Ein Vermächtnis von Benedikt XVI. ist seine Verletzlichkeit
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Die Welt blickt zwischen den Jahren nach Rom: Von dort kommen schlechte Nachrichten zum Gesundheitszustand von Benedikt XVI. Viele machen sich bereit, ihren finalen Richterspruch über das Pontifikat zu fällen. Nicht wenige werden bilanzieren, dass der emeritierte Papst zu wenig im Kampf gegen Missbrauch unternommen habe. Es ist unbestritten, dass er mehr hätte tun können und müssen. Das vereint ihn mit nahezu allen, die in der Vergangenheit in der Kirche Verantwortung hatten. Von Benedikt kommt aber auch ein Impuls, der in diesem Zusammenhang langfristig wichtig werden könnte. Er stand zu seiner Vulnerabilität, zu seiner Verletzlichkeit. Als er 2013 spürte, dass seine Kräfte schwinden, erklärte er seinen Rücktritt.
Ausgerechnet für den scheinbar so konservativen Joseph Ratzinger stand das Amt nicht über allem. Das widersprach der bisherigen Amtstheologie, bei der es darum ging, immer stark, vollkommen, ja heiligmäßig zu sein. Das Problem daran: Kein Mensch ist perfekt. Wer aber meint, qua Weihe keine Schwäche zulassen zu dürfen, verfällt in schädliche Bewältigungsmechanismen. Erstens: Er verdrängt eigene Probleme – was es nicht geben darf, gibt es nicht. Das reicht von blinden Flecken in Bezug auf die eigene Persönlichkeit bis hin zu einem etablierten Doppelleben. Zweitens: Er kompensiert diese Probleme, zum Beispiel durch Alkohol, Essen oder Schlimmeres – weil er seine Schwierigkeiten nicht zugeben und schon gar nicht um Hilfe für deren Bearbeitung bitten kann. Und drittens: Er erwartet von anderen, was er selbst nicht erfüllen kann. Eine Amtstheologie, die das Menschliche der Träger ausklammert, führt notgedrungen zu Unmenschlichkeit.
Benedikt XVI. hat mit dem Eingeständnis der eigenen Verletzlichkeit eine Gegenstrategie gezeigt, die wegweisend werden sollte. Wer zu eigenen Grenzen steht, wird sensibel für die Grenzen anderer. Ich wünsche mir, dass dieses Vermächtnis Benedikts in die Priesterseminare und überhaupt in die kirchlichen Milieus dieser Welt eingeht: dass es keine Schwäche bedeutet, Schwäche zuzugeben.
Die Autorin
Theresia Kamp hat Theologie und Romanistik studiert. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Pastoraltheologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und schreibt regelmäßig für verschiedene christliche Medien.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.