180-Grad-Wende bei Diskriminierungen im kirchlichen Arbeitsrecht
Die katholischen Bischöfe haben das kirchliche Arbeitsrecht auf neue Füße gestellt: Eine neue Grundordnung will künftig Vielfalt bei kirchlichen Beschäftigten wertschätzen und nicht mehr aufgrund von persönlicher Lebensführung diskriminieren. Doch ist das den Bischöfen auch gelungen? Es bleiben viele Fragen. Besonders Vertreter queerer Gläubiger sehen noch Defizite im Diskriminierungsschutz. Sind wirklich alle Menschen, auch Transpersonen, vom Schutz der neuen Grundordnung erfasst? Und ab wann gilt Kirchenkritik als so kirchenfeindlich, dass sie zu arbeitsrechtlichen Sanktionen führt? Im Interview mit katholisch.de erläutert der Tübinger Arbeitsrechtler Hermann Reichold, wie er die Grundordnung liest – und warum er nicht glaubt, dass queeren Menschen und kritischen Gläubigen im Konfliktfall vor dem staatlichen Arbeitsgericht Schutz versagt wird.
Frage: Professor Reichold, in der neuen Grundordnung heißt es "Alle Mitarbeitenden können unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihres Alters, ihrer Behinderung, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität und ihrer Lebensform Repräsentantinnen und Repräsentanten der unbedingten Liebe Gottes und damit einer den Menschen dienenden Kirche sein". Das übernimmt zwar den Katalog an Merkmalen, anhand derer gemäß dem staatlichen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht diskriminiert werden darf. Aber ist das wirklich auch ein Diskriminierungsverbot?
Reichold: Diesem Satz wird vorangestellt, dass Vielfalt als Bereicherung angesehen wird. Das ist ein deutlicher Bruch mit der bisherigen Tradition. Ich sehe in der Formulierung eine positiv formulierte Nichtdiskriminierungsklausel. Ob die gewählte Formulierung die beste ist, darüber kann man natürlich streiten, und es wurde auch lange über diesen Abschnitt diskutiert. Das Ergebnis ist aber, dass man sich auf die im AGG genannten Begriffe verständigt hat – und zwar inklusive der sexuellen Identität, mit der sich die katholische Kirche bislang sehr schwer getan hat, auch im Arbeitsrecht.
Frage: Die Kritik von queeren Katholikinnen und Katholiken bezieht sich vor allem auf den Bereich der Transsexualität. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erläutert, dass "sexuelle Identität" nur die sexuelle Orientierung, also beispielsweise Hetero- oder Homosexualität, aber nicht die geschlechtliche Identität, also beispielsweise Transexualität erfasse. Die geschlechtliche Identität werde unter das Diskriminierungsmerkmal "Geschlecht" gefasst.
Reichold: Das Geschlecht wurde im Normtext ja nicht ausgelassen. Außerdem überzeugt mich diese Argumentation nicht. Durch die Erwähnung von sexueller Identität und Lebensform sollte hinreichend klar sein, dass wirklich alle von dem Bekenntnis zur Vielfalt erfasst sind. Aber ich verstehe natürlich, dass sich bislang von Diskriminierungen betroffene Gruppen noch stärkere Formulierungen gewünscht hätten.
Frage: Wenn man davon ausgeht, dass die Merkmale so wie im staatlichen Arbeits- und Antidiskriminierungsrecht auszulegen sind, dann besteht jetzt derselbe Schutz im kirchlichen Recht – nur ist die Grundordnung nun einmal Kirchenrecht, und das kirchliche Lehramt versteht "Geschlecht" anders als das staatliche Recht. Wie geht ein staatlicher Arbeitsrichter hier im Konfliktfall vor?
Reichold: Ein Richter wird diese Formulierung lesen und es für offensichtlich halten, dass hier die Wertungen des AGG übernommen wurden. Die Formulierung ist bewusst sehr einladend und weit gehalten, und auch mit Blick auf die Entwicklung des kirchlichen Arbeitsrechts wird deutlich, was die Absicht des kirchlichen Gesetzgebers war: nämlich eine 180-Grad-Wende im Bereich der Diskriminierungen.
Frage: Unklarheit besteht auch noch im Bereich der kündigungsrelevanten "kirchenfeindlichen Betätigung". Wo verläuft die Grenze zwischen legitimer Kirchenkritik und illegitimer kirchenfeindlicher Betätigung?
