In Neuss entsteht die größte Pastorale Einheit des Erzbistums Köln

Pfarrer zu Großpfarrei: Schwierig, aber in der Situation das Beste

Veröffentlicht am 05.12.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Neuss ‐ Neuss wird mit 63.000 Gläubigen perspektivisch die größte Pfarrei des Erzbistums Köln. Im katholisch.de-Interview sprechen zwei Pfarrer darüber, wie die Gemeinden zusammenwachsen sollen und wie die Gläubigen am Prozess beteiligt wurden.

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In Neuss entsteht mittelfristig die größte Pfarrei des Erzbistums Köln. Zur bereits bestehenden Großpfarrei, der Pfarreiengemeinschaft Neuss-Mitte, kommen demnach perspektivisch die Seelsorgebereiche Neuss-Nord mit Kreisdechant Hans-Günther Korr an der Spitze sowie der Seelsorgebereich Neuss-West/Korschenbroich mit Pfarrer Michael Tewes dazu – wenn die jeweiligen leitenden Pfarrer ihre Posten aufgeben, etwa weil sie in Rente gehen. Beide Pfarrer sprechen im Interview über große Konstrukte und die Beteiligung der Gemeindemitglieder.

Frage: Neuss wird auf Sicht die größte Pfarrei des Erzbistums Köln mit 63.000 Katholikinnen und Katholiken. Was halten Sie davon?

Korr: Ich halte das für sehr schwierig, aber aus den gegebenen Umständen ist es wahrscheinlich das Beste. Ich bin ein Verteidiger der kommunalen Grenzen und, dass ganz Neuss eine Kirchengemeinde wird, halte ich eigentlich für sinnvoll. Besser wäre es natürlich, wir wären in so eine Situation gar nicht geraten und hätten weitermachen können wie bisher. Aber das ist nicht möglich. Von daher ist das so okay.

Tewes: Unter den gegebenen Umständen ist es das Beste. Für den Kirchengemeindeverband Neuss-West/Korschenbroich gab es zunächst den Vorschlag aus dem Generalvikariat, mit den Gemeinden unserer Nachbarstadt Kaarst zusammenzugehen, das konnten sich die Vertreterinnen und Vertreter der Gremien in Neuss-West/Korschenbroich nicht gut vorstellen. Wir haben viele Verbindungen mit Neuss, von den Emotionen bis zu den Busverbindungen. Da konnten wir uns nicht vorstellen, mit Kaarst zusammenzugehen. In den Gruppen und Gremien war also schnell klar, dass wenn es so sein muss, wir uns Neuss angliedern wollen.

Frage: Wie sah die Einbindung der Menschen an der Basis in diesen Restrukturierungsprozess aus?

Korr: Es gab einen Vorschlag des Bistums. Damit haben sich die einzelnen Kirchengemeinden, Verbände und Gemeinderäte auseinandergesetzt. Wir haben eine Pfarrversammlung gehalten, da waren so 70, 80 Leute da und wir haben alles durchgespielt. Auch die Frage, ob es vielleicht eine Zusammenarbeit unserer Pfarrei mit Kaarst geben könnte. Aber es gibt schon sehr viele emotionale und auch sachliche Gründe, die für Neuss sprachen. Es fühlen sich nun alle gut einbezogen und sind es auch.

Tewes: Alle Gruppen und Gremien wurden befragt und haben über einen längeren Zeitraum diskutiert. Es gab viele Gespräche, zwar nicht mit den normalen Gemeindemitgliedern, aber innerhalb der Gruppen und Gremien, denn dafür sind sie gewählt worden. Natürlich sind alle sich darüber im Klaren, wie schwer das Zusammenwachsen sein wird und die Angst vor dem Verlust der Selbstständigkeit ist auch groß. Aber allen war klar, dass unter den gegebenen Umständen nicht viel anderes möglich ist. Am Ende haben wir uns in den Gremien einen Termin gesetzt, bis zu dem man sich für oder gegen den Kölner Vorschlag entscheiden konnte. Die Gremien-Vertreter in Neuss-West/Korschenbroich haben sich dann, wie eben gesagt, für einen Gegenvorschlag entschieden und für das Zusammengehen mit dem bestehenden Sendungsraum von Pfarrer Andreas Süß und der Neusser Furth votiert. Diese Entscheidung war einstimmig.

Frage: Aber ist so eine Pfarrei nicht eigentlich viel zu groß?

Korr: Rechtlich wird es irgendwann eine große Pfarrei sein, aber das dauert noch. Zunächst hoffen wir darauf, dass Kirche vor Ort trotzdem weiter lebendig bleibt. Dieses Konstrukt bedeutet ja nicht, dass vor Ort kein Leben mehr sein soll, sondern es heißt ja gerade, dass wir die Gemeinden an der Basis stärken. Dazu gehören Hauptamtliche, aber auch Ehrenamtliche, bei denen wir hoffen, dass wir sie finden. Ziel ist, dass für die Arbeit vor Ort mehr Kraft bleibt und man sich weniger um die rechtlichen Dinge kümmern muss. Die Eigenständigkeit und die besonderen Eigenheiten der einzelnen Gemeinden sollen möglichst beibehalten werden.

Bild: ©Neuss-Nord/Lippert/Privat / Montage: katholisch.de

Hans-Günther Korr (l.) ist Kreisdechant in Neuss, Michael Tewes Pfarrer im Seelsorgebereich Neuss-West/Korschenbroich.

