Die Synodalversammlung hat den Super-GAU abgewendet
Der Schockzustand vieler Synodaler, der sich in manchen Tränen und emotionalen Worten nach der gescheiterten Abstimmung über den Grundtext zur Sexualmoral gezeigt hatte, war auch am zweiten Tag der vierten Synodalversammlung noch deutlich spür- und hörbar. Ein Erdbeben wie am Vortag soll und darf sich auf keinen Fall wiederholen – das war eine häufig artikulierte Forderung. Denn eine Ablehnung eines weiteren wichtigen Texts hätte der Reformprozess vermutlich nicht überlebt. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, deutete bei einem Pressegespräch an, dass viele Laien an einem gewissen Punkt nicht mehr bereit sein würden, am Reformprozess mitzuwirken. Nun stand der Grundtext zu Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche auf dem Programm – Ausgang der Abstimmung mehr als ungewiss.
Doch der befürchtete Super-GAU konnte vorläufig abgewendet werden: Der Text, der dem Wunsch nach einer Zulassung von Frauen zu Weiheämtern Nachdruck verleiht und den Papst bittet, entsprechende Reformideen auf Weltebene zu prüfen, erreichte das notwendige Quorum der Stimmen, auch bei den Bischöfen. Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses machte sich unter den Synodalen, gerade bei den Nicht-Bischöfen, große Erleichterung breit: Es gab langanhaltenden Jubel und Applaus. Bischof Franz-Josef Bode, einer der Leiter des für den Text zuständigen Forums, sprach von einem "historischen Schritt". Co-Vorsitzende Dorothea Sattler ergänzte, es sei das erste Mal, dass eine nationale Bischofskonferenz zugestimmt habe, die Argumente für den Ausschluss von Frauen von den Weiheämtern überprüfen zu lassen.
Einige Register gezogen
Doch bis es zu diesem Ergebnis kam, war es ein langer Weg, bei dem einige Register gezogen wurden. Am Mittag sprach Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), unter dem Eindruck vom Vortag von einer Krise, die durch die Abstimmung entstanden sei. Das Problem sei dabei in erster Linie nicht, dass der Text nicht angenommen wurde. Eine Krise sei es deshalb, weil viele bischöfliche Kritiker des Textes offenbar nicht im Vorfeld erkennbar gewesen seien, da sie sich an den Instrumenten des Synodalen Wegs, etwa Hearings, Foren und Abstimmungsanträgen, nicht beteiligt hätten. Stetter-Karp warf einem Teil der Bischöfe mangelnde Mitarbeit sowie Dialogverweigerung vor und kritisierte die "heimlichen Blockierer". Bei einer Aussprache am Vormittag hatten viele Synodale gefordert, dass die Bischöfe bei den Generaldebatten vor den Abstimmungen Gesicht zeigen sollten.
Das taten sie auch. Viele Bischöfe meldeten sich bei der leidenschaftlich, aber fair geführten Diskussion zu Wort und betonten, trotz ihrer Probleme mit dem Grundtext viel gelernt zu haben, auch wenn sie dem Text als Ganzes nicht zustimmen konnten. Trotz aller Kritik gebe es viel an den Texten der Synodalforen wertzuschätzen. Andere Oberhirten hingegen erklärten, warum sie den Text für zustimmungswürdig halten. Bei der Debatte war sicher hilfreich, dass die Redezeit der einzelnen Synodalen verlängert wurden, damit eine tatsächliche Aussprache und ein Austausch der Argumente besser gelingen konnten. Statt zuvor eine durfte nun zwei Minuten gesprochen werden. Doch gleichzeitig wurde deutlich, dass die Annahme des Textes auf der Kippe stand. Ein Antrag auf dritte Lesung bei der nächsten Vollversammlung wurde abgelehnt.
Bätzing bat daraufhin um eine Unterbrechung der Sitzung und seine bischöflichen Mitbrüder zu einer internen Beratung. Im Anschluss daran brachten sie einen Änderungsantrag ein, der vermutlich die Wende brachte: Der Abschnitt aus dem Text, in dem es um eine Überprüfung der Verbindlichkeit von "Ordinatio sacerdotalis" – dem Schreiben, mit dem Papst Johannes Paul II. in den Augen vieler die die Frage nach der Priesterweihe von Frauen endgültig klärte -, wurde an den Anfang gesetzt, gewissermaßen als Präambel des Textes. Anschließend kam er mit deutlicher Mehrheit durch die Abstimmung – vielleicht auch, weil dieses Mal nicht anonym, sondern namentlich abgestimmt wurde.
