Assisi-Pilgerseelsorger Freidel: "Man muss ein bisschen verrückt sein"
Um kurz nach sechs ist es noch still in Assisi. Der steile Weg hoch zur Basilika San Francesco ist menschenleer. Die Pilger schlafen; die Busse für die Tagestouristen stehen noch in den Depots. Doch die Franziskaner sind schon wach. Ein grauer oder schwarzer Habit nach dem anderen huscht zum Morgengebet. Auch Bruder Thomas Freidel. Es sind die letzten ruhigen Minuten des Tages für den gebürtigen Pfälzer.
Der Franziskaner-Minorit ist seit 14 Jahren deutscher Pilgerseelsorger in Assisi, dem Geburtsort des heiligen Franziskus, Namensgeber für den aktuellen Papst. Der beehrt Assisi am Samstag. Rund fünf Millionen Menschen besuchen das umbrische Städtchen jedes Jahr – bei gut 28.000 Einwohnern. Bruder Thomas allein kommt auf 10.000 bis 12.000 persönliche Begegnungen jährlich.
Bis zu vier Führungen pro Tag
Der 54-Jährige ist eine Art deutsch-italienische One-Man-Show in Gemeinschaft. Als einziger deutscher Franziskaner ist er in Assisi Ansprechpartner für die Anliegen deutschsprachiger Besucher – vom Einzelpilger bis zur großen Gruppe. Täglich lande mindestens eine Anfrage in seinem E-Mail-Eingang, erzählt der Ordensmann. Bis zu vier Führungen organisiert und macht er am Tag. Zugleich lebt und betet er mit Mitbrüdern aus aller Welt zusammen.
Eine kleine Gruppe hat sich auch dieses Mal versammelt. Sie wollen sich von Bruder Thomas die Basilika zeigen lassen. Dort, wo der Ordensmann am Morgen in aller Ruhe gebetet hat, herrscht inzwischen reger Betrieb. Zwischen buntbemalten Wänden ist munteres Stimmengewirr zu hören.
Führungen anzubieten und Seelsorger zu sein – das passt für den Minoriten sehr gut zusammen. "Wir sehen die Führungen als Seelsorge-Dienst, als Glaubensverkündigung. Der Kern ist immer das religiöse Fundament", erklärt er. So komme es auch immer wieder zu berührenden Momenten. Etwa wenn die Menschen ihr Leben in den Geschichten der Fresken wiederfänden; wenn sie merkten: Hier geht es um Fragen, die auch sie berühren.
Wenn sich der Franziskaner nicht gerade um Deutsche kümmert, beschäftigt er sich mit seinem zweiten Job: Er ist zugleich Direktor des Basilika-Museums. Kostbare Stücke sind hier ausgestellt, etwa ein winziges Stück aus dem Kreuz Jesu. Oder das Werk "Der heilige Franziskus und die vier Wunder nach seinem Tod"; eine bemalte Holztafel, auf der Franziskus nach seinem Tod gewaschen worden sein soll.
Seit zwei Jahren Museums-Direktor
Wenn Bruder Thomas über die Werke spricht, glänzen seine Augen. "Der 'alte Krempel' hat mich schon immer interessiert", erzählt er. Sein Vater habe in seinem Geburtsort Fußgönheim einen Heimatverein und ein Museum gegründet. "Da war ich familiär vorbelastet", sagt der Ordensmann und lacht. Vor zwei Jahren hat er den Posten als Direktor angetreten.
Nach Assisi kam er 2008 eher zufällig. Nach seiner Diakonenweihe arbeitete er elf Jahre in einer Pfarrei in Kaiserslautern; und hielt Vorträge auch über die Fresken in Assisi. Das Zusammenspiel von Kunst und Verkündigung sei immer eine private Leidenschaft von ihm gewesen, erzählt Bruder Thomas. Italienisch habe er eigentlich nur gelernt, um die Quellen und wissenschaftlichen Arbeiten zum heiligen Franziskus lesen zu können.
Damals sei es für ihn an der Zeit gewesen, etwas Neues zu machen. Zeitgleich sei in Assisi ein Nachfolger für den 80 Jahre alten deutschen Pilgerseelsorger gesucht worden. "Ich habe angeboten, die Aufgabe zu übernehmen, und seitdem bin ich hier", so der Minorit. Zwei Sorten Ordensmänner kämen nach Assisi: Die einen blieben für ein paar Jahre am Ursprungsort des Ordens und gingen ebenso gerne wieder. Bei anderen passe einfach alles. Zu dieser Kategorie gehöre er.
Speziell ist das Leben in Assisi durchaus. Leben die Ordensmänner normalerweise in kleinen Gemeinschaften von etwa fünf Mitbrüdern, sind es hier 55. Sie kommen aus Sambia und Argentinien, von den Philippinen, aus Vietnam und Indien. Sprache, Sitten und Gebräuche sind Italienisch.
"Uns laufen sie die Türen ein"
Besonders ist auch: Die Ordensbrüder gehen nicht raus; die Menschen kommen zu ihnen. Manchmal gebe es Monate, da verlasse er Assisi gar nicht, erzählt Bruder Thomas. Das müsse man mögen. Er persönlich sieht es als große Chance. "Überall in der Kirche wird geklagt, dass niemand mehr kommt. Uns laufen sie die Türen ein", so der Bruder.
Assisi zu verlassen, das kann sich der Franziskaner gerade nicht vorstellen. Wenn es jemanden gebe, der die Leidenschaft für seine Aufgaben teilt, würde er dem aber nicht im Wege stehen. Grundsätzlich hält der 54-Jährige nicht viel von übertriebener Planung. Vieles ergebe sich einfach, und das sei gut. "Man muss halt ein bisschen verrückt sein, dann geht's", meint er und lacht.