Sozialethiker Vogt: Schöpfungsglaube ist auch Handlungsauftrag
Das momentane Zeitalter wird auch als Anthropozän bezeichnet, als das Zeitalter, in dem der Mensch wesentlichen Einfluss auf das gesamte Erdsystem nimmt. Das hat Folgen für das Klima, wie die Dürre in diesem Sommer und die Flutkatastrophe im Ahrtahl im vergangenen Jahr gezeigt haben. Im Interview spricht der Sozialethiker Markus Vogt über die Rolle der Religion im Anthropozän und erklärt, welche Impulse das Christentum für den Klimaschutz geben kann.
Frage: Herr Vogt, unser Zeitalter wird auch als Anthropozän bezeichnet, als ein Zeitalter, in dem der Mensch ganz wesentlichen Einfluss auf das Erdsystem nimmt. Die Folgen davon sehen wir im Klimawandel. Welche Rolle spielt in dieser Zeit die Religion?
Vogt: Wir haben eigentlich genügend technische Lösungen und politische Beschlüsse, um den Klimawandel zu stoppen – und trotzdem kommen wir nicht weiter. Es fehlt an einer tieferliegenden Schicht der Neuorientierung, der Umkehr. Das hat sehr viel mit Religion zu tun. Sie ist so etwas wie die kulturelle Tiefendimension der Transformation, die wir brauchen: Die Idee, uns als Teil der Natur zu denken und zu erkennen, dass die Gaben der Schöpfung auch etwas Unverfügbares haben, das wir achten müssen. Wir brauchen eine neue Vorstellung von Fortschritt und Entwicklung, wir müssen beginnen, Freiheit als verantwortlichen Umgang mit den Grenzen der Natur zu denken. Da geht es um unsere grundlegenden Sinnvorstellungen, um Welt- und Menschenbilder, die zutiefst religiös imprägniert sind. Man muss aber dazu sagen, dass Religion genauso Teil des Problems wie Teil der Lösung ist.
Frage: Inwiefern ist sie Teil des Problems?
Vogt: Um nur ein Beispiel zu nennen: Donald Trump wurde in seiner Klimaleugnung stark von kirchlicher Seite unterstützt. Das waren Freikirchen und konservative Katholiken, die das Problem dadurch lösen wollten, dass sie sagten, es gebe keinen Klimawandel. Da merkt man, wie religiöse Muster vermeintlicher Heilssicherheit dazu genutzt werden können, die Verleugnung der Probleme zu unterstützen. Hier braucht es dringend religiöse Aufklärung. Die wenigsten sagen heute plakativ "Macht euch die Erde untertan", aber die traditionellen Vorstellungen von Fortschritt und Entwicklung stecken tief in den Köpfen von Christinnen und Christen, die dann in verantwortlichen Positionen handeln und die Religion für ihr selbstgezimmertes Weltbild benutzen. Hier müssen die Religionen umdenken und erkennen, dass die Kirchen weltweit, auch in Ländern des Globalen Südens, oft an der Seite der Herrschenden stehen und die ökosozialen Probleme leugnen, um die eigene Existenz zu sichern. Es ist leider so, dass die Kirchen in der tatsächlichen Wahrnehmung von Verantwortung und darin, sich auf die Seite der Leidenden zu stellen, oft sehr inkonsequent sind.
Frage: Wie bestimmt die christliche Theologie das Verhältnis von Mensch und Natur?
Vogt: Da ist die Doppelbotschaft wichtig. Zum einen das Bekannte: Der Mensch ist Ebenbild Gottes. Durch seine Gottfähigkeit ist er herausgehoben aus der Natur und hat eine besondere Würde. Aber wenn man die Bibel genau liest, ist eben diese besondere Würde, der Auftrag "Macht euch die Erde untertan" nur die Hälfte der Botschaft. Der Mensch wird auch als "Erdling" charakterisiert. Adam, der hebräische Begriff für Mensch, heißt eigentlich: Dem Ackerboden zugehörig. Der Mensch ist auch Teil der Natur. Nur, wenn er sich konsequent als Teil der Schöpfung sieht, kann er über seine natürliche Existenz hinauswachsen und eine Beziehung zu Gott aufnehmen. Diese Doppelnatur des Menschen – er ist zugleich gottfähig und erdverbunden, engelsgleich und verstrickt in Schuld und Hybris – prägt die biblische Überlieferung und macht die Dramatik unserer Existenz aus.
Frage: Welche Impulse gibt das Christentum heute für den Klimaschutz?
Vogt: Der wichtigste Impuls ist eine gewisse Bescheidenheit. Es geht darum anzuerkennen, dass wir auch Teil des Problems sind, dass wir zuhören und in einen Dialog treten müssen. Das ist auch das Prägnante in der Umweltenzyklika "Laudato Si": Papst Franziskus hat erstmal zugehört. Er hat Klimawissenschaftler eingeladen, um eine genaue Beschreibung der Problemlage vom Klimawandel als Existenzgefährdung, von der Vermüllung des Planeten und vielen anderen Problemen zu erhalten. Und dann müssen wir den Herrschaftsauftrag der Genesis neu interpretieren. Natürlich müssen wir die Natur beherrschen, wenn sie bedrohlich ist, aber das geht nur, wenn wir auch ihren Eigenwert achten, indem wir die komplexe Dynamik der Veränderungsprozesse, zum Beispiel beim Klimawandel, genauer verstehen lernen. Das erfordert im Grunde eine Transformation des Naturverhältnisses. Da können wir auf eine reiche Tradition zurückblicken. So ist beispielsweise das geschwisterliche Verhältnis des Franz von Assisi zur Natur auch für heute noch sehr anregend.