Zwei Handlungstexte ohne beschlossenen Grundtext
Die Sorge, dass das zarte Pflänzchen des Aufschwungs nach der Abstimmung über den Grundtext zum Thema Frauen in der Kirche bei der zu zwei Handlungstexten aus dem Forum zur Sexualmoral wieder zertreten werde könnte, erfüllte sich nicht. Am Abend stimmten die Synodalen zum einen für ein Papier, das dem Papst eine lehramtliche Präzisierung und Neubewertung der Homosexualität, die diese nicht länger als Sünde qualifiziert, und eine Änderung der entsprechenden Stellen im Katechismus vorschlägt. Zum anderen beschlossen sie einen Text zur Grundordnung des kirchlichen Dienstes: Diese soll so geändert werden, dass die persönliche Lebensführung der Mitarbeiter in Bereich der Sexualität und Partnerschaft keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen mehr hat. In dieser Frage war in den vergangenen Monaten durch die Initiative "#OutInChurch" vieles in Bewegung geraten. Der Verband der Deutschen Diözesen arbeitet bereits an einer Änderung der Grundordnung – das Papier des Synodalen Wegs soll diesem Prozess Rückenwind verleihen. Auch vor der Abstimmung über diese Texte griff Bätzing zu dem Kniff, die Bischöfe zu einem internen Gespräch zu bitten.
Doch wie soll man damit umgehen, dass der Grundtext dieses Forums tags zuvor gescheitert ist? Bischof Bätzing zeigte sich einerseits schwer enttäuscht, andererseits aber auch kämpferisch. Er kündigte an, die deutschen Bischöfe würden den Text auf der Ebene der Weltkirche einbringen. Man werde ihn zum Ad-limina-Besuch bei Papst Franziskus im November mitnehmen sowie bei den Vorbereitungen zur kontinentalen Phase des weltweiten synodalen Prozesses einspielen. Außerdem würden sich die Bischöfe bei ihrer kommenden Herbstvollversammlung mit dem Text auseinandersetzen und nach einer gemeinsamen Positionierung suchen. Gleichzeitig kündigte Bätzing an, den Text in seinem Bistum Limburg den Gremien vorzulegen, um ihn trotz allem "Wirklichkeit werden zu lassen". Andere Bischöfe hätten angedeutet, in ihren Bistümern ähnlich verfahren zu wollen, so der DBK-Vorsitzende.
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Am zweiten Tag der Vollversammlung wurde erneut deutlich, was Bischof Bätzing bereits im Blick auf das gescheiterte Votum zum Sexualmoral-Grundtext einräumte: Es gibt unter den deutschen Bischöfen "divergierende Voten in wichtigen Fragen der Theologie und der Weiterentwicklung der Lehre". Auch mehrere Synodale prognostizierten für die Zukunft eine "Kirche der Ungleichzeitigkeiten", in der Bewahrer und Reformer in unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sein werden.
Und noch etwas zeigte sich: Die jetzige Versammlung ist durch die vielen langen Debatten weit davon entfernt, den vorgesehenen Zeitplan einzuhalten. Von den 14 geplanten Texten sind erst vier besprochen. Somit stünden am Samstag, dem letzten Tag des Treffens, noch zehn Texte an. Kaum denkbar, dass diese alle durchgepeitscht werden können. Das würde dem Prozess, der offenbar mehr Zeit braucht als vorher angenommen, auch nicht gerecht. Somit steht die Frage im Raum, ob der Synodale Weg über die bislang anvisierten fünf Vollversammlungen hinaus in die Verlängerung gehen muss.
Ein spontaner Antrag eines Synodalen, noch bis spätnachts zu arbeiten und weitere Texte zu besprechen, wurde von der Versammlung abgelehnt. Nach den bisher turbulenten Tagen brauche es auch einmal Zeit zum Durchatmen, sagte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp. Denn nach einem schwer erkämpften Etappensieg an diesem zweiten Tag stehen am Samstag auf jeden Fall noch einige spannende Debatten samt Abstimmungen an. Ein erneutes Erdbeben ist nicht auszuschließen.