Zu Besuch beim Rektor des englischen Priesterseminars am Tiber

Priester für England: Das Venerable English College in Rom

Veröffentlicht am 22.11.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Geschichtsträchtig und ehrwürdig: Das Venerable English College in Rom bildet seit 1579 katholische Priester aus. Sie sollen in ihrer Heimat den Glauben vermitteln. Trotz sinkender Kandidatenzahlen will es Ort der Begegnung bleiben.

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44 Namen, 44 Märtyrer. Priester Stephen Wang zeigt auf einen vergoldeten Rahmen im geräumigen Treppenhaus des Venerable English College. Der erste starb 1581, die letzten 1679; alle für den katholischen Glauben in England. Denn das Priesterkolleg in Rom ist laut eigener Aussage nicht nur die älteste englische Institution im Ausland; es hat einen klaren missionarischen Auftrag. Seit 1579 werden katholische Priester hinter hohen Mauern unweit des Tibers ausgebildet. Sie sollen den Glauben über den Ärmelkanal in ihre Heimat bringen. Mehr als hundert Jahre lang eine lebensgefährliche Aufgabe, erinnert Wang.

Der schlanke Brite mit wachem Blick, selbst Absolvent, ist seit eineinhalb Jahren Rektor des "Ehrwürdigen Englischen Kolleg"; einem Ort voller Tradition und Geschichte. 1362 entstand das erste englische Hospiz in Rom. Dort sollten Pilgern aus England und Wales eine Anlaufstelle in den Wirren der Ewigen Stadt finden. Es sei ein Ort von Begegnung, Miteinander, intellektuellem Austausch gewesen. "Und es ist immer noch ein Ort großer Gastfreundschaft", sagt Wang.

Dann kam die Reformation. Plötzlich stand die katholische Kirche in England vor unvorstellbaren Herausforderungen. Nicht nur reisten viel weniger Pilger ins Ausland. Priesterausbildung im eigenen Land war nicht mehr erlaubt. Zunächst wurde ein Seminar in Frankreich gegründet. Dann kam die Idee auf, das Hospiz in Rom in ein Priesterseminar umzuwandeln. Papst Gregor XIII. (1572-1585) habe das Vorhaben großzügig finanziell unterstützt, erzählt Wang.

Stephen Wang
Bild: ©KNA/Anna Mertens

Stephen Wang ist Rektor des Priesterseminars Venerable English College in Rom.

Bis heute hat das Venerable College ein großes Anwesen am Albaner See außerhalb Roms. Dort können Gäste aus aller Welt in das Leben des Kollegs eintauchen. Rektor Wang selbst wuchs nicht mit dem katholischen Glauben auf. "Ich war Atheist", sagt der jungenhafte Mittfünfziger. Erst in seiner Jugend habe er mit dem Glauben Bekanntschaft gemacht. Freunde hätten ihn zum Gottesdienst mitgenommen. Es faszinierte ihn so, dass er sich für ein Theologiestudium einschrieb. Zunächst an der Universität Cambridge, später in Oxford. "Dort ist meine Leidenschaft für das Teilen des Glaubens immer stärker geworden", erinnert sich Wang.

Katholische Gemeinden in England warten auf Priester

So stark, dass er sich entschied, Priester zu werden und nach Rom ins Venerable College ging. "Das war 1992." Fünf Jahre sei er dort gewesen - eine "sehr glückliche Zeit". Mit 31 Jahren wurde er zum Priester geweiht und ging, so der klare Auftrag, wieder zurück nach Großbritannien. "Ich bin im ganzen Land in Gemeinden tätig gewesen." Bis eines Tages der Anruf seines Bischofs mit dem Angebot der Rektorenstelle in Rom kam. "Ich habe ihn um einen Tag Bedenkzeit gebeten", sagt er lächelnd. Doch eigentlich war klar, dass er an den Ort seiner Ausbildung zurückkehren musste.

Es war eine Rückkehr in vertraute Gefilde. Nicht ohne Veränderungen. "Rom hat sich verändert und die Kultur der jungen Menschen ebenfalls", sagt Wang. Es gebe heute viel mehr Möglichkeiten, mit der Heimat England im Kontakt zu bleiben. Mehr Verbundenheit. Und das sei gut so. Denn schließlich warten die katholischen Gemeinden in England auf die frischgebackenen Priester.

Venerable English College
Bild: ©KNA/Anna Mertens

Eine Deckenmalerei im Priesterseminar Venerable English College (dt. Ehrwürdiges Englisches Kolleg) in Rom.

Im "Liber ruber", dem Roten Buch, müssen alle Seminaristen bei Ausbildungsbeginn schwören, dass sie im missionarischen Dienst der Kirche in ihre Heimat zurückkehren. Was in den Gründungsjahren des Kollegs nach 1579 einen ernsten Hintergrund hatte, hat sich bis in die Neuzeit als Tradition gehalten. Mittlerweile gibt es acht Bände des Roten Buches. Er habe darin bei seiner Rückkehr erst mal seinen eigenen Namen gesucht, erzählt Wang schmunzelnd.

Aktuell leben und studieren 20 Seminaristen vorrangig aus England und Wales sowie aus skandinavischen Ländern im Kolleg. Das ist wenig, so Wang. Ideal wären 40 bis 50 Seminaristen. Aber auch in England sinkt die Zahl der Berufungen deutlich. Umso wichtiger sei, dass die jungen Männer in Rom zu "liebenden, weisen" Priestern ausgebildet würden; zu Geistlichen, die den Menschen bei der Suche nach einem Sinn im Leben zur Seite stehen.

In Rom lernten sie die Universalität der Kirche kennen, müssten aus ihrer Komfortzone hinaus und könnten in die Geschichte der Weltkirche in und um Rom eintauchen, sagt Wang. Dabei führt er aus der kleinen Kapelle in die große Kirche des Seminars. Die Kirche in Blau und Gold mutet fast orthodox an. An der Rückwand hängt ein großes Gemälde der Dreifaltigkeit; das Bild der Märtyrer. "Es hat alle Jahrhunderte überdauert", so Wang. Und es erinnere bis heute an den missionarischen Auftrag der jungen Priesteramtskandidaten.

Von Anna Mertens (KNA)