Reichold: Für eine kirchenfeindliche Betätigung als Kündigungsgrund werden mehrere Bedingungen genannt: Sie müssen nach den konkreten Umständen bewertet werden und objektiv geeignet sein, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beschädigen. Erfasst sind nur Handlungen, die öffentlich wahrnehmbar sind. Damit unterscheidet sich die Kirche nicht wesentlich von den Wertmaßstäben, die in anderen Tendenzbetrieben wie etwa Presseverlagen gelten. Tendenzbetriebe müssen in der Öffentlichkeit glaubwürdig für ihre Position einstehen können, und deshalb dürfen sie ihre Beschäftigten auch auf entsprechende Loyalität verpflichten.
„Die Grundordnung hat nicht das Ziel, innerkirchliche Debatten zu sanktionieren.“
Frage: In der Kirche wird sehr kontrovers über Reformen diskutiert und gestritten – auch von kirchlichen Mitarbeitenden. Das prominenteste Beispiel momentan ist sicher #OutInChurch, die klar mit Forderungen an die Öffentlichkeit gehen, Teile der kirchlichen Lehre zu revidieren. Können dort Engagierte wirklich sicher sein, dass sie vor arbeitsrechtlichen Sanktionen geschützt sind? Die Forderung nach einer Reform der Sexualmoral könnte man ja durchaus als eine Äußerung auffassen, die gegen die Werteordnung der Kirche gerichtet ist.
Reichold: Das kann und wird so nicht vorkommen. Erstens deshalb nicht, weil diejenigen, die für #OutInChurch stehen, nach meiner Ansicht selbstverständlich engagierte katholische Christen sind. Zweitens, weil dieser spezielle Protest auch von Bischöfen, wenn ich das Recht sehe, nicht nur gebilligt, sondern auch für nötig gehalten wird. Und drittens ist auch die sehr grundsätzliche Kritik an Teilen der Lehre der Kirche objektiv nicht kirchenfeindlich, weil sich diese Menschen ja gerade für die Kirche, für eine Reform in der Kirche, engagieren – und das mit sachlich begründeten Meinungen.
Frage: Auch die "Propagierung von Abtreibung" wird als Grund für Sanktionen genannt. Wie unterscheidet man eine zulässige Meinungsäußerung von einer "Propagierung"?
Reichold: Da gibt es tatsächlich noch Unschärfen. Ich bin aber überzeugt davon, dass das bloße Äußern strittiger Meinungen noch keine "Propagierung" im Sinne der Norm sein kann. Es kommt auch auf die Öffentlichkeit und die Tonalität der Äußerung an.
Frage: Es gibt einen konkreten Fall: Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, hatte sich in einem Meinungsbeitrag für die "Zeit" zwar deutlich für die Beibehaltung der Strafbarkeit der Abtreibung ausgesprochen, zugleich aber im Zuge des Kompromisses zur Beratungslösung betont, dass der medizinische Eingriff eines Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland flächendeckend möglich sein müsse. War das schon eine "Propagierung von Abtreibung" im Sinne der Grundordnung?
Reichold: Frau Stetter-Karp nimmt eine herausgehobene Stellung in der katholischen Laienbewegung ein und hat sich sehr deutlich in einem reichweitenstarken Medium und damit sehr öffentlich geäußert. Ich sehe hier aber den Tatbestand einer "Propagierung" nicht erfüllt. Dieser eine Punkt, flächendeckend medizinisch Abtreibungen zu ermöglichen, steht ja im Kontext einer kontroversen innerkirchlichen Diskussion über den richtigen Umgang der Kirche mit der staatlichen Rechtslage. "Propagierung der Abtreibung" als sanktionswürdiges Verhalten liegt hier aber nicht vor. Man muss die Grundordnungs-Norm von oben her lesen: Es geht der Grundordnung um eine kirchenfeindliche Betätigung, die sich gegen die Kirche oder ihre Werteordnung richtet. Das war erkennbar nicht die Absicht der ZdK-Präsidentin, sondern ihr ging es vielmehr um einen Diskussionsbeitrag in einer innerkirchlich – wozu die organisierte Laienbewegung gewiss gehört – umstrittenen Sache. Ich gebe zwar zu, dass in der Bewertung hier ein gewisser Auslegungsspielraum besteht, gehe aber davon aus, dass die Grundordnung nicht das Ziel hat, innerkirchliche Debatten zu sanktionieren, was sich auch in der Auslegung niederschlagen muss.