Geschlechtliche Vielfalt: Ein Blick in die jüdische Tradition hilft
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Als auf der vergangenen Vollversammlung des Synodalen Wegs der Handlungstext "Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt" diskutiert wurde, hieß es, er stelle eine 2.000 Jahre alte Theologie in Frage. Ist dem wirklich so? Der jüdischen Tradition darf man unterstellen, die einschlägigen Passagen der Tora, insbesondere Genesis 1,27 ("männlich und weiblich erschuf er sie"), zu kennen. In Mischna (ca. 200 n. Chr.) und Talmud (ca. 500 n. Chr.) aber zeigt sich eine erstaunliche Geschlechtervielfalt: Es gibt Isch und Ischa – Menschen mit eindeutig männlichen oder weiblichen Geschlechtsmerkmalen –, Androgynus – den Menschen mit sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsmerkmalen –, Tumtum – den Menschen mit unklaren oder nicht sichtbaren Geschlechtsmerkmalen – sowie Ay'lonit und Saris – Menschen, denen bei der Geburt das weibliche beziehungsweise männliche Geschlecht zugeordnet worden ist, deren Geschlechtsmerkmale sich aber in der Pubertät nicht weiter ausprägen.
Die jüdische Tradition kennt also sowohl Genesis 1,27 als auch die Tatsache, dass manche Personen in die Aufteilung von männlich und weiblich nicht hineinpassen. Und das bereits im 1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Die Frage ist dann nicht, wie viele Geschlechter es gibt, sondern wozu man die Kategorien "männlich" und "weiblich" benötigt. In der Tora und der jüdischen Tradition dient die Zweigeschlechtlichkeit der Überlieferung geschlechtsspezifischer Pflichten und Rechte: vom Umgang mit Körperflüssigkeiten über liturgische Pflichten bis hin zum Erbrecht. Welchen religiösen und rituellen Geboten nicht-binäre Menschen unterliegen, wird pragmatisch und flexibel debattiert. Im christlichen Kontext hingegen werden die geschlechtsspezifischen Regelungen der Tora weder gehalten noch eingefordert. Daher sollte unbedingt offengelegt werden, welchem anderen Zweck das Beharren auf der ausschließlichen Zweigeschlechtlichkeit dient.
Die Autorin
Dr. Juliane Eckstein ist Theologin und Alttestamentlerin an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen und an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.