Himmelklar – Der katholische Podcast

Generaloberin: Sehe keine stichhaltigen Gründe gegen Frauenämter

Veröffentlicht am 28.09.2022 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Veronica Fuhrmann ist die neue Generaloberin der Congregatio Jesu. Im Interview spricht sie über die Rolle von Frauen in der Kirche und sagt, wie Leitung synodal gelebt werden kann. Sie betont jedoch auch den Wert der Tradition.

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In der Zentrale ihres Ordens in Rom wird Schwester Veronica Fuhrmann bald mit einem internationalen Team arbeiten – bestehend nur aus Frauen. Als neue Generaloberin der Congregatio Jesu setzt sie sich für eine synodale Leitungsverantwortung ein, mitten im Klerikalismus der katholischen Kirche. Im Interview erzählt sie vom Umzug nach Rom und Einsätzen in Katastrophengebieten statt einer festen Heimat.

Frage: Neun Jahre werden Sie diese Aufgabe als Generaloberin der Congregatio Jesu (CJ) jetzt machen. Bevor Sie als neue Generaloberin gewählt wurden, wurde tagelang gebetet, beraten und unterschieden – so heißt das bei Ihnen. Wie ging es Ihnen zu der Zeit und mit diesem Gefühl persönlich?

Sr. Veronica: Zunächst ging es mir noch relativ gut, als ich nicht befürchten musste, dass mir irgendetwas passiert. Als ich dann gegen Ende der Unterscheidungsprozesse spürte, dass ich da durchaus eine Denkmöglichkeit für dieses Amt war, ging es mir weniger gut.

Das ist natürlich ein Amt, was sich niemand wünscht und was einem sehr großen Respekt einflößt. Aber es war ein Prozess der Unterscheidung und des Gebetes. Um ganz ehrlich zu sein, ich habe schon gebetet, dass dieser Kelch an mir vorübergeht, aber es war dann nicht so.

Frage: Jetzt sind Sie dennoch die neue Generaloberin geworden. Haben Sie trotzdem Mut, die Aufgabe zu bewältigen?

Sr. Veronica: Ja, ich habe Mut und ich habe auch Hoffnung. Ich habe mein "Ja" gegeben dazu. Ich stelle meine Fähigkeiten zur Verfügung, so gut ich das kann. Ich habe ein gutes Team von Mitarbeiterinnen und wir können nichts anderes tun als versuchen, uns gemeinsam den Herausforderungen innerhalb des Ordens, in der Kirche und der Gesellschaft zu stellen und Schritt für Schritt unseren Weg hin zu unseren Zielen zu gehen.

Von der Erfahrung her, dass sich eigentlich immer wieder zeigt, dass Gott mitwirkt, stützt und sich immer wieder Lösungen auftun und Schritte zeigen, bin ich auch zuversichtlich, dass das so weitergehen wird. Ich verlasse mich natürlich auch sehr auf das Gebet meiner vielen Mitschwestern rund um die Welt, die mir das zugesagt haben.

Frage: Was sind das für Ziele, von denen Sie sprechen?

Sr. Veronica: Wir haben in unserer Generalkongregation jetzt im August/September 2022 Statements festgelegt, die die nächsten Jahre ein Stück beschreiben werden. Da kam zur Sprache, wie wir als Orden unsere Zukunft gestalten möchten, welche apostolischen Intentionen wir haben und welche großen Themen anstehen.

Da ist zum Beispiel das eine große Thema der Vereinigung mit dem Zweig der Loretoschwestern, ein anderer Institutszweig der Maria-Ward-Gründung. Die Wiedervereinigung steht jetzt an, da freuen wir uns alle sehr drauf. Aber da sind noch Schritte zu gehen. Es gab das große Thema Synodalität in Leitungsverantwortung und Gemeinschaftsleben, was uns beschäftigen wird. Es sind die apostolischen Intentionen, die sich ein Stück immer neu zeigen oder verändern im Hören auf das, was unsere Welt und was die Menschen von uns brauchen. Was die Erde von uns braucht, ist das große Thema, Prävention und der Schutz vor Missbrauch jeglicher Art. Das waren große Themen, die uns beschäftigt haben und die wir natürlich jetzt versuchen werden, im Lauf unserer neunjährigen Amtszeit innerhalb der Kongregation ein Stück voranzubringen in den verschiedenen Provinzen.

Frage: Sie sind in der mitteleuropäischen Provinz, das ist die Region von Hannover bis Meran, von Frankfurt bis Budapest. Zu ihr gehören Sie – und alle Ordenshäuser in Deutschland, Österreich, Südtirol und Ungarn. Für wie viele sind Sie denn da verantwortlich?

