Neugetaufte: "Jetzt fang ich nochmal neu mit dem Herrgott an!"
Wie eine Königin fühlt sich Anett Kühnel, als sie barfuß und in einem schlichten, weißen Taufgewand in den eineinhalb Meter tiefen Taufbrunnen in der Kirche St. Maria Magdalena in Bochum-Wattenscheid steigt. Für sie ist die Taufe wie ein innerliches Reinwaschen. "Alles, was dreckig war in meinem Leben, habe ich da drinnen gelassen", sagt die 54-Jährige. "Jetzt bin ich wieder sauber vor Jesus".
Seit 2000 hat die Kirchengemeinde St. Maria Magdalena in Höntrop ein Ganzkörpertaufbecken. Die Erfahrungen, die die Menschen darin machen, seien ergreifend, sagt Gemeindereferentin Gertrude Knepper, die das Taufpastorale Zentrum von Anfang an begleitet hat. Daher habe sich die Kirchengemeinde entschieden, so ein Becken einzubauen. Bis zu 3.000 Liter Wasser fasst der Taufbrunnen, der aus schwarzen Granitplatten geformt ist. Über drei Treppenstufen gelang man in das erwärmte Wasser. In den vergangenen Jahren wurden darin mehr als 50 Erwachsene und einige Kinder meist in der Osternacht oder an ausgewählten Terminen getauft. Seit dem Christkönigssonntag gehören auch Anett Kühnel und ihre Tochter Victoria zu den Neugetauften der Gemeinde.
"Für mich war es eine große Würde in dieses Taufbecken zu steigen", erinnert sich Anett Kühnel. "Es hat nur noch die Krone gefehlt", scherzt sie. Doch beim Einsteigen in das Becken rutscht sie aus und landet sitzend im Wasser. "Ich habe meiner Tochter noch beim Abtrocknen zugeschaut und dabei die Treppen übersehen“, erklärt sie. "Eine Komplettdusche halt." Pastor Jens Watteroth, der schon im Becken stand und auf sie wartete, habe gelassen reagiert. Er habe nur gefragt, ob alles in Ordnung sei und sie gebeten, sitzen zu bleiben. "Als ich so klitschnass im Wasser saß, dachte ich mir: Das passt zu dem, was ich jetzt hinter mir lassen wollte", so Kühnel. "Ich war eine Zeit lang ziemlich am Boden und habe Mist gebaut", erinnert sie sich.
Anett Kühnel wächst in der ehemaligen DDR auf. Weil ihre Familie nicht religiös ist, wird sie als Kind nicht getauft. 2003 zieht sie gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern vom sächsischen Zwittau nach Oberhausen ins Rheinland. Bald darauf kommt die jüngste Tochter zur Welt, Victoria. Doch die Ehe geht auseinander. Anett Kühnel beginnt in einer Hausmeisterfirma zu arbeiten und geht eine neue Beziehung zu einem Mann ein. Sie fühlt sich von ihm unter Druck gesetzt, wird ausgenutzt und verliert die Kontrolle über ihr Leben. "Ich war in einem schwarzen Loch, aus dem ich allein nicht mehr herausgekommen wäre", blickt sie zurück. "Ich wusste einfach nicht weiter". Aleksander Paweletzki und seine Frau, denen die Hausmeisterfirma gehört, sind in dieser Zeit für Kühnel da, hören zu und helfen. "Ohne die beiden, hätte ich alles verloren: meine Wohnung, mein ganzes Geld", ist sich Kühnel sicher.
Aleksander Paweletzki nimmt Anett Kühnel immer wieder mit in seine Kirchengemeinde St. Herz Mariae, die in zur selben Pfarrei gehört wie St. Maria Magdalena in Bochum-Wattenscheid. "Komm, wir stellen ein paar frische Blumen zur Muttergottes Maria", sagt er dann zu ihr. Er ist dort seit Jahren ehrenamtlich engagiert und hilft beim Kirchenputzen genauso wie beim Krippenaufstellen. Kühnel weint sich bei der Marienstatue oft aus und zündet eine Kerze an. Diese Momente haben ihr immer gutgetan, sagt sie im Rückblick. Dass ihre beiden Chefs sehr religiös sind, wusste sie von Anfang an. "Wir haben immer wieder mal über den Glauben geredet. Da habe ich Antworten gefunden", meint Kühnel. Weil er bisher nur gute Erfahrungen in der Kirche gemacht habe, wollte er auch mal was zurückgeben, erklärt Paweletzki seinen Einsatz. Irgendwann gewinnt Anett Kühnel wieder Boden unter den Füßen, beendet die Beziehung, die ihr nicht guttut, und geht immer wieder in die Kirche, um Kraft zu tanken. Eines Abends, erinnert sie sich, habe sie ihre Mutter angerufen und gesagt: "Morgen ist Sonntag und da gehe ich in die Messe." Sie wird still am Telefon. "Ich hatte so ein Verlangen danach", sagt sie leise.
