Kölner Prozess könnte "der Anfang vom Ende dieses Geeieres" sein

Mertes: Staatliche Instanz muss Schmerzensgelder festlegen

Veröffentlicht am 07.12.2022 um 17:55 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Der Schmerzensgeld-Prozess eines Missbrauchsbetroffenen gegen das Erzbistum Köln sorgt für Aufsehen. Laut dem Jesuiten Klaus Mertes können solche Zahlungen nicht zwischen Opfern und Institution ausgehandelt werden. Es brauche eine dritte Instanz.

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Anlässlich des aktuellen Prozesses eines Missbrauchsbetroffenen gegen das Erzbistum Köln plädiert der Jesuit Klaus Mertes dafür, dass staatliche Instanzen die Höhe der Schmerzensgelder für Opfer von sexueller Gewalt in der Kirche festlegen. "Solche Zahlungen können ihrem Wesen nach nicht zwischen Betroffenen und Institution ausgehandelt werden", schreibt Mertes in einer Stellungnahme, die katholisch.de vorliegt. Es bedürfe dazu stattdessen einer unabhängigen dritten, also staatlichen Instanz.

Sobald diese Instanz jedoch entscheide, habe das auch Folgen für alle nicht-kirchlichen Institutionen, denen Amtsversagen im Zusammenhang von Missbrauch Schutzbedürftiger vorgeworfen wird oder in Zukunft vorgeworfen werden kann, so Mertes weiter. Aus diesem Grund habe sich "die Politik viele Jahre lang zu dem Thema einen schlanken Fuß gemacht" und stattdessen die Diözesen, Orden und den Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs machen lassen. Der Kölner Prozess könnte daher "der Anfang vom Ende dieses Geeieres" sein.

Am Dienstag war die Schmerzensgeld-Klage eines Missbrauchsbetroffenen gegen die Erzdiözese vor dem Landgericht Köln verhandelt worden. Dabei geht es um insgesamt 805.000 Euro. Der Vorsitzende Richter schlug einen Vergleich mit einem Betrag im unteren sechsstelligen Betrag vor, schloss jedoch höhere Zahlungen nicht aus. Der Betroffene hat bislang vom Erzbistum 25.000 Euro in Anerkennung des Leids erhalten. In seiner Klageschrift verlangt er 725.000 Euro Schmerzensgeld sowie 80.000 Euro für mögliche künftige Schäden.

Lockung des "Sieges" vergiftet

Der Prozess könnte Vorbildcharakter für weitere Schmerzensgeld-Klagen gegen die katholische Kirche haben. Er hinterfragt zudem das vor rund zwei Jahren eingeführte System der freiwilligen Anerkennungszahlungen durch die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA), das für Betroffene in der Regel höchstens 50.000 Euro vorsieht. Aus Mertes Sicht hat die Kirche trotz Kritik von Missbrauchsopfern "aus guten Gründen" bislang an der Regelung festgehalten.

Die Lockung, dass das Erzbistum "als Siegerin" aus dem Prozess hervorgehen könnte, sei dagegen vergiftet, so der Jesuit weiter. "Worin könnte dieser ‘Sieg’ bestehen? In der Öffentlichkeit gut dazu stehen?" Dann stünde wieder das öffentliche Ansehen der Institution im Fokus der Aufmerksamkeit. Wenn der "Sieg" dagegen darin bestünde, einen Präzedenzfall vermieden zu haben, ginge es nur "um das Schmerzensgeld für die eine betroffene Person, nicht aber für alle anderen".

Mertes löste 2010 die Aufdeckung des sexuellen Missbrauchs am Berliner Jesuiten-Gymnasium Canisius-Kolleg aus, dessen Schulleiter er damals war. Damit brachte der den Missbrauchsskandal der Kirche in Deutschland ins Rollen. (mal)