Frage: Wie kann diese Transformation des Naturverhältnisses aussehen?
Vogt: Das wichtigste ist natürlich, den Klimawandel zu stoppen. Dafür müssen wir sparsamer mit fossilen Energien umgehen und spätestens bis Mitte des Jahrhunderts ganz aussteigen. Deutschland hat beschlossen, bis 2045 aus fossilen Energieträgern auszusteigen, aber manche sagen, dass das schon zu spät ist, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das heißt: wir müssen großen Druck machen. Da brauchen wir auch marktwirtschaftliche Instrumente wie die Besteuerung von CO2 und CO2-Zertifikate. Das unterschätzte zweite große Problem ist Biodiversität. Die Artenvielfalt, das Netz des Lebens, ist schon dabei, an manchen Stellen zu reißen und das ist nicht wieder rückgängig zu machen. Das ist vor allem eine Frage der Landwirtschaft. Wir müssen weniger Pestizide nutzen und das Wasser besser schützen. Wir haben einen großen Bodenverlust, deshalb brauchen wir weniger Versiegelung von Böden und müssen die Wälder schützen, die viel CO2 binden können. Es gibt viele Zusammenhänge zwischen dem Wandel der Landnutzung, der Vernichtung der Wälder und dem Klimawandel. Diese systematischen Probleme müssen wir begreifen.
„Wir haben kein Defizit an großen Worten, sondern an Glaubwürdigkeit.“
Frage: Wo sehen Sie die Kirche in der Pflicht, zu diesen Veränderungen beizutragen?
Vogt: Die Kirche kann sehr viel tun. Sie hat viel Grundeigentum, da kann sie exemplarisch handeln im Bereich der Biodiversität. Einige Diözesen und Klöster versuchen das schon mit entsprechenden Richtlinien, aber das könnte noch konsequenter getan werden. Und: Wir haben kein Defizit an großen Worten, sondern an Glaubwürdigkeit. Der Schöpfungsglaube ist auch ein Handlungsauftrag. Die Kirche hat hier die Aufgabe, aber vielleicht auch die Chance, neu Glaubwürdigkeit zu gewinnen, indem sie ein Akteur wird. Beispielsweise will die EKD bei ihrer Synode im Herbst den Beschluss fassen, schon sehr bald klimaneutral zu werden. Von katholischer Seite aus haben wir auch Beschlüsse, was die Pfarrgemeinden und Bildungseinrichtungen tun können. Wir haben ein Konzept des EMAS, das Eco Management and Audit Scheme, da sind mehr als tausend kirchliche Einrichtungen deutschlandweit beteiligt. Als ökumenisches Projekt ist das der größte Akteur im Non-Profit-Bereich. Gerade jetzt, bei den explodierenden Energiepreisen merken wir, dass es sehr vernünftig ist, sparsamer mit Energie umzugehen. Das muss gut organisiert werden, um sowohl die Umwelt zu schonen als auch Geld zu sparen und global verantwortlich zu handeln.
Frage: Wir sehen in der Gesellschaft eine Polarisierung. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die die Folgen des Klimawandels fürchten und radikale Einschränkungen fordern, auf der anderen Seite fürchten Menschen um ihre Arbeitsplätze und haben durch die Inflation und die Energiepreiskrise ganz andere Sorgen als den Klimaschutz. Wie kann die Kirche da auch Vermittlerin sein?
Vogt: Für die Menschen, die finanziell nicht so gut ausgestattet sind, ist die Energiepreiskrise durchaus ein Existenzproblem. Da braucht es soziale Abfederung und Sicherung. Die Wärmewende darf nicht mit sozialer Kälte einhergehen, sondern wir müssen versuchen, die sozialen Härten gerecht und verantwortlich abzufedern. Das auszuhandeln ist ein schwieriger Prozess. Dass die Bundesregierung großzügig mit Subventionen ist, kann natürlich auch von den Falschen ausgenutzt werden. Manche Unternehmen nutzen die Umbruchsituation, um Preise übermäßig zu erhöhen, und machen sogenannte Übergewinne. Diese Konzerne muss der Staat zur Kasse bitten. Zugleich braucht es einen gewissen Druck, wirklich sparsam mit Energie umzugehen, um die ökologische Transformation zu ermöglichen. Das ist ein schwieriges Gleichgewicht und die Befürchtung besteht, dass das politisch für starke Polemik ausgenutzt wird. Es ist wichtig, mit den Menschen im Gespräch zu bleiben, für soziale Ausgewogenheit zu sorgen und rational die Argumente zu prüfen. Als Diskursteilnehmerin, die alle im Boot hält, ist die Kirche da ein nicht unwichtiger Faktor.
Frage: Wie blicken Sie in die Zukunft?
Vogt: Ich glaube, wenn wir nüchtern sind, dann sind wir bereits im Wirkungsraum der Kipppunkte im Klimabereich. Das heißt, es ist schon zu spät, um noch eine ruhige und katastrophenarme Entwicklung garantieren zu können. Im Globalen Süden merken wir das natürlich verstärkt, dort ereignen sich über 90 Prozent der mit dem Klimawandel verbundenen Katastrophen, aber auch im Ahrtal haben wir das gesehen. Und diese Katastrophen werden sich häufiger ereignen. Ich hoffe, dass unsere Gesellschaft dann bereit ist, sich neu zu orientieren. Am meisten sorge ich mich darum, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Friedensfähigkeit der Gesellschaft erhalten bleiben. Dann kann es auch ein glückliches Leben geben, wenn wir nicht das gleiche Wohlstandniveau haben. Und ich glaube, es gibt viele junge Menschen mit hervorragenden Fähigkeiten, die bereit sind, Probleme anzupacken und Lösungen zu finden.