende Wunde in unserer Welt von heute". Zugleich verteidigte er das Nein der Versammlung zu einem Ausschluss der russisch-orthodoxen Kirche aus dem Kirchenrat wegen ihrer Unterstützung des Kriegs.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übte in seinem Grußwort heftige Kritik an der russisch-orthodoxen Kirche. Ihre Führer lenkten ihre Gläubigen und ihre ganze Kirche "auf einen schlimmen, ja geradezu glaubensfeindlichen und blasphemischen Irrweg". Mit Blick auf die Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche in Karlsruhe sagte Steinmeier, ihre Anwesenheit sei in diesen Zeiten keine Selbstverständlichkeit. "Dass ihnen die Wahrheit über diesen brutalen Krieg und Kritik an der Rolle ihrer Kirchenführung nicht erspart bleiben wird, das erwarte ich von dieser Versammlung", fügte er hinzu.
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Auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne), kritisierte in seinem Grußwort den Moskauer Patriarchen Kyrill I., der sich von Präsident Wladimir Putin von seinen "Karren spannen" lasse. Es sei für ihn unfassbar, so Kretschmann, wie der Patriarch den brutalen Krieg religiös auflade und zu rechtfertigen versuche. An der Vollversammlung nimmt auch eine Gruppe von Vertretern der Kirchen und Religionsgemeinschaften aus der Ukraine teil.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sagte mit Blick auf das Leitwort der Vollversammlung, "Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt", die Liebe Christi sei keine Gefühlsduselei, sondern eine Praxis. "Liebe duldet keinen Angriffskrieg. Dem widerspricht sie. Wenn es Versöhnung und Einheit geben soll, dann nicht ohne diese Wahrheit", so die westfälische Präses.
Der Prior von Taize, Frere Alois Löser, sagte, er erhoffe sich von dem Treffen des Weltkirchenrats starke Impulse für den Weg zur Einheit der christlichen Kirchen. "Wir sind auf dem Papier und in der Theologie in vielen Fragen schon sehr nah beieinander, aber im kirchlichen Leben vor Ort ist das zu oft noch nicht wirklich angekommen", so Löser am Rande der ÖRK-Versammlung zur Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Zudem beobachte er bei einer Vielzahl von jungen Menschen zwar ein großes spirituelles Interesse – und gleichzeitig eine kirchliche Entfremdung.
Bätzing: "Nicht in der Spaltung liegt die Zukunft"
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, sagte, die ÖRK-Vollversammlung mache Mut, den Dialog der verschiedenen Kirchen und christlichen Gemeinschaften zu verstärken. Er freue sich auf die internationalen Begegnungen in Karlsruhe. Bätzing warnte zugleich vor einer weiteren gesellschaftlichen Spaltung. "Leider Gottes haben wir auch in der Kirche die Erfahrung gemacht, dass es von Anfang an Tendenzen gibt, sich zu spalten, eher Unterschiede zu betonen statt zu einen." Es sei aber klar: "Nicht in der Spaltung liegt die Zukunft, sondern in der Einigung."
Der DBK-Vorsitzende zeigte sich überzeugt, die katholische Kirche könne auf ihrem Weg zu mehr "Synodalität" – also bei einer breiteren Beteiligung der Basis bei der Gestaltung kirchlichen Lebens – vom ökumenischen Dialog lernen. "Da hilft ein Blick nach links und rechts", so der Bischof.
Die Vollversammlung des ÖRK findet auf gemeinsame Einladung der EKD, der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, der Union der Protestantischen Kirchen von Elsass und Lothringen und der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz in Karlsruhe statt. Zu der neuntägigen Versammlung kommen mehr als 4.000 Christinnen und Christen aus rund 120 Ländern zusammen. (rom/KNA)