Was die katholische Ehe- und Familienberatung Paaren in der Krise rät
Die Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen im Bistum Dresden-Meißen feiern in diesen Tagen ihr 50-jähriges Bestehen. Sie sind damit die ältesten in Ostdeutschland und sind für jeden offen. Eva-Maria Ritz leitet die Beratungsstelle in Leipzig und ist zugleich Fachreferentin für alle entsprechenden Einrichtungen des Bistums Dresden-Meißen. Im Interview dekliniert sie das Beratungsangebot durch.
Frage: Frau Ritz, wann sollte sich ein Paar bei Beziehungsproblemen Hilfe suchen?
Ritz: Akut wird es, wenn einer der Partner eine Außenbeziehung hat. Oder es zu Gewalt kommt. Aber auch, wenn Sexualität unterschiedlich erfahren wird. Bei Scheidung und Trennung ist externe Beratung oft hilfreich. Auch unterschiedliche Wertevorstellungen können zur Belastung für eine Beziehung werden. Das hat sich in der Corona-Zeit erkennbar verstärkt – wenn etwa die Frage "Impfen oder nicht" zum Streitfall wird oder ein Partner plötzlich zu den "Querdenkern" geht.
Frage: Und wie können Sie dann helfen?
Ritz: Wir machen mit dem Paar zunächst eine Bestandsaufnahme und schauen dann gemeinsam, ob jeder mal die Perspektive wechseln kann. Wenn das gelingt, ist es super. Ich begleite den Prozess mit Fragen. Wichtig ist: Es geht bei alledem nicht darum, wer recht hat, sondern wie man Bindung und Beziehung wieder hinbekommt. Aber es braucht Zeit, manchmal Monate oder Jahre. Manche Paare brauchen zwischendurch auch einfach eine Pause.
Frage: Platt gefragt, wie sind die Erfolgsaussichten, wenn ich mich auf so einen langen Prozess einlasse?
Ritz: Veränderungsarbeit ist Schwerstarbeit. Da zählen oft schon kleine Schritte viel. Da ist es schon ein Erfolg, wenn die Menschen uns sagen: "Das hat uns schon zum Nachdenken gebracht." Oder sie sich dann bewusst Zeit miteinander nehmen, nicht nur über Organisatorisches reden, sondern auch übers Leben, was einen bewegt. Paare brauchen eine gute Erzählkultur miteinander, das ist total wichtig.
Frage: Worauf sollten Paare sonst noch achten?
Ritz: Das Wichtigste und zugleich Schwerste ist, die Unterschiedlichkeit des anderen anzuerkennen, ihn als eigenes Individuum zu respektieren und zu achten. Jeder darf auch Dinge für sich allein machen, in Urlaub fahren etwa. Es ist eine weit verbreitete falsche Vorstellung, dass man als Paar alles zusammen machen muss. Oder dass man immer einer Meinung sein muss, bei Erziehungsfragen zum Beispiel. Dabei geht es genau immer um ein Ringen miteinander.
Frage: Stichwort Kindererziehung. Wann kann man nicht mehr alles unter "anstrengende Phase" oder "Pubertätsgezicke" abbuchen?
Ritz: Wenn es von einem oder mehreren Mitgliedern als große Belastung wahrgenommen wird, die man einfach nicht in den Griff bekommt, die das ganze Gefüge belastet. Familien kommen in den unterschiedlichsten Phasen zu uns. Auch oft bei ungewollter Kinderlosigkeit, oder wenn nur einer von beiden Partnern ein Kind möchte.
Frage: Und was ist, wenn nur ein Elternteil in die Beratung kommen möchte und der andere es ablehnt?
Ritz: Da empfehle ich dann gern, doch vielleicht einen Eltern-Kurs wie "Kess erziehen – weniger Stress, mehr Freude" zu besuchen, die gibt es bundesweit. Bei "Kurs" ist manchmal die Hemmschwelle niedriger, als in eine Beratung zu gehen. Manchmal ist es auch schon hilfreich, wenn eben nur ein Elternteil in die Beratung kommt und sich Tipps holt und die neue Sichtweise dann in die Familie einbringt.
Frage: Sie bieten auch Mehrgenerationen-Beratung an – was verbirgt sich dahinter?
Ritz: Das betrifft das Zusammenleben von unterschiedlichen Generationen auf einem Hof oder in einem Haus. Oder wenn erwachsene Kinder Konflikte mit ihren Eltern haben, etwa wenn diese pflegebedürftig werden oder es Erbstreitigkeiten gibt. Es kommen aber auch Großeltern, die plötzlich ihre Enkelkinder nach einer Trennung der Eltern nicht mehr sehen, weil ein Elternteil das nicht will.
Frage: Die Gesellschaft ist seit einigen Jahren in einer Art Krisenmodus. Inwieweit spielt das in Ihre Arbeit hinein?
Ritz: Beratungsstellen sind Seismografen der Gesellschaft. Konflikte finden natürlich jederzeit statt, aber sie treten in Krisen schneller und stärker zutage. Viele sind gegenwärtig schlicht überfordert mit vielem. Für die wenigsten waren Lockdown und Homeschooling wirklich toll.
Wir merken in der Beratung auch, dass der Ton schärfer wird, uns Verschwörungsmythen unterbreitet werden. Da haben wir uns dann auch umfangreich weitergebildet und setzen im Gespräch klare Grenzen, wenn zum Beispiel die Demokratie oder der Bundeskanzler verunglimpft werden. Das gab es früher nicht. Aber es ist natürlich spannend, wie Menschen in so einer sozial schwierigen Zeit miteinander im Gespräch bleiben können.
Frage: Wie gehe ich denn damit um, wenn jemand aus meiner Familie, meinem Freundeskreis oder der Nachbarschaft plötzlich zum "Querdenker" wird?
Ritz: Das ist ein sehr schwieriges Terrain. Wenn es noch die Möglichkeit gibt, miteinander zu reden, ist es gut, in einer ganz konkreten Situation nachzufragen, etwa: "Was fällt Dir denn so schwer daran, bestimmte Corona-Regeln einzuhalten?" Oder: "Warum hast Du eine neue Meinung bekommen?" Also, sich es erstmal erklären lassen. Meine Erfahrung ist, dass man bei vielen Menschen, die mit sehr pauschalen Urteilen herkommen, mit nachdenklichen Fragen etwas in Bewegung bringen kann und sie dann sagen: "Ach, so hab ich das ja noch gar nicht gesehen." Manches, was im ersten Moment aggressiv klingt, resultiert oftmals aus Unsicherheiten.