Graulich stellt Notwendigkeit von kirchlichem Arbeitsrecht in Frage
Der Kirchenrechtler Markus Graulich sieht nach der beschlossenen Reform der Grundordnung des kirchlichen Dienstes keine zwingende Notwendigkeit mehr für ein eigenes Arbeitsrecht der katholischen Kirche in Deutschland. Im Zuge der Neuregelung seien etwa die Maßnahmen bei sogenanntem kirchenfeindlichen Verhalten so abgeschwächt angelegt worden, "dass man sie auch über das allgemeine Arbeitsrecht regeln könnte", sagte Graulich in einem Interview der Wochenzeitung "Die Tagespost". Viele säkulare Unternehmen hätten interne Compliance-Normen und Loyalitätsobliegenheiten, die zu einer sogenannten "verhaltensbedingten Kündigung" führen könnten, die weit über das in der neuen Grundordnung geforderte Maß hinausgingen. "Auch für die Kirche als Arbeitgeber wäre da also mehr möglich gewesen", so der Untersekretär des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte.
Graulich: Manche Änderungen nur durch äußeren Druck auf die Bischöfe erklärbar
Auch darüber hinaus äußerte Graulich Kritik an der Neuregelung. "Es gibt verschiedene Änderungen in der Grundordnung, die ich nicht nachvollziehen beziehungsweise mir nur durch den Druck erklären kann, der von Seiten des sogenannten 'Synodalen Wegs' und anderer pressure groups auf die Bischöfe ausgeübt wird", betonte der Geistliche. Dabei gehe es nicht nur um den Wegfall der bisher aufgeführten Loyalitätsobliegenheiten. So unterscheide die neue Grundordnung auch nicht mehr zwischen verschiedenen Gruppen von Mitarbeitern. "Lapidar wird festgestellt: 'Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, bleibt rechtlicher Bewertung entzogen.' Wie soll aber ein Dienstgeber den kirchlichen Charakter einer Einrichtung stärken und schützen, wenn die Mitarbeiter in ihrer persönlichen Lebensführung der kirchlichen Lehre widersprechen? Wie soll jemand glaubwürdig die kirchliche Lehre verkünden, wenn sie für sein Leben keine Rolle spielt?", fragte der Kirchenrechtler.
Graulich wies darauf hin, dass die von den Bischöfen beschlossene Grundordnung erst dann Rechtskraft in den Bistümern erhalte, wenn der jeweilige Diözesanbischof sie in Kraft setze. "Bei der Gesetzgebung in ihren Diözesen sind die Bischöfe verpflichtet, 'die gemeinsame Ordnung der ganzen Kirche zu fördern und deshalb auf die Befolgung aller kirchlichen Gesetze zu drängen'. Das bedeutet: Diözesane Gesetze dürften der allgemeinen kirchlichen Rechtsordnung nicht widersprechen", betonte der Geistliche. Vor diesem Hintergrund wären laut Graulich Änderungen an der Grundordnung erforderlich, um sie der allgemeinen Gesetzgebung der Kirche anzugleichen. "Der inner- und außerkirchliche Druck auf die Bischöfe scheint mir aber so groß zu sein, dass wohl alle den Text so veröffentlichen werden, wie er verabschiedet wurde", mutmaßte der Geistliche.
"Differenzierung wäre in der Grundordnung das Mittel der Wahl gewesen"
Einen Druck der allgemeinen Rechtsprechung, nachdem es keinen Sinn habe, dass sich einzelne Bischöfe der neuen Grundordnung widersetzten, sieht Graulich allerdings nicht: "Das Grundgesetz garantiert der Kirche ein Selbstbestimmungsrecht. Die europäische Rechtsordnung kennt den Tendenzschutz, das heißt, Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften können in ihrem Bereich die Arbeitsbeziehungen ihrem Ethos entsprechend gestalten." Dies gelte vor allem für Mitarbeiter, die am Verkündigungs- und Sendungsauftrag der Kirche im engeren Sinn teilhätten. "Für sie hätten auch weiterhin verpflichtende Loyalitätsobliegenheiten aufgestellt werden können", so der Kirchenrechtler. Die Rechtsprechung habe diese bisher nur im Hinblick auf solche Angestellte in kirchlichen Einrichtungen infrage gestellt, deren Mitarbeit am Sendungs- und Verkündigungsauftrag der Kirche eher mittelbar sei. "Von daher wäre auch in der neuen Grundordnung Differenzierung das Mittel der Wahl gewesen", erklärte Graulich.
Die deutschen Bischöfe hatten im November neue Regeln für Beschäftigte in katholischen Einrichtungen beschlossen. Unter anderem soll künftig der "Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre", rechtlichen Bewertungen entzogen werden, heißt es in der neuen Grundordnung. Für eine zweite Ehe oder eine gleichgeschlechtliche Beziehung droht auch für katholische Beschäftigte damit nicht mehr die Kündigung. Damit die Grundordnung geltendes Recht wird, muss sie von den einzelnen Diözesanbischöfen für ihr Bistum als bischöfliches Gesetz jeweils einzeln in Kraft gesetzt werden. (stz)