Die finale Entscheidung, sich taufen zu lassen, fällt bei einer gemeinsamen Fahrt von Mutter und Tochter Kühnel und dem Ehepaar Paweletzki nach Kevelaer. Nach dieser Wallfahrt beschließen Aleksander Paweletzki und seine Frau die beiden zu fragen, ob sie katholisch werden wollen. "Wir dachten halt, wenn jemand so oft und gerne in die Kirche geht, dann ist doch mehr dahinter", erklärt er.
Anett Kühnel und Tochter Victoria haben sofort Ja gesagt. "Und wir sollten ihre Taufpaten werden", freut sich Paweletzki. Er meldet die beiden zur Taufe in der Kirchengemeinde an und sie lernen Gertrude Knepper kennen. Die Gemeindereferentin arbeitet im Taufpastoralenzentrum St. Maria Magdalena in Höntrop und ist seit März auch Außerordentliche Taufspenderin im Bistum Essen. Sie begleitet Erwachsene und Kinder auf dem Weg zur Taufe. Genauso wie sie Anett Kühnel und ihre Tochter begleitet hat. Ein halbes Jahr lang treffen sie sich wöchentlich. Sie reden über den Glauben, lesen in der Bibel und beten gemeinsam. Immer mit dabei: das Ehepaar Paweletzki. Das fand auch die Gemeindereferentin außergewöhnlich. "So sollten Paten eigentlich sein, wie geistliche Väter und Mütter", betont Knepper. Auch Victoria Kühnel genießt die Katechese. "So offen reden konnte ich vorher nicht über das, was ich glaube", sagt die 18-Jährige. "Wie mit einer Freundin", fügt sie hinzu. Für sie war es selbstverständlich, dass sie ihre Mutter bei diesem Schritt in die Kirche begleitet und sich auch taufen lässt.
Am Christkönigssonntag war es dann so weit. Es ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr. Denn die beiden wollten unbedingt als Christinnen in das neue Kirchenjahr gehen, erklärt Knepper, die die belastete Lebenssituation von Anett Kühnel kennt. Sie habe ihr daher zugesagt: "Sie werden sehen, wenn Sie aus dem Taufbecken wieder rauskommen, sind Sie ein anderer Mensch."
Denn die Taufe in so einem großen Becken sei ein sehr starkes Zeichen, so Knepper: "Mit Christus im Wasser unterzutauchen und mit ihm wieder aufzustehen zu neuem und ewigem Leben, wird in dieser Urform der Taufe mit allen Sinnen erlebbar." Anett und Victoria Kühnel haben das am eigenen Leib erfahren: "Das lange Taufgewand hat sich mit Wasser vollgesaugt und mich richtig runtergezogen", erinnert sich Victoria Kühnel. Während sie kniet, taucht der Priester ihren Kopf ins Wasser ein. "Aber nur meine Stirn wurde nass", erzählt sie. Das hätte sie schon vorab mit dem Priester bei der Probe für die Taufe abgesprochen. Sie erinnert sich noch gut an die Taufformel, die der Priester währenddessen gesprochen hat: "Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes". "Da habe ich eine große Kraft in mir gespürt", meint sie im Rückblick. Das werde sie nie mehr vergessen.
Auch ihre Mutter Anett Kühnel ist froh, dass sie getauft worden ist. Gerade die Erfahrung in dem großen Taufbecken sei unbeschreiblich schön und befreiend gewesen. "Schade nur, dass ich das nicht schon viel eher gemacht habe. Dann wäre mir vieles erspart geblieben", glaubt sie. Anett Kühnel möchte weiterhin jeden Sonntag in die Kirche gehen. Sonst fehle ihr etwas, meint sie. Sie gehöre nun komplett zur Gemeinschaft. Nach ihrer Taufe hat sich auch die Firmung und die Erstkommunion gespendet bekommen. "Nun darf ich endlich zur Kommunion", freut sie sich. "Und mit dem Herrgott fange ich jetzt nochmals ganz neu an."