Deutsche Bischofskonferenz für Abwägung im Einzelfall

Nach Schmerzensgeldklage: Sollte die Kirche Verjährung beanspruchen?

Veröffentlicht am 30.11.2022 um 16:59 Uhr – Lesedauer: 

Hamburg/Köln/Bonn ‐ Soll sich die Kirche bei Schmerzensgeldklagen von Missbrauchsbetroffenen auf Verjährung berufen? Ein Fall im Erzbistum Köln lässt diese Frage nun stellen – und die Antwort ist nicht leicht. Überlegungen dazu gibt es in kircheninternen Dokumenten.

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Nach der Schmerzensgeldklage eines Missbrauchsbetroffenen gegen das Erzbistum Köln sieht sich die katholische Kirche offenbar in einer Zwickmühle. Beanspruche das von Kardinal Rainer Maria Woelki geführte Erzbistum Verjährung, riskiere es schlechte Presse; verzichte es dagegen auf Verjährung, könnten weitere Schmerzensgeldklagen mit hohen Summen in ganz Deutschland folgen – so lauten die Überlegungen aus verschiedenen kircheninternen Dokumenten, aus denen die "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" (Donnerstag) zitiert.

Eine weitere Überlegung gehe dahin, so die Zeitung, dass es auch Klagen gegen einen Bischof geben könnte, wenn er auf Verjährung verzichten würde und das Bistum daraufhin hohe Zahlungen leisten müsste. Das könne dann interpretiert werden als Verstoß gegen die Verpflichtung der Bistumsleitung, mit dem Vermögen sorgsam umzugehen.

"Christ und Welt" konnte nach eigenen Angaben unter anderem ein Protokoll der Rechtskommission des Verbands der Diözesen Deutschlands (VDD) einsehen sowie einen Brief Woelkis an die Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Beate Gilles. Die Bischofskonferenz habe auf Anfrage der Zeitung erklärt, dass das Mittel der Verjährung ein juristisch zulässiges Instrument sei. Ob davon Gebrauch gemacht werde, müsse jedoch in jedem Einzelfall abgewogen werden.

DBK-Sprecher: Abwägung im Einzelfall

"Ob von der Einrede der Verjährung konkret Gebrauch gemacht werden soll, bedarf immer der Abwägung aller Gesichtspunkte im Einzelfall", sagte DBK-Sprecher Matthias Kopp auf Anfrage von katholisch.de. Da die Fälle sehr unterschiedlich gelagert seien, könne es keine pauschale Antwort geben. In Ausnahmefällen könne es geboten und ratsam sein, auf die Verjährungseinrede zu verzichten. "Sollte sich eine Diözese im konkreten Fall dazu entscheiden, die Einrede der Verjährung nicht zu erheben, so handelt es sich um eine reine Einzelfallentscheidung, die keinerlei Bindungswirkung für andere Fälle dieser Diözese oder anderer Diözesen entfaltet", so der DBK-Sprecher.

Das Erzbistum Köln bestätigte die Darstellung von "Christ und Welt", dass Woelkis Anwälte bereits per Schriftsatz erklärt haben, Verjährung in Anspruch nehmen zu wollen. "Aus Gründen der Fristwahrung haben wir dieses Schreiben bei Gericht eingereicht", teilte Sprecher Jürgen Kleikamp mit. Das Erzbistum habe aber noch nicht abschließend entschieden, ob es diesen Weg auch gehen wird. "Da es sich hier um einen juristisch und auch moralisch hochkomplexen Sachverhalt handelt, prüfen wir diesen noch weiter mit größter Sorgfalt", so Kleikamp weiter.

Am Dienstag verhandelt das Landgericht Köln die vermutlich erste Schmerzensgeldklage eines Missbrauchsopfers gegen die katholische Kirche als Institution. Der Kläger gibt an, als Messdiener in den 1970er-Jahren mehrere hundert Male von einem mittlerweile verstorbenen Priester sexuell missbraucht worden zu sein. Einem Aufarbeitungsgutachten zufolge erfuhr das Erzbistum 1980 sowie 2010 von Vorwürfen gegen den Geistlichen, die dieser zum Teil auch eingeräumt habe. Dennoch habe er viele Jahre weiter als Seelsorger arbeiten können. Der Kläger wirft der Erzdiözese Amtspflichtverletzung durch Unterlassen vor und verlangt insgesamt 750.000 Euro. Bislang erhalten hat er 25.000 Euro in Anerkennung des Leids. (tmg/KNA)