Volker Kauder: Christen in China schwer unter Druck
Der CDU-Politiker Volker Kauder (73), überzeugter Protestant und langjähriger früherer Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, engagiert sich seit langem für verfolgte Christen in aller Welt. Am Mittwoch hielt er seine Antrittsvorlesung als Honorarprofessor für Politische Ethik und Religionsfreiheit an der Freien Theologischen Hochschule Gießen (FTH) gehalten. Zuvor sprach Kauder im Interview über die aus seiner Sicht dramatische Lage der Christen in China. Zugleich pocht er auch in Europa auf Religionsfreiheit.
Frage: Herr Kauder, wie beurteilen Sie die Situation von Christen in China?
Kauder: Die Christen in China stehen schwer unter Druck. Sie werden beobachtet und in weiten Teilen des Landes angewiesen, ihre Kinder nicht in christliche Kirchen zu schicken.
Frage: Was geschieht, wenn sie es trotzdem tun?
Kauder: Dann werden die Eltern einbestellt und müssen Rechenschaft ablegen, und das hat Konsequenzen. Denn die meisten Familien in China haben noch immer nur ein Kind – aus der Zeit der Ein-Kind-Politik. Und aus dem Kind soll natürlich etwas werden. Da überlegen sich die Eltern schon, ob sie das, was sie glauben und wofür sie auch leben, ihren Kindern zumuten können. Die Christen in China leben in einer ganz schwierigen Situation.
Frage: Kürzlich wurde Staatschef Xi Jinping für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas bestätigt. Die Macht des Regimes scheint inzwischen grenzenlos...
Kauder: Wir sehen eine neue Entwicklung: die Einheit von Nation und ideologischer Überzeugung. Was in anderen Ländern Religion ist, ist in China eben die Ideologie der Kommunistischen Partei. Deswegen heißt es in China auch: die Religionen müssen sinisiert werden. Sie müssen, auch in schriftlichen Unterlagen, so formuliert werden, wie es den Vorstellungen der Kommunistischen Partei entspricht.
Frage: Was bedeutet das für die Christen in China?
Kauder: Schon vor Jahren haben viele Christen ihren Glauben nur im Untergrund und im Verborgenen gelebt. Das wird sich wohl jetzt fortsetzen. Offizielle Besuche bei christlichen Kirchen dürften noch schwerer werden als es früher schon der Fall war.
Frage: Kürzlich wurde das Geheimabkommen zwischen dem Vatikan und China über die Ernennung von Bischöfen erneuert. Es wird kritisiert, dass es das Leben katholischer Christen nicht verbessere. Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, ein Kritiker der vatikanischen China-Politik, steht inzwischen vor Gericht, wegen eines angeblich nicht ordnungsgemäß registrierten Fonds zur Unterstützung von Demokratieaktivisten. Wie beurteilen Sie das Geheimabkommen?
Kauder: Nur so war es der katholischen Kirche möglich, in China noch offiziell in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Das Geheimabkommen ist natürlich ein Kompromiss: Die Kommunistische Partei beruft Bischöfe nach ihren Vorstellungen – und ein Teil der Bischöfe kann von der katholischen Kirche berufen werden. Die Bischöfe, die von der Kommunistischen Partei berufen werden, werden praktisch von der katholischen Kirche anerkannt – und das führt natürlich auch zu Spannungen innerhalb der katholischen Gläubigen. Weil diejenigen, die nicht akzeptieren können, dass der Staat Bischöfe beruft, sich weiter in den Untergrund gedrängt fühlen.
Frage: Menschenrechtsorganisationen beklagen fortwährende massive Menschenrechtsverletzungen Chinas auch an Uiguren, Tibetern und Dissidenten. Müsste die deutsche Politik schärfer reagieren?
Kauder: In der Kanzlerzeit von Angela Merkel war ich immer wieder in China und habe das Thema angesprochen. Das hat den Gesprächspartnern nicht gepasst. Aber viel mehr, als es immer wieder öffentlich zu machen und anzusprechen, können wir nicht tun. Mir ist mehrfach gesagt worden in China: "Die Zeiten ändern sich. Wir haben eigene Vorstellungen von Religion und Menschenrechten. Ihr habt immer geglaubt in Europa, ihr könnt mit euren Vorstellungen auch das bestimmen, was in unserem Land gilt. Das wird jetzt so nicht mehr sein."
Frage: Was droht christlichen Gemeinden in China, die Gottesdienste öffentlich abhalten?
Kauder: Die werden natürlich kontrolliert, ob sie sich an die Vorgaben der Kommunistischen Partei halten. Die Sorge der Kommunistischen Partei ist ja nicht die Religion, sondern – der zweite Teil des Wortes Religionsfreiheit – die Freiheit! Dass Menschen etwas machen, was die Kommunistische Partei nicht will. Und das wird hundertprozentig unterbunden. Es findet hier eine Totalkontrolle statt: Die Menschen müssen am Morgen auf ihrem Smartphone angeben, was sie an dem Tag tun und am Abend berichten, was sie getan haben. Für Christen ist es also nicht ganz einfach, zu bekennen, dass sie beispielsweise an einem Gottesdienst teilgenommen haben.
Frage: Auch in Indien sind bedenkliche Entwicklungen im Gang: Eine kirchliche Delegation aus Deutschland wurde kürzlich aus Indien ausgewiesen - wegen des Vorwurfs, sie hätte missionieren wollen. Ein typisches Beispiel für eine Verschärfung der Lage der Christen auch in Indien?
Kauder: Ja, das ist ein Beispiel dafür. Es gibt seit einiger Zeit in mehreren indischen Bundesstaaten gesetzliche Verbote der Mission – was klar den internationalen Regeln der Uno widerspricht. Auch in Indien stellen wir fest, dass es eine Identität gibt zwischen der Hindu-Religion und der Nation, nach dem Motto: Nur ein Hindu ist ein guter Inder. Das ist für Christen eine schwere Belastung. Das ist deswegen besonders traurig, weil Indien eine Demokratie ist und weil Indien in der Verfassung die Religionsfreiheit gewährleistet hat. Aber Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit fallen da doch sehr auseinander.
Frage: Gibt es in Europa Religionsfreiheit?
Kauder: Ja. Aber wenn wir uns für unsere bedrängten und verfolgten Glaubensgeschwister in der ganzen Welt einsetzen, müssen wir natürlich in unseren europäischen Ländern die Religionsfreiheit auch leben, sonst verlieren wir jede moralische Legitimation. Mit Blick auf Polen bin ich da in Sorge. Dort ist zuletzt sinngemäß formuliert worden: Wenn wir überhaupt Flüchtlinge aufnehmen, dann nur Christen, denn wir sind ein christliches Land. Diese Aussage "Wenn überhaupt, dann nur Christen" ist ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit. In Ungarn wird ähnlich gedacht. Wir müssen also in Europa das Thema Religionsfreiheit deutlicher formulieren. Denn die Religionsfreiheit ist eine Errungenschaft des freien Europas