Privates bleibt privat
Der Europäische Gerichtshof hat am Dienstag diese Richtlinie gekippt. Die anlasslose Speicherung der Verbindungsdaten aller Telefongespräche und Internetverbindungen sei nicht mit den europäischen Grundrechten vereinbar.
Das Gericht hat damit eines der umstrittensten Gesetze der letzten Jahre aufgehoben. Während die Datensammlung in Deutschland vor allem in den Volksparteien und bei Polizei und Geheimdiensten vehemente Befürworter hat, gibt es ein breites gesellschaftliches Bündnis aus netzpolitischen Interessensvertretungen und Organisationen, darunter die Katholische junge Gemeinde (KjG), die sich seit Jahren dagegen engagieren. Auch die evangelische Konferenz für Telefonseelsorge gehört zu den Kritikern.
Werner Korsten leitet die evangelische Telefonseelsorge in Essen. In deren Bundesverband kümmert sich der Pfarrer um Fragen des Datenschutzes. Er begrüßt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs und sieht seine Kritik bestätigt. Im Gespräch betont er, was für einen großen Stellenwert Vertraulichkeit für seine Arbeit hat.
Telefonseelsorge sei nicht einfach nur ein Seelsorgegespräch, das auch vor Ort bei einer Beratungsstelle oder im direkten Gespräch mit einem Pfarrer oder Sozialarbeiter geführt werden könne: "An uns wenden sich Menschen in schwierigen Lebenssituationen, oft geht es um Tabuthemen, die den Anrufern peinlich sind. Viele, die sich an uns wenden, rufen an, um erst einmal auszuprobieren, über Themen zu reden, die ihnen schwerfallen", erläutert Korsten den Wert anonymer telefonischer Beratung. "Schon das Gefühl, dass die Anrufe erfasst werden könnten, sabotiert das Vertrauen in die Telefonseelsorge."
"Zutiefst private Information"
Dass die Vorratsdatenspeicherung nur unproblematische Verbindungsdaten, nicht aber die Inhalte der geführten Gespräche erfasst, lässt Korsten nicht gelten: "Bereits die Tatsache, dass jemand zur Beichte geht oder eben bei einer Beratungsstelle anruft, ist eine zutiefst private Information." Die Gesetze in Deutschland tragen dem Rechnung: Im Telekommunikationsgesetz ist festgelegt, dass Anrufe bei der Telefonseelsorge und anderen Beratungsstellen nicht in Einzelverbindungsnachweisen auftauchen dürfen. Das schützt Anrufer, die sich etwa wegen Problemen in der Ehe oder Streit mit den Eltern melden. Mit einer anlasslosen Speicherung aller Verbindungsdaten würden auch solche Anrufe in den aufbewahrten Datensätzen festgehalten.
Im Rahmen einer Vorratsdatenspeicherung würden die Verbindungsdaten jedes einzelnen Gesprächs mit den beteiligten Nummern für Monate gespeichert, und bei Handy-Telefonaten zusätzlich die Funkzelle, in der das Mobiltelefon beim Gespräch eingebucht war. Damit ließe sich genau protokollieren, wo und wann man sich während Gesprächen aufgehalten hat. Die vielen Nachrichten über Datenlecks bei großen Internet-Unternehmen zeigten, so Korsten, dass bereits die Aufbewahrung derart großer Datenmengen ein zu großes Risiko sei. "Da kann jederzeit etwas öffentlich werden, da braucht es gar keine NSA und keine Hacker, oft sind es Fehler, die einfach passieren. Der einzig wirksame Datenschutz ist Datenvermeidung!"
In der Politik komme dieser Aspekt in der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung zu kurz. "Auf der Agenda steht hauptsächlich Innenpolitik, um Seelsorge geht es da kaum", verweist der Pfarrer auf eine Schieflage die Diskussion. Wenn Abgeordnete wie der sächsische CDU-Politiker Marco Wanderwitz nach dem Urteil nun von einem "Feiertag für das organisierte Verbrechen" sprechen, kann Korsten nur mit dem Kopf schütteln. "Die Erfahrung der letzten Jahre hat doch ganz eindeutig gezeigt, dass das Instrument der Vorratsdatenspeicherung völlig wirkungslos ist im Kampf gegen das organisierte Verbrechen."
Von Felix Neumann