Sr. Veronica: Die mitteleuropäische Provinz umfasst zurzeit noch 286 Schwestern, davon sind etwa 260 in Deutschland und jeweils kleinere Gruppen in Südtirol, Österreich und Ungarn. Da war ich jetzt in der Mitverantwortung, ich war Provinzassistentin bisher in der Leitung der mitteleuropäischen Provinz und hatte noch spezielle Verantwortung für Ungarn. Das weitet sich jetzt aus: Im Generalat haben wir die weltweite Verantwortung über alle Provinzen mit einer Mitgliederzahl von über 1400 Schwestern insgesamt.

Frage: Was bedeutet Ihnen das? Das sind ja ganz schön viele.

Sr. Veronica: Ja, das ist eine große Anzahl von Schwestern. Es sind verschiedene Provinzen, und ich werde versuchen, im Laufe meiner Amtszeit möglichst die Schwestern kennenzulernen und den Orden besser kennenzulernen, die Provinzen und verschiedenen Kommunitäten zu besuchen, um selbst eine Beziehung aufzubauen. Ich bin aber natürlich auch sehr darauf angewiesen, entsprechend die Informationen in der Zusammenarbeit mit den Provinzleitungen und meinen Assistentinnen zu bekommen.

Frage: Sie arbeiten in der Zentrale des Ordens, also im Generalrat, mit einem international besetzten Leitungsteam zusammen. Das sind auch lauter Frauen um Sie herum. Freuen Sie sich darauf? Was bringt das für Vor- oder auch Nachteile?

Sr. Veronica: Ich freue mich sehr darauf. Ich hatte schon einmal in jüngeren Jahren eine internationale Erfahrung. Ich war schon einmal Mitglied des Generalates und habe erlebt, wie bereichernd, aber natürlich auch herausfordernd interkulturelle Zusammenarbeit ist. Wir haben jetzt wieder ein sehr buntes Leitungsteam mit Schwestern aus Argentinien, aus Indien, aus Korea, aus Italien, aus der Slowakei, aus Rumänien. Es wird sicherlich herausfordernd, aber ich denke, dass wir gerade in der Vielfalt versuchen können, der Diversität unserer Gemeinschaft auch ein Stück Rechnung zu tragen.

Bild: ©picture-alliance/akg-images

Maria Ward (1585-1645) war eine englische Ordensgründerin. Die von ihr gegründete Congregatio Jesu - auch als englische Fräulein bekannt - wurde erst mehr als 50 Jahre nach ihrem Tod anerkannt.

Frage: Sie werden mitten in Rom sitzen, also auch umziehen müssen in nächster Zeit. Freuen Sie sich auf Italien und die neue Heimat?

Sr. Veronica: Ich sehe es relativ neutral. Mir war es eigentlich nie so sehr wichtig, wo ich gelebt habe, sondern Heimat hat sich für mich immer ein Stück weit ergeben aus dem Zusammenleben mit denen, die in der gleichen Gemeinschaft waren. Familiär fällt es mir leicht, weil ich keine Familie mehr habe. Insofern bin ich frei. Und Rom ist mir schon ein Stück weit vertraut aus der ersten Generalatserfahrung. Das ist über 25 Jahre her. Ich komme jetzt nicht ins Unbekannte. Und ich freue mich schon auf den neuen Anfang miteinander.

Frage: Mitten im Klerikalismus in Rom und dem Vatikan – wie wird das, da zu leben und zu arbeiten?

Sr. Veronica: Wir leben Gott sei Dank nicht im Vatikan direkt, also nicht in einer relativ geschlossenen Welt, sondern in einem anderen Stadtteil Roms. Wir werden natürlich mit der Kirche und der Amtskirche viel zu tun haben, das ist richtig. Wir werden mit der weltweiten Kirche zu tun haben. Wir leben auch jetzt nicht so nah dran, dass es keine anderen Einflüsse oder Perspektiven mehr gäbe.

Frage: Wir haben schon im Zusammenhang mit Ihrer Wahl das Wort "unterscheiden" genutzt. Das kommt aus der ignatianischen Spiritualität. Nach der leben Sie als Ordensschwestern der Congregatio Jesu. Es gelten die gleichen Ordensregeln wie bei den Jesuiten. Es geht um ein aktives Leben mitten in der Gesellschaft und Kirche. Ein Ziel ist es, sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. Wie aussichtslos ist das angesichts des Krieges in der Ukraine beispielsweise?

Sr. Veronica: Vom rein menschlichen Standpunkt her betrachtet, scheint es im Moment widersinnig zu sein. In dieser gebrochenen Welt gibt es ja nicht nur den Ukraine-Krieg, es gibt ja Kriege überall auf der Welt, die weniger in unseren Schlagzeilen sind. Es scheint zunächst nicht angemessen, da von Hoffnung und Zuversicht zu sprechen, wenn scheinbar alles zusammenbricht.

