Erstmals besucht eine Kanzlerin die KZ-Gedenkstätte Dachau

"Furchtbar und unmenschlich"

Veröffentlicht am 21.08.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Politik

Dachau ‐ Der "historische Schritt", wie Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) ihn nannte, fand kurz nach 18.30 Uhr statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) tat diesen auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau. Erstmals war am Dienstagabend eine deutsche Regierungschefin an jenen Ort gekommen, dessen Name als Synonym für Gräueltaten und Tod steht.

  • Teilen:

Bereits im März 1933 hatten die Nationalsozialisten das KZ Dachau, die "Schule der Gewalt", eröffnet. In den zwölf Jahren seines Bestehens waren dort und in den Außenlagern mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Mehr als 43.000 Häftlinge wurden ermordet.

Zwei Biografien

Gleich am Anfang ihrer Rede sprach Merkel von einem "furchtbaren und unmenschlichen Kapitel" der deutschen Geschichte. Dennoch sei es ein "bewegender Moment" für sie, heute hierhergekommen zu sein. Eingeladen hatte die Kanzlerin der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer. Der 93-Jährige war im Rollstuhl gekommen, doch mit Hilfe von Begleitpersonen erhob er sich und ging auf Merkel zu. Ganz persönlich und mit lebendiger Stimme übergab er ihr zwei Bücher - seine Biografien.

Player wird geladen ...
Video: © Nicole Stroth

Zum Holocaust-Gedenktag: Wolfgang Gerstner vom Maximilian-Kolbe-Werk über Erinnern und Mahnen.

Das eine habe er sehr schnell schreiben müssen, weil sein Arzt ihm gesagt habe, an Krebs erkrankt zu sein, erzählte Mannheimer. Das Buch "Drei Leben" sei dann später noch entstanden. Launig fügte er hinzu: "Wir machen keine Werbung." Den vielen anwesenden Fotografen wollte der alte Mann aber doch die Möglichkeit für ein Bild geben und hielt die Titel aufrecht in die Kameras. Seit 1985 gebe es die Bücher: "Ich kann nichts dafür. Sie sind Longseller, keine Bestseller." Kaum war das ausgesprochen, wollte er auch schon wissen: "Und wie geht es jetzt weiter?"

Acht Überlebende begleiten Besuch Merkels

Weiter ging es mit der offiziellen Niederlegung eines in den deutschen Farben gehaltenen Kranzes der Kanzlerin am internationalen Mahnmal. Vier junge Erwachsene, darunter die Enkelin von Mannheimer, begleiteten diesen Akt. Eine Würdigung der vielen Opfer, die ihr Leben gelassen hatten an diesem Ort des Schreckens. Acht Überlebende waren an diesem Tag eigens gekommen. Alle in einem hohen Alter, das man den meisten gar nicht ansieht. Unter ihnen war auch der 89-jährige Jean Samuel mit seiner Frau, eigens angereist aus Frankreich.

Keine Sekunde denkt der adrette Mann nach, als er die Frage gestellt bekommt, wann er ins KZ Dachau eingeliefert wurde: "Es war der 5. Juli 1944." Im Widerstand gegen die Nazis hatte er in Paris mitgeholfen, Pässe zu fälschen. Doch dann schnappte ihn die Gestapo. Mit dem Todeszug von Compiegne kam er an, erst Dachau, dann Verlegung in ein Außenlager, dann wieder Dachau. Als am 29. April 1945 die US-amerikanischen Truppen das Lager befreiten sei dies "der schönste Tag" in seinem Leben gewesen. "Wir haben viel gelitten hier, versucht zu überleben, und ich lebe noch."

SS-Chef Heinrich Himmler bei einem Besuch im KZ Dachau, wo ab 1940 gefangene Geistliche interniert wurden.
Bild: ©Bundesarchiv

SS-Chef Heinrich Himmler bei einem Besuch im KZ Dachau, wo ab 1940 gefangene Geistliche interniert wurden.

"Das Untier ist noch am Leben"

Den Besuch der Kanzlerin nennt er einen "guten Anfang". Warum keiner ihrer Vorgänger bisher dagewesen sei? "Vielleicht hätten sie ja vergessen, was ihre Großväter gemacht haben", mutmaßt Samuel. Wie Mannheimer hat es auch er sich seit Jahren zur Aufgabe gemacht, mit jungen Leuten über das Erlebte zu sprechen. Bei internationalen Jugendbegnungen macht er dies, aber auch in französischen Schulen. Immerhin gebe es auch in Frankreich rechtsextreme Parteien. "Das Untier ist noch am Leben", lautet seine Warnung.

Allen Zeitzeugen, die wie Samuel oder Mannheimer jungen Menschen ihre Erfahrungen schildern, zollte Merkel "aufrichtige Hochachtung". Sie legten Zeugnis ab, um "aus dem Dunkel der Geschichte Brücken in die Gegenwart zu bauen". Sie selbst nahm sich Zeit, um mit den Überlebenden zwei Räume des Museums zu besichtigen. Eine gute Stunde hatte ihr Besuch gedauert. Als Kanzlerin war es ihr erster, als Familienministerin war sie 1992 schon einmal gewesen.

Keine Misstöne mehr

Von Misstönen war hinterher nichts mehr zu hören. Diese hatte es vorab unter anderem von den Grünen im Bundestag gegeben. Ihnen missfiel, dass die Kanzlerin den Besuch in der Gedenkstätte mit einem Wahlkampftermin im Bierzelt verband. Die Spitzenkandidatin der Grünen für den Bayerischen Landtag sah dies möglicherweise anders. Sie gehörte mit der Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, mit zur begleitenden Politikerdelegation.

Von Barbara Just (KNA)

Weitere Informationen

Mehr über das Verhältnis der Kirche zu den Nationalsozialisten lesen Sie im Dossier "Kirche und NS-Staat"