Sand im Getriebe
Die Politik schaut genau hin, der Bundespräsident hat das ganze kommentiert, Ministerin schalten sich ein, Religionswissenschaftler veröffentlichen Stellungnahmen. Es geht hin und her. Khorchide selbst und die Uni Münster wollen sich aktuell nicht zu dem Streit äußern. Die Frage ist, ob es sich dabei noch um einen sinnvollen wissenschaftlichen Diskurs handelt oder doch um den Kampf um die Deutungshoheit des Islam.
Zwei Konflikte sind miteinander verwoben. Der Wissenschaftsrat gab 2010 die Anregung, an deutschen Hochschulen Islamische Theologie zu etablieren. Neben Münster/Osnabrück sind die anderen Standorte in Tübingen, Frankfurt/Gießen und Erlangen/Nürnberg. Während die anderen Zentren mehr oder weniger lautlos arbeiten, ist in Münster seit Beginn an Sand im Getriebe.
Seit dem Start mit einem Handicap
Das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) an der Universität Münster arbeitet seit seinem Start 2011 mit einem Handicap. Zur Kontrolle der Lehre und Ausbildung hatte der Wissenschaftsrat einen Beirat vorgeschlagen. In dem sollten die Islam-Verbände ihren Einfluss gelten machen und mitgestalten. Vier Islam-Experten sollten die Verbände vorschlagen, die andere Hälfte darf die Uni in das Gremium schicken. Das Problem: Bisher hat sich dieser Beirat nicht konstituiert. Immer wieder war ein erstes Treffen an einem von den Islam-Verbänden vorgeschlagenen Kandidaten gescheitert. So hatte das Bundesinnenministerium gegen einen Bewerber sein Veto eingelegt, da es ihn der vom Verfassungsschutz beobachteten Islamischen Gemeinschaft Milli Görus (IGMG) zurechnete.
Diese erste Ablehnung ist lange her. Viel Zeit ist vergangen, der Beirat arbeitet noch immer nicht, auch weil der Streit mit einem anderen Konflikt verwoben ist. Der dreht sich um die Person Khorchide (Jahrgang 1971) . Dessen Berufung zum Leiter des ZIT hatten die Islam-Verbände selbst abgesegnet. Doch inzwischen ist die Zustimmung in Ablehnung umgeschlagen. Engin Karahan vom Islamrat sagt über Khorchide: "Für eine weitere Zusammenarbeit dürfte es keine Grundlage geben." Und über die Zusammenarbeit mit der Hochschule: "Es kann noch funktionieren, wenn die Uni einsieht, dass die Islamische Theologie ohne Beteiligung der islamischen Gemeinschaften keinen Boden hat und keinen Sinn ergibt."
"Nachhaltig zerrüttetes" Verhältnis
Im vergangenen Jahr hatte der Koordinationsrat der Muslime (KRM) ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die von Khorchide veröffentlichten theologischen Thesen ("Islam der Barmherzigkeit") zu bewerten. Ergebnis: Khorchides Äußerungen stimmten weder mit einem wissenschaftlichen Anspruch noch seiner Selbstverpflichtung zur bekenntnisorientierten Islamtheologie überein. Im Dezember 2013 beschrieb der KRM als Fazit des Gutachtens das Verhältnis zum Islamlehrstuhl-Inhaber Khorchide als "nachhaltig zerrüttet und irreparabel beschädigt".
Diese Festlegung schlug in der Wissenschaft hohe Wellen. So bezeichnete der Freiburger Theologe und Uni-Professor Bernhard Uhde das Gutachten in einer Stellungnahme als dilettantisch. Er wies schwere handwerkliche Fehler nach und geht davon aus, dass das Gutachten eine bereits feststehende Meinung stützen sollte. Nach Uhdes Einschätzung geht es bei dem Streit auch um einen Machtkampf. "Die türkischen Verbände stehen da im Konflikt mit Muslimen anderer Prägung und fordern für sich die Deutungshoheit über den Islam." Die türkischen Verbände, so Uhde, vertreten aber nur rund 25 Prozent der Muslime in Deutschland.
Selbstfindungsprozess der Islamischen Theologie?
Serdar Günes, Islamwissenschaftler an der Universität in Frankfurt, glaubt, dass sich die Islamische Theologie in Deutschland in einem Selbstfindungsprozess befindet. "Es finden in kürzester Zeit so viele Entwicklungen gleichzeitig statt, die bei der Verankerung der christlichen Theologie länger gedauert haben. Ich glaube, dass alle Beteiligte gute Absichten haben", sagte Günes.
Nach seiner Ansicht sind die Verbände in einer paradoxen Situation. "In der demokratischen Entscheidungsfindung, die den Verbänden laut Grundgesetz zusteht, können sie keine normativen Antworten geben wie die Kirchen. Die Verbände versuchen das zu kompensieren durch überlieferte theologische Ansichten und reagieren auch deswegen gereizt, wenn sie extravagante Thesen hören." Den Streit um Khorchide hält er für nötig, "er zeigt aber leider, dass die Muslime in punkto produktiver Streitlust hinter ihre Vorgänger aus frühen Zeiten zurückfallen".
Von Carsten Linnhoff (dpa)