Bochumer Pastoraltheologe plädiert für Mut zum Risiko

Sellmann: Auf den Synodalen Weg kann die Kirche stolz sein

Veröffentlicht am 03.09.2022 um 10:39 Uhr – Lesedauer: 
Debatte

Bochum ‐ Kommende Woche steht die nächste Vollversammlung des Synodalen Wegs an. Immer mit schwingt die Kritik an dem Prozess. Der Bochumer Pastoraltheologe Matthias Sellmann beschreibt verschiedene Vermeidungsstrategien und hält dagegen.

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Ich bin Vertreter der Praktischen Theologie. Mich interessiert generell, wie erwachsene selbstbestimmte Menschen Herausforderungen annehmen und wie sie gemeinsam gute Lösungen finden. Speziell forsche ich danach, wie so etwas in Kirche geht.

Gerade aus dieser praktischen Sicht begrüße ich den Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland. Denn dieser Prozess vermeidet in auffälliger Weise all jene Verschleppungsmanöver, mit denen sich Kirche auf allen Ebenen sonst gerne vor unbequemen Entscheidungen herumdrückt. Man kann klar erkennen: Die, die gerne vor Entscheidungen zurückschrecken, sind auch die, die den Synodalen Weg attackieren und delegitimieren.

Dabei greifen vier Varianten der Risikovermeidung: Da sind die einen – meistens sehr gelehrte Personen, meistens aus der Dogmatik und dem Kirchenrecht – die ihre geballte Intellektualität mit viel Distinktion darauf verwenden, von außen "So nicht" zu rufen. Das war’s. Eigene Lösungsvorschläge legen sie nicht vor.

Vertagen und abgeben

Da sind die zweiten, die inhaltliche Konflikte scheuen und es ungeistlich oder unkatholisch finden, wenn man parlamentsähnliche Abstimmungen und Verfahren braucht, um weiterzukommen. Manche halten das sogar für 'evangelischen Stil', mit dem man nicht verwechselt werden wolle. Diesen Personen kommt es entgegen, wenn alle Entscheidungsrechte an die Bischöfe abgegeben werden dürfen.  

Eine dritte Variante liebt zeitliche Vertagungen. Da noch nicht alles überlegt sei (obwohl eine Menge Zeit war) und nur die großen Linien feststünden, müsse man alles noch einmal in die Gremien zurückverweisen. Sicher sei sicher. Die Kirche solle in Ewigkeiten denken. Immer schön gemächlich. Brennende Häuser kann man auch morgen löschen.

Blick eine Rolltreppe hinauf auf einen Aufsteller mit dem Logo des Synodalen Weges
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

Der Synodale Weg läuft seit 2019.

Die vierte Variante verschiebt örtlich. Die Dinge müssten von wem anders entschieden werden, zum Beispiel von Rom, da müsse man eben warten. Schließlich habe der Papst ja die Weltkirche zum Überlegen eingeladen. Vor Ort könne man gar nichts entscheiden.

Verantwortung erkennt man am Mut zum Risiko

Zu solchen Zauder-Strategien kann man nur sagen: Die wenigsten Tore schießen die, die sich gar nicht an den Elfmeterpunkt trauen. Verantwortung erkennt man am Mut zum Risiko, nicht am dauernden Bekennen und Umkreisen von Problemen. Wären die vier Varianten am Hebel, hätte die Kirche in Deutschland bis heute viel lamentiert, aber gar nichts Verbindliches auf die Beine gestellt. Das kann niemand wollen. Wer Fehler gemacht hat, muss sie auch beheben: und zwar konkret (gegen Variante 1), verbindlich (gegen Variante 2), fristgerecht (gegen Variante 3) und hierzulande (gegen Variante 4).

Themenseite: Der Synodale Weg der Kirche in Deutschland

Bei der Frühjahrs-Vollversammlung der deutschen Bischöfe in Lingen wurde 2019 der Synodale Weg beschlossen. Gemeinsam mit allen Gläubigen wollen sie Reformen anstoßen. Die Themen: Machtmissbrauch, Sexualmoral, Zölibat und die Rolle der Frau.

Zusammen mit so vielen Personen, die auf Lösungen warten, bin ich dankbar dafür, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Synodalversammlung bisher robust genug waren, sich von den vier Nicht-Entscheidungs-Varianten nicht verunsichern zu lassen. Bisher erweisen sich die Laien, Priester, Ordensleute und Bischöfe als erfreulich resistent. Bisher belohnt die Geschäftsordnung und das gemeinsame Beraten in 'Antragsgrün' die, die sich der Mühe stellen – und nicht die, die sich verweigern und weglaufen. Die Betroffenen von Machtmissbrauch erkennen an, dass in der Lösung der systemischen Ursachen die katholische Kirche in Deutschland ihre Verantwortung für das eigene Versagen erkennbar wahrnimmt. Und das tun sie, obwohl sie die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle oder die Anerkennung des erlittenen Leids weiterhin als völlig insuffizient bewerten.

Der Synodale Weg ist ein Projekt der gesamten katholischen Kirche in Deutschland, auf das sie stolz sein kann. Auch Rom könnte froh über eine Ortskirche sein, die das Wort 'Synode' endlich mit 'Handeln' und 'Entscheiden' verknüpft. Ohne einen entschlossen agierenden und risikobereiten Synodalen Weg wird man das Vertrauen in die Organisation auf lange Zeit nicht wieder herstellen können. Mit ihm aber schon.

Darum heißt es jetzt, vor der Vierten Synodalversammlung: Kurs halten, Synodaler Weg; jetzt nicht am Steuerrad wackeln!

Von Matthias Sellmann