Gutachter für mögliche Selig- und Heiligsprechungen als Nebenjob

Heilig: ja, nein, vielleicht?

Veröffentlicht am 13.12.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Immer wieder gibt es Berichte über Heilige, deren tugendhaftes Leben in Frage gestellt wird – aktuell bei Johannes Paul II. Aber wie wird man überhaupt heilig? Das bestimmt unter anderem der Jesuit Mihaly Szentmartoni als "Teufelsanwalt" im Nebenamt.

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Mihaly Szentmartoni ist Jesuit und nebenbei "Teufelsanwalt". Er ist Gutachter für die Behörde im Vatikan, die über Selige oder Heilige der katholischen Kirche entscheidet. Damit dabei nichts schief läuft, wertet er das Beweismaterial aus und sucht das teuflische Haar in der Suppe. Als "Konsultor" ist er also Gegenspieler des "Postulators", der die Heilig- oder Seligsprechung vorantreibt. Das Prozedere ist komplex und langwierig. Angestoßen und finanziert – durch Spenden – wird es meist von Bistümern. Doch ohne ein "Go" des Papstes wird niemand zur offiziellen Verehrung freigegeben. Der Vatikan fungiert daher wie eine Art bezahlter Dienstleister mit Entscheidungsbefugnis.

Erst kommt die Seligsprechung, dann, wenn es für den Betroffenen gut läuft, die Heiligsprechung. Voraussetzung für Ersteres ist eine tugendhafte Lebensweise in Kombination mit einem Martyrium oder dem Nachweis eines Wunders. Soll ein Seliger auch noch heiliggesprochen werden, geht das Ganze von vorne los. Bei Seligen gilt die Zulassung zur Verehrung regional, bei Heiligen weltweit. In der liebevoll als "Fabrik der Heiligen" bezeichneten Vatikanbehörde sammeln sich davor Papierberge: Dokumente, Archivmaterialien, Zeugenaussagen. Zusammengefasst zur "Positio" beginnt für Gutachter wie Jesuitenpater Szentmartoni die Arbeit. Er sowie bis zu 9 weitere Konsultoren erhalten alle ausgearbeiteten Dokumente in einem dicken roten Buch. 600 Seiten soll es höchstens haben, manchmal sind es deutlich mehr. Einen Monat Zeit hat er, um alles durchzuackern.

Der Lebenslauf der betreffenden Person ist nur der Anfang. Es findet sich auch eine Zusammenfassung aller Tugenden darin – essenziell für den weiteren Fortgang. Grob heißt das: Hat der Mensch als Christ vorbildlich gelebt? Ebenfalls relevant sind die Zeugenaussagen. Fragebögen von etwa 7 Seiten, ausgefüllt von beispielsweise 60 Personen, die den Kandidaten kannten oder jemanden, der ihm nahe stand. Gutachter wie Szentmartoni entscheiden auf dieser Grundlage, ob der Weg zur endgültigen Aufnahme in den Himmel weitergehen soll. Am Ende jeder Beurteilung steht ihr Fazit: "Positiv", "Negativ" oder "Zurückhaltend". Darüber diskutieren dann alle Gutachter, um ein abschließendes Urteil für ihren Auftraggeber zu fällen.

Papst Johannes Paul II. in Polen
Bild: ©KNA-Bild/KNA

Papst Johannes Paul II. wurde in Rekordtempo selig- und heiliggesprochen. Heute steht dieses Vorgehen in der Kritik.

Rund 200 Mal in 20 Jahren hat der Pater das bislang getan – im "Nebenjob". Der Vatikan bucht ihn als eine Art Freiberufler pro Fall. Dafür erhält Szentmartoni eine Aufwandsentschädigung. Hauptberuflich kümmert sich der 77 Jahre alte Ordensmann um Priester in der Ausbildung. Am deutsch-ungarischen Kolleg in Rom berät er Seminaristen in Studienangelegenheiten. Zuvor lehrte der Pater knapp 30 Jahre Psychologie und Spiritualität an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Mitunter sind die Fälle knifflig. Etwa wenn es um Märtyrer geht. Anders als bei "gewöhnlichen" Kandidaten, muss kein Wunder auf Fürsprache eines Märtyrer geschehen sein. Aber ab wann ist ein Märtyrer ein Märtyrer? Wie viel Zeit muss zwischen Folter und Tod vergehen, damit es ein Martyrium ist? Eine weitere Bedingung: Verfolgung aus Hass auf den Glauben. Was tun, wenn die Verfolger ebenfalls Christen sind? Und: Wer kann entscheiden, ob der Märtyrer seinen Tod bewusst in Kauf genommen hat?

Problematisch können auch Fälle eines "Santo subito" werden. "Heilig sofort", skandierten die Gläubigen auf dem Petersplatz kurz nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. (1978-2005). Dessen Nachfolger Benedikt XVI. setzte daraufhin die übliche Regel einer fünfjährigen Wartezeit nach dem Ableben außer Kraft. Der Seligsprechungsprozess startete umgehend. Sechs Jahre später war der Pole Seliger, neun Jahre nach seinem Tod zählte er zur Riege der Heiligen. Trotz der zeitlichen Abkürzung hat die vatikanische Heiligenfabrik nach eigener Aussage das vorgeschriebene Prozedere eingehalten. Dennoch ist der Zeitraum extrem kurz. Bereits Seligsprechungen ziehen sich über Jahrzehnte hin. Bei Päpsten kommt hinzu: Viele Akten zu ihnen schlummern in den Vatikanarchiven, unter Verschluss für 50 Jahre.

Nicht ganz so schnell, aber dennoch zügig wurde Mutter Teresa erst selig-, dann heiliggesprochen. Mit 14 Jahren und wenig Promi-Status gilt die Seligsprechung des italienischen Jugendlichen Carlo Acutis als eine der schnellsten überhaupt. Aber was macht der Vatikan, wenn doch einmal "unheilige" Details ans Licht kommen? Schwerwiegende Verfehlungen, die trotz sorgfältiger Prüfung bislang unbekannt waren. Wer dann schon selig oder heilig ist, Glück gehabt? Einen Präzedenzfall dazu gibt es bislang nicht, die Rücknahme einer Selig- oder Heiligsprechung soll im Vatikan aber durchaus vorstellbar sein. Jesuit Szentmartoni wird weiter nach Fehlern suchen – vor dem offiziellen päpstlichen "Go" zur Verehrungswürdigkeit. Im Februar erwartet er das nächste dicke rote Buch auf seinem Tisch.

Von Severina Bartonitschek (KNA)