Kirchenfachrat kommentiert Entwurf umfassend kritisch

Gewerkschaft ver.di sieht Grundordnungsreform als verpasste Chance

Veröffentlicht am 18.11.2022 um 14:09 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Die Bischöfe beraten nächste Woche die neue Grundordnung des kirchlichen Dienstes. Die Gewerkschaft ver.di bezweifelt, dass es überhaupt ein kirchliches Arbeitsrecht braucht – und sieht im Entwurf nur winzige Schritte in die richtige Richtung.

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Der Kirchenfachrat der Gewerkschaft ver.di sieht im Entwurf für die Reform der Grundordnung des kirchlichen Dienstes eine verpasste Chance für eine Reform des katholischen Arbeitsrechts. In einer Stellungnahme monierte der Kirchenfachrat am Donnerstag, dass weiterhin Beschäftigtenrechte kirchlichen und Arbeitgeberinteressen untergeordnet würden und die Mitbestimmungsrechte weiterhin hinter den Standards in nichtkirchlichen Betrieben zurückblieben. Noch habe die katholische Kirche die Chance, eine Grundordnung mit grundlegenden Änderungen zu beschließen, betont die Gewerkschaft. "Bleibt sie weiterhin derart restriktiv hinsichtlich der Beschäftigtenrechte, muss der Gesetzgeber handeln und die verfassungsrechtlichen Schranken enger definieren."

Trotz des Bekenntnisses zu Vielfalt und gegen Diskriminierung, das sich im Grundordnungs-Entwurf findet und sich in einer deutlichen Reduzierung von Loyalitätspflichten der Beschäftigten äußert, sieht ver.di nach wie vor zu hohe Anforderungen an Mitarbeitende gestellt. Zwar würdige die Stellungnahme den Entwurf dahingehend, dass der dort festgelegte Schutz der Intimsphäre und des Privatlebens "lange überfällig und ein wichtiger Fortschritt" sei. Dennoch greife die vorgeschlagene Regelung zu kurz: "Die Anforderungen an Beschäftigte sollten nicht nur 'in erster Linie' das Verhalten im Dienst betreffen, sondern sich ausschließlich auf das Verhalten im Dienst beschränken", betonte die Gewerkschaft. Die im Entwurf formulierte Regelung sei den Beschäftigten gegenüber "anmaßend und ein Zeugnis der paternalistischen und anachronistischen Haltung der Kirchen". Es sei "entlarvend, wenn in einem grundsätzlichen Rahmenwerk zum katholischen Arbeitsrecht niedergeschrieben werden muss, dass Menschen nicht für ihre Sexualität oder ihre private Lebensführung per Kirchenrecht arbeitsrechtlich belangt werden können", so die Stellungnahme weiter. Eine besondere Regelung von Treuepflichten sei ohnehin nicht nötig, da diese auch unter Zugrundelegung des staatlichen Arbeitsrechts als Nebenpflicht des Arbeitsvertrags bestünden.

Auf Unverständnis stößt bei der Gewerkschaft, dass ein Kirchenaustritt nach wie vor arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen soll. An eine höchstpersönliche Entscheidung dürften keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen geknüpft werden, so die Stellungnahme: "Die Loyalität eines/einer Beschäftigten zu ihrem Arbeitgeber, die Arbeitsleistung und -qualität sowie das Engagement in der ausgeübten Tätigkeit hängen nicht von dem schriftlichen Nachweis ab, einer bestimmten Konfession anzugehören und dafür Abgaben abzuführen." Außerdem verkenne die restriktive Regelung die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Es sei fraglich, wie es sich ein katholischer Arbeitgeber angesichts des Fachkräftemangels gerade im Gesundheits- und Sozialwesen leisten könne, von vornherein bestimmte Bewerber auszuschließen, die nicht die Anforderungen der Grundordnung erfüllen.

Grundsätzliche Zweifel an Notwendigkeit eigenen Arbeitsrechts

Grundsätzlich bestreitet ver.di die Notwendigkeit eines eigenen kirchenrechtlichen Rahmens für das Arbeitsrecht: "Kirchliches Arbeitsrecht ist kein Muss, es ist nicht alternativlos", so die Gewerkschaft. Die Grundordnung wird von ihr als Grundlage aufgefasst, "den eigenen Beschäftigten allgemeine, bereits durch Gesetze vorhandene (Grund-)Rechte vorzuenthalten und ihnen nur die Rechte zuzubilligen, die der eigenen kirchlichen Rechtssetzung entspringen und sich regelmäßig dem katholischen Ethos unterzuordnen haben". Die Überarbeitung der Grundordnung stelle eine Chance dar, eine Aushandlung von Tarifverträgen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern zu ermöglichen, wie es in der evangelischen Kirche bereits seit 2013 möglich sei. Dort belege eine Reihe von Beispielen, dass das auch funktioniere.

Mit Blick auf die Mitbestimmung kritisiert der Kirchenfachrat, dass Mitbestimmung auf Unternehmensebene weiterhin nicht vorgesehen sei. Obwohl es im kirchlichen Sozialbereich durch Fusionen zunehmend Unternehmen mit Tausenden von Beschäftigten und Milliardenumsätzen gebe, sei auch weiterhin keine Beteiligung von Arbeitnehmervertretern in Aufsichtsgremien vorgesehen. Zur unternehmerischen Mitbestimmung findet sich im Entwurf der bischöflichen Erläuterungen zur Grundordnung bislang lediglich ein Prüfauftrag. Am Dienstag hatten 220 gewerkschaftlich organisierte kirchliche Mitarbeitervertreter bei einer Tagung mehr Mitbestimmung in kirchlichen Einrichtungen gefordert.

Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes ist die zentrale Rechtsquelle der katholischen Arbeitsverfassung in Deutschland. Sie regelt grundsätzliche Fragen zu den kirchenspezifischen Aspekten von kirchlichen Beschäftigungsverhältnissen, die Anforderungen an Mitarbeitende und einen Rahmen für das kollektive Arbeitsrecht. Die zuletzt 2015 reformiert Grundordnung steht vor einer neuen Reform. Ein Entwurf dafür wurde im Mai der Öffentlichkeit vorgestellt. Die deutschen Diözesanbischöfe werden bei ihrer Zusammenkunft beim Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am 21. und 22. November beraten und voraussichtlich beschließen. Seit der Vorstellung des Entwurfs im Mai sind keine neue Informationen zu Änderungen am Entwurf bekannt geworden, die sich aus der Debatte über den Entwurf ergeben haben. (fxn)