Trotzdem glaube ich, dass wir ein Stück weit Zeugen und Zeuginnen von Hoffnung und Zuversicht sein können und müssen – aus dem Glauben heraus, dass Gott auch in dieser Welt immer noch wirkt und dass es auch in dieser Zerrissenheit und in den Katastrophen, die sich abspielen, rund um den Globus immer auch noch Momente gibt, wo Heil geschieht und wo Gottes Liebe spürbar und erfahrbar wird. Von daher denke ich, dass wir diese Perspektive der Hoffnung und der Zuversicht nicht verlieren dürfen, sondern daran arbeiten müssen, dass sie größer wird und einen Gegenpol bildet zu all dem, was so schrecklich ist.

Frage: Ihr Motto der "universalen Sendung" hat ja auch viel mit Grenzen zu tun: Sie gehen an die Grenzen, um Frieden zu stiften, beispielsweise an die geografischen Grenzen oder die, die man überwinden muss, um sich auf den Weg zu Menschen zu machen. Was wäre ein solcher Ort oder eine Situation, die Sie wirklich herausfordern würde, für die Sie sich vielleicht auch überwinden müssten, um Menschen zu begegnen und um ihnen "die erlösende Liebe Christi zu bringen", wie Sie es formulieren?

Sr. Veronica: Grundsätzlich hätte ich jetzt keinen Ort der Welt, wo ich sagen würde, da würde ich auf keinen Fall hingehen wollen. Ich war immer eher ein Mensch, der sich gewünscht hat, an Brennpunkten arbeiten zu dürfen und sich einsetzen zu dürfen. Das hat nicht immer so funktioniert, wie ich mir das gewünscht habe, aber ich kenne jetzt nicht das Gefühl, dass ich irgendwo auf keinen Fall hin möchte. Ich würde mir auch wünschen, unsere Schwestern wirklich da zu besuchen, wo sie an Brennpunkten arbeiten und ein Stück weit Anteil an deren Leben nehmen zu können.

Frage: Wo werden Sie als Ordensschwestern gebraucht?

Sr. Veronica: Wir werden gebraucht in den unterschiedlichen Gebieten der Erde in unterschiedlichen Bereichen: In der Ukraine sind unsere Schwestern im Moment tätig in der Betreuung der Menschen, die auf der Flucht sind und sehr stark die Hilfe brauchen. In anderen Regionen der Welt ist die pädagogische Arbeit sehr wichtig, gerade auch die Erziehung und Bildung von Mädchen und Frauen.

An anderen Orten sind es mehr soziale Einsätze, die wichtig sind, um Menschen ein Stück weit aus ungerechten Strukturen zu befreien und ihnen Perspektiven zu eröffnen. Es gibt den ganz großen Bereich der spirituellen und pastoralen Arbeit. Das unterscheidet sich sehr, je nach Ort und Zeit.

Frage: Die Erziehung und Bildung von Mädchen und jungen Frauen war ja immer schon auch ein wesentlicher Teil von ihren Aufgaben als Ordensschwestern. Das wird vermutlich weiterhin so bleiben, weil es einfach Teile in der Welt gibt, in denen Mädchen und junge Frauen nach wie vor benachteiligt werden und keine Möglichkeit haben, eine Ausbildung zu bekommen. Wo sind Schulen, die gerade Mädchen fördern, heute relevant?

Sr. Veronica: Wir haben sehr viele Schulen in Asien und vor allen Dingen Indien. Wir haben Schulen in Afrika und in Lateinamerika. In Westeuropa bestehen unsere Schulen weiter, aber nicht mehr in Ordensträgerschaft. Wir mussten aus Mangel an Mitschwestern, die das noch hätten weiterführen können, die Schulen in andere Trägerschaften überführen, aber die Schulen als solche bestehen auch weiter und leisten gute pädagogische Arbeit.

Gerade in Asien sind sie noch sehr relevant. Da werden auch Schulen in allen gesellschaftlichen Ebenen und Schichten geführt von unseren Schwestern.

„Es ist also eine große Familie, innerhalb derer wir als Congregatio Jesu ein Pfeiler sind.“

—  Zitat: Veronica Fuhrmann

Frage: Sie selbst sind auf die Maria Ward-Schule in Mainz gegangen. Mary Ward hatte die Congregatio Jesu 1609 gegründet. Sie sprechen auch von der "Maria Ward-Familie". Was macht diese Familie aus?

