Ministerpräsidentin Lieberknecht fordert Neuausrichtung der Familienpolitik

"Vater und Mutter nicht wegorganisieren"

Veröffentlicht am 13.02.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Familie

Berlin ‐ Die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) fordert, das Kind zum Ausgangspunkt der Familienpolitik zu machen und warnt vor einer "Fixierung auf Betreuung". Im Interview mahnt sie zugleich eine große Toleranz für unterschiedliche Lebensentwürfe an und hält an der weitgehenden Gleichstellung der homosexuellen Lebenspartnerschaft fest.

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Frage: Die CDU hat in der großen Koalition das Familienministerium abgeben müssen. Aber stört das überhaupt, Unterschiede zur SPD sind doch nicht mehr zu sehen?

Lieberknecht: Selbstverständlich gibt es Unterschiede. Die Familienpolitik der Union setzt beim christlichen Menschenbild an. Die Einzigartigkeit jedes Menschen und seine Würde von Anfang an, das sind unsere Grundsätze. Das bedeutet für mich beispielsweise eine sehr restriktive Position zur Abtreibung. Ich lege hier einen höheren Maßstab an. 130.000 Abtreibungen im Jahr halte ich für einen Skandal. Die Würde des Lebens achten als von Gott gewollt, das gilt dann auch am Ende des Lebens. Aktive Sterbehilfe lehne ich ab.

Frage: Was bedeutet das konkret? Muss die Gesetzeslage beim Thema Abtreibung noch mal verändert werden?

Lieberknecht: Nein. Die derzeitige Regelung ist das Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses und spiegelt die Mehrheitsmeinung in unserem Land. Es spricht nichts dafür, das Thema auf gesetzgeberischer Ebene neu aufzumachen, sondern es kommt auf eine lebensbejahendere Sicht und Haltung in unserem Land insgesamt an. Dazu setze ich auf ermutigende Beispiele.

Frage: Der Bundestag ist aber aufgefordert, das Gesetz zu überprüfen?

Lieberknecht: Gesetzlich werden wir die gegenwärtige Regelung nicht ändern. Wichtig ist es, die Eltern nicht allein zu lassen. Sie auf das Leben hin zu beraten. Auch Konfliktlagen wahrzunehmen. Hilfsangebote bereitzustellen. Damit lässt sich viel erreichen.

Frage: In den zurückliegenden Jahren ging es in der Familienpolitik vor allem um den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen sowie insgesamt um die Vereinbarung von Familie und Beruf. Reicht das aus, um einer CDU-Familienpolitik Profil zu verleihen?

Lieberknecht: Wir brauchen eine ganzheitliche Orientierung in der Familienpolitik. Es war richtig, den Kita-Ausbau voranzutreiben, da es in einigen Bundesländern erhebliche Defizite gab. Doch natürlich greift eine Familienpolitik zu kurz, die rein ökonomisch tickt. Das reicht bis in Gesetzesbegründungen hinein. So habe ich solche Argumente gelesen: 30.000 neue Kita-Plätze in Zeiten des demografischen Wandels würden es ermöglichen, dass mehr Menschen eine Arbeit aufnehmen können und steigern damit das "Produktionspotential". Das ist ganz sicher kein Argument, das junge Eltern in ihrer Entscheidungsfindung bewegt. Wir brauchen eine Neuausrichtung unserer Familienpolitik, die wieder das Kind und die Eltern in den Mittelpunkt rückt.

Frage: Also doch ein Zurück zur klassischen Familie?

Lieberknecht. Es ist wichtig, der Pluralität der Lebensformen Rechnung zu tragen. Es darf keine einseitige Fixierung auf Betreuung geben. Es geht darum, dass wir endlich aus dieser typisch deutschen Konfrontation der Alternativen herauskommen. Das Elternhaus hat immer eine wichtige Funktion in der Kindererziehung - und es kann, wenn gewünscht, die Hilfe professioneller Einrichtungen in Anspruch nehmen. Aber die Bedeutung der natürlichen Rollen von Vater und Mutter lassen sich nicht wegorganisieren. Wir müssen immer wieder vom Kind her denken, das ist entscheidend.

