Theologe: Ziviler Ungehorsam von Klima-Aktivisten ist legitim
Der Theologe Andreas Lob-Hüdepohl hat angesichts der Protestaktionen der Klimaschutz-Bewegung "Letzte Generation" Verständnis für zivilen Ungehorsam gezeigt. "Ziviler Ungehorsam muss stören. Er muss gewohnte und festgelegte Abläufe durchbrechen, um Wirkung zu erzielen", sagte der in Berlin lehrende Sozialethiker im Interview mit der Zeitschrift "Publik-Forum" am Freitag. Dass sich Aktivisten auf Straßen festklebten, um auf notwendige Schritte zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels hinzuweisen, sei grundsätzlich legitim, so Lob-Hüdepohl. Wichtig für die ethische Bewertung dieser Aktion sei der direkte Zusammenhang zum Klimawandel: "Die Automobilität, der motorisierte Individualverkehr, ist tatsächlich Teil des Problems, das ist völlig unbestritten."
Bei anderen Aktionen von Klima-Aktivisten, wie dem Übergießen von Kunstwerken mit Farbe oder Lebensmitteln, sei die Lage anders, sagte der Theologe weiter. Zwischen der Art des Protests und dem Problem, auf das man aufmerksam machen wolle, bestehe kein direkter Zusammenhang. "Es geht eben hauptsächlich um Publicity. Und damit machen sich die Aktivisten angreifbar." Zudem müsse die Art und Weise des zivilen Ungehorsams in jedem Fall gewaltlos sein, sowohl gegen Sachen als auch besonders gegenüber Menschen. "Neu an den Straßenblockaden ist, dass sie jeden und jede treffen, die zufällig zu diesem Zeitpunkt auf der Autobahn unterwegs sind – und nicht bestimmte Institutionen", so der Sozialethiker.
Reaktionen auf Straßenblockaden seien "oft hysterisch"
Die Reaktionen auf die Straßenblockaden bezeichnete Lob-Hüdepohl als "oft hysterisch". Staus würden Autofahrer in der Regel selbst erzeugen, zudem hätten sie sich dieses Verkehrsmittel selbst ausgesucht – "obwohl es in der Stadt meist Alternativen gibt". Ein Risiko, dass man sich wegen eines Staus oder einer Umleitung verspäte, gehöre in Großstädten zum Verkehr dazu. Gleichzeitig mahnte der Theologe die Aktivisten zur Mäßigung: Klimaschutz sei "sehr, sehr wichtig, aber er steht nicht über dem Rechtsstaat, der die verschiedenen Güter und Rechte der Menschen abwägen muss". Werde dies nicht beachtet, befinde man sich auf dem Weg in eine "Ökodiktatur". Eine lebendige und liberale Demokratie müsse Proteste, wie Straßenblockaden ertragen, da sie sonst erstarre. Lob-Hüdepohl ist Professor für Theologie und Sozialethik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen und Mitglied des Deutschen Ethikrates.
In der vergangenen Woche hatten über hundert katholische Theologen in einem gemeinsamen Aufruf die Bischöfe aufgefordert, sich für eine Wende in der Klimapolitik einzusetzen. Die Kirche solle sich solidarisch mit den Klima-Aktivisten zeigen, die sich gewaltfrei für die Rettung der Schöpfung einsetzten. Initiiert wurde der Appell unter anderem vom Nürnberger Jesuiten Jörg Alt, der in den vergangenen Monaten selbst an Straßenblockaden teilgenommen hatte. (rom)