Frage: Bei solchen Großpfarreien steht oft der Gedanke im Hintergrund, dass es nicht das volle Angebot der Pastoral an jedem Ort gibt, sondern dass durch ein Konzept Schwerpunkte gesetzt werden. Gibt es da schon Überlegungen?

Korr: In Neuss gibt es bereits einen großen Sendungsraum, an den wir uns anschließen. Dort ist man dabei, ein Konzept zu entwickeln. Da werden wir unsere Anliegen und Wünsche mit hinzufügen – beziehungsweise die Leute, die vor Ort wohnen. Das wird ein weiter Weg, bis wir ein umfassendes pastorales Konzept entwickelt haben. Notwendig ist es aber auf jeden Fall, denn ohne Konzept kann so eine große Einheit nicht bestehen.

Frage: Gibt es denn schon Kontakte zu den Gremien im Sendungsraum?

Korr: Es gibt enge Beziehungen und Verflechtungen zwischen meiner Pfarrei im Neusser Norden mit den Gremien in der Mitte. Das reicht über Verbände wie das Kolpingwerk bis zu Kontakten zwischen den Schützen. Zum Neusser Süden und Westen gibt es so gut wie keinen Kontakt. Das muss sich entwickeln.

Tewes: So ähnlich ist es auch bei uns. Zu unseren Nachbarstadtteilen gibt es einige Verbindungen, etwa weil dort Verwandte unserer Kirchenmitglieder wohnen. Aber es muss jetzt zu einem solchen großen Gebilde zusammenwachen. Da gibt es bisher noch keine großen Stränge, die wird man jetzt erst schaffen müssen.

Frage: Wie soll dieses Zusammenwachsen ablaufen?

Korr: Da haben wir noch keine Ideen. Es gibt natürlich die Konzepte, die von Köln vorgeschlagen werden. Aber wir werden in Schritten aufeinanderzugehen und danach das genaue Konzept gemeinsam erarbeiten.

Frage: Gab es an der Basis Vorbehalte gegen diese Zusammenlegung?

Korr: Ich erlebe das nicht. Die Diskussion, dass wir zu Neuss kommen könnten, läuft bei uns schon länger. Unsere Gläubigen hatten genug Zeit, sich darauf einzurichten.

Tewes: Ich sage mal, die Leute sind ob der Größe erstmal nicht gerade begeistert. Aber da alle wissen, dass kein Weg daran vorbeiführt, hoffen wir, dass wir das Ganze mit Leben füllen werden. Dadurch hat sich ein Gemisch aus Anspannung, Hoffen, Bangen und ganz vielen Ideen entwickelt.

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Frage: In dem neuen großen Sendungsraum gibt es viele Kirchen und Gemeindehäuser. Was passiert mit denen?

Korr: Der Prozess wird sich noch etwas ziehen. Mein Amt als Kreisdechant hier endet in fünf Jahren, dann erst werden sich diese Fragen stellen, weil wir dann mit Neuss-Mitte fusionieren. Im Moment kann ich nicht genau sagen, was das für Konsequenzen in diesem Bereich hat.

Tewes: Bei mir wird diese Situation Mitte 2025 eintreten. Klar ist: Wir werden beide die letzten Pfarrer auf unseren Posten sein.

Frage: Das heißt aber auch: Diese Zusammenlegung wird zunächst erstmal kaum Auswirkungen auf den Alltag haben.

Korr: In naher Zukunft nicht. Dieser Prozess soll bis spätestens 2030 umgesetzt werden. Heute oder Morgen passiert da noch nichts. Es wird dann virulent, wenn ein leitender Pfarrer aus irgendeinem Grunde geht.

Frage: Wie viele Priester wird es dann noch in der Gegend geben?

Tewes: Das muss man dann sehen. In Grevenbroich und Rommerskirchen gibt es bereits einen sehr großen Sendungsraum. Dort hat sich das Pastoralteam mit den Gruppen und Gremien zusammengesetzt und entschieden, wann in welcher Kirche Gottesdienst gefeiert wird. So wird es auch hier kommen. Wir haben hier schon damit begonnen, dass Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten Wortgottesfeiern gestalten und etwa Beerdigungen übernehmen. Ebenso gibt es in allen Gemeinden ein Team von Ehrenamtlichen, die sehr engagiert an den Wochentagen Wortgottesfeiern anbieten. Wir sind da aber noch auf dem Weg. Klar ist aber auf jeden Fall: Es wird nicht an jedem Wochenende in jeder Gemeinde eine Hl. Messe stattfinden können. Da werden wir sehr dankbar auf die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Laien zurückgreifen dürfen.

Frage: Sie setzen also auf Ehrenamtliche.

Korr: Ich hoffe, dass wir die Leute motivieren können, vor Ort die Kirche lebendig zu machen. Das ist ja die Hoffnung. Ob das funktioniert, ist eine andere Frage. Der Hauptgrund der ganzen Strukturierung ist ja, dass der hauptamtliche Bereich immer mehr wegbricht. Das sind nicht nur Priester, das sind auch pastorale Dienste. Das heißt, das Ehrenamt wird immer mehr aufgewertet werden müssen, damit das Gemeindeleben weitergehen kann. Das ist eine Chance fürs Ehrenamt. Wir sind immer mehr darauf angewiesen.

Von Christoph Paul Hartmann