Eine Familie bestehen aus Vater, Mutter und Baby.
Bild: ©Fotowerk/Fotolia.com

Eine Familie bestehen aus Vater, Mutter und Baby.

Frage: Was muss sich also konkret ändern?

Lieberknecht: Mein Beispiel sind die Mehrkinderfamilien, die sind uns in der ganzen Debatte aus dem Blick geraten. Die Betreuungsangebote greifen meist nur für Familien mit ein oder zwei Kindern, manchmal mit dreien. Aber warum haben wir kein Augenmerk mehr für die Eltern mit vier, fünf oder sechs Kindern. Ich bin alarmiert, wie stark die Zahl der kinderreichen Familien sinkt. Von Amtswegen übernehme ich die Patenschaft für jedes sechste Kind einer Familie, das sind in Thüringen im Jahr rund 20 Kinder von 17.000 Geburten. Die kenne ich alle mit Namen. Eine Familienpolitik, die die Kinder in den Mittelpunkt rückt, muss sich dafür wesentlich stärker interessieren. Wir sind Kinder-entwöhnt und müssen Kinder wiederentdecken als unseren Schatz.

Frage: In einer anderen Frage haben sie für Toleranz gewoben und sich für eine stärkere Gleichstellung von homosexuellen Paaren ausgesprochen. Passt das zusammen?

Lieberknecht: Sicher. Ausgangspunkt ist immer die Menschenwürde. Die gilt für jeden. Vielen Gruppen ist da in den zurückliegenden Jahrzehnten, aber besonders auch in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, schreckliches Unrecht widerfahren. Es ist mir ein inneres Bedürfnis und ich stehe zu unserer Verpflichtung, Diskriminierung abzubauen. Deswegen sollten wir etwa rasch die Möglichkeit der Sukzessiv-Adoption für homosexuelle Paare umsetzen, so wie es das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat. Bei einem uneingeschränkten Adoptionsrecht bin ich zurückhaltender. Im Mittelpunkt steht das Kindeswohl, und da sind für mich zu viele Fragen unbeantwortet.

Frage: Es ist ein Thema, das polarisiert. In einigen christlichen Gruppierungen gibt es da andere Meinungen. Was sagt die Theologin Lieberknecht dazu?

Lieberknecht: Ich gehe von der Würde des Menschen aus, die für jeden gilt. Und ich plädiere für einen großen Toleranzraum. Ich selbst lebe in einer Großfamilie mit meinem Mann, meinen Kindern und Enkelkindern, aber ich habe nicht das Recht, meinen Lebensstil anderen vorzuschreiben.

Frage: Sie sind im Kuratorium von Pro Christ, und da gibt es Leute, die sehen das doch ganz anders her und argumentieren mit der Bibel.

Lieberknecht: Ich verweise auf die große Menschenliebe des Neuen Testaments, auf die Menschenfreundlichkeit des Jesus von Nazareth. Ich empfinde mich als einen zutiefst religiösen Menschen, der auch öffentlich für die Frohe Botschaft eintritt. Es ist ein Glaube, der zur Liebe, zur Nächstenliebe befähigt, für den ich werbe.

Frage: Die Landeshauptstadt Erfurt bekommt wahrscheinlich bald einen neuen katholischen Bischof. Was wünschen Sie sich von ihm?

Lieberknecht: Ich wünsche mir eine Zugewandtheit zu den Menschen. Ich wünsche mir auf der Basis klarer Haltungen einen Brückenbauer in die säkularisierte Gesellschaft sowie einen ökumenischen Geist. Aber ich wünsche mir auch die Klarheit im christlichen Wort, im Aussprechen der christlichen Botschaft. Denn Unterscheidbarkeit wird wichtiger. Es reicht für die Kirche nicht, lediglich das zu sagen, was dem Zeitgeist entspricht.

Das Interview führte Volker Resing (KNA)