Sr. Veronica: Unter der "Maria Ward-Familie" verstehen wir zum einen die Kongregation, also die Congregatio Jesu, aber natürlich alles andere auch, was sich noch darum herum gebildet hat. Wir haben Gefährtinnen, das sind Frauen, die sich in etwas engerer Weise an uns binden, auch ein Versprechen ablegen und mit uns das Charisma teilen, die selbst ein geistliches Leben führen und sich in diesem Charisma jeweils vertiefen und auch mit der CJ zusammenarbeiten.

Wir haben die Maria Ward-Freundeskreise an den verschiedenen Institutionen. Das ist eine ganz große, wirkliche Familie. Es gibt dann unsere Schwester-Kongregation, die Loretoschwestern, mit der wir uns jetzt wieder vereinigen werden. Es ist also eine große Familie, innerhalb derer wir als Congregatio Jesu ein Pfeiler sind.

Frage: Sie haben schon das Thema Synodalität in Leitungsverantwortung angesprochen. Das ist natürlich auch ganz aktuell Thema des Synodalen Wegs gewesen bei der letzten Synodalversammlung und auch bei denen davor schon. Wie kann man Frauen stärken in der Kirche und in ihren Ämtern? Ich glaube, Sie machen es ganz gut vor, oder?

Sr. Veronica: Wir bemühen uns. Wir bemühen uns gerade auch sehr um einen synodalen Leitungsstil innerhalb unserer eigenen Strukturen – und zwar auf allen Ebenen, angefangen von der Generalleitung bis hinein in die Kommunitäten. Wir versuchen das auf diözesaner Ebene, da wo unsere Schwestern eingebunden sind mit ihren Sendungen und wir versuchen uns in der Kirche, so weit uns das möglich ist, verantwortlich einzubringen und auch teilzunehmen an der Suche danach, wie Zukunft zu gestalten und zu verändern ist.

Frage: Als Ordensschwester haben Sie eine Berufung. Sie sagen selbst, Sie sind berufen dazu und sind ganz glücklich mit diesem Leben, das Sie führen dürfen. Spüren Sie auch eine Berufung zur Priesterin oder können Sie nachvollziehen, wenn Frauen diese Berufung haben und sich ärgern, dass sie das in ihrem Leben vermutlich nicht mehr erreichen werden in der katholischen Kirche?

Sr. Veronica: Nachvollziehen kann ich das sehr gut. Die Frage des Frauenpriestertums oder überhaupt der Ämter für die Frau in der Kirche ist eine brennende Frage, auf die sicher noch keine endgültige Antwort gegeben ist. Es bleibt weiterhin ein Suchprozess und ich kann sehr gut verstehen, dass Frauen in sich diese Berufung spüren und wirklich darunter leiden, nicht zu den Weihen zugelassen zu werden oder bestimmte Ämter nicht übernehmen dürfen. Das ist ein Leid, das einfach da ist.

Frage: Würden Sie sich wünschen, dass das nun geändert wird?

Sr. Veronica: Ich würde mich freuen, wenn wir Schritte in Richtung Veränderungen gehen könnten. Das ist sicherlich nicht ein großer Sprung. Das werden viele kleine Schritte sein. Aber ich würde mir wünschen, dass tatsächlich Schritte gegangen werden.

Frage: Da Sie ja einem Frauenorden angehören und jetzt von Rom aus an der Spitze stehen werden: Welches Argument wäre für Sie das stärkste, um zu sagen, Frauen können das auch?

Sr. Veronica: Ich habe kein Argument zu sagen, warum sie es auch können. Ich stelle die Frage: Warum sollen sie es nicht können? Ich sehe nichts, was dagegen spricht – außer einer langen Tradition.

Ich schätze Tradition. Es ist etwas sehr Wichtiges, aber ich möchte unterscheiden zwischen Traditionen, die sich entwickelt haben, die menschengemacht sind, und dem, was ich glaube, das wirklich von Gott vorgegeben ist. Und ich kann für mich persönlich nicht sehen, dass es so stichhaltige Gründe gäbe, Frauen von Ämtern in der Kirche auszuschließen.

Frage: Was bringt Ihnen – nicht nur in Bezug auf die Frauen in der katholischen Kirche, sondern überhaupt – Hoffnung, Schwester Veronica?

Sr. Veronica: Hoffnung gibt mir immer noch die Erfahrung, dass Gott in unserer Welt auch wirkt und dass in kleinen Bereichen – vielleicht gerade da, wo es weniger in die Schlagzeilen rückt, viel Gutes geschieht, dass relevante Veränderung geschieht.

Es gibt mir einfach die Hoffnung, dass wir da weiter bauen können im Sinne von Sauerteig, tatsächlich unsere Welt an verschiedenen Orten nachhaltig zu verändern. Ich glaube, dass das möglich ist, aber es braucht einen sehr langen Atem und wahrscheinlich auch sehr viel Zeit.

Von Katharina Geiger