Bode: Die Türen der Kirche müssen für Ausgetretene offen bleiben
Hunderttausende Menschen in Deutschland treten jedes Jahr aus der Kirche aus – oft auch aus Protest gegen die Institution Kirche. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode hat dafür Verständnis und denkt über Beteiligungsmöglichkeiten für Ausgetretene nach. Im Interview spricht er aber auch über Kritik an ihm, weil er sich weigert, im Rahmen der Missbrauchsaufarbeitung in seiner Diözese dem Papst seinen Rücktritt anzubieten – und beantwortet die Frage, ob auch Menschen wegen ihm austreten.
Frage: Bischof Bode, Sie haben sich mit dem Thema des Umgangs mit Ausgetretenen immer wieder beschäftigt. Dabei haben Sie Verständnis geäußert und angemerkt, dass diese Gruppe mehr in den Blick genommen werden muss. Wird sie das bis jetzt zu wenig?
Bode: Es wird zu wenig beachtet, dass inzwischen sehr viele der Menschen, die ausgetreten sind, aus der Mitte der Kirche kommen. Mit ihnen sollten wir ganz besonders in Verbindung bleiben. Sie machen oft klar, dass sie eine Beziehung zur Kirche und zum Glauben behalten möchten. Da ist es wichtig, in Kontakt zu bleiben. Das ist nicht einfach, es werden auch keine Massen sein, die wir erreichen. Aber es lohnt sich.
Frage: Die Leipziger Trinitatiskirche hat auf Plakaten Ausgetretene zu den Sakramenten eingeladen, obwohl das rechtlich gesehen nicht möglich ist. Halten Sie das denn für den richtigen Weg?
Bode: Man wird sehr verschiedene Wege gehen müssen. Es sollte deutlich werden, dass die Türen der Kirche auch für Ausgetretene offen bleiben. Ich finde es gut, wenn man sie etwa zum Gespräch einlädt. Wir machen es hier in Osnabrück so, dass wir auf Briefe von Ausgetretenen reagieren und uns melden. Wir bieten ein Gespräch an und signalisieren: Ihr seid immer willkommen!
Wir haben hier in Deutschland durch die Körperschaft öffentlichen Rechts eine Sondersituation, die das Zurückkommen nach einem Austritt schwierig macht. In anderen Ländern kann man ohne Weiteres bei irgendeiner Gelegenheit wieder dabei sein. Nach einem Austritt bei einem deutschen Amtsgericht ist das nicht so einfach, das müssen wir in den Blick nehmen.
Frage: Ist diese hohe Hürde nicht auch selbstverschuldet? Es gab lange einen Standardbrief an Ausgetretene, an dem es viel Kritik gab, nicht zuletzt wegen des wenig zugewandten Duktus. Dazu kommt der Ausschluss von den Sakramenten für Ausgetretene, die ja auch weltkirchlich sehr umstritten sind. Ist das alles überhaupt sinnvoll?
Bode: Dieser Standardbrief ist nach hinten losgegangen, wenn ich das so sagen darf. Wir wollten eigentlich deutlich machen, dass der Austritt keine Exkommunikation nach sich zieht. So war es ursprünglich in Deutschland geregelt und das wurde nach Gesprächen mit dem Vatikan zurückgenommen. Man hat stattdessen die Folgen eines Austritts benannt.
Frage: Die ja fast die gleichen sind wie bei einer Exkommunikation.
Bode: Diese konkreten Folgen überraschen viele Menschen. Es muss aber auch klar sein: Wenn jemand aus einer Solidargemeinschaft austritt, kann das nicht völlig folgenlos sein. Ich glaube aber, dass es sehr darum geht, wie man das formuliert. Deshalb haben wir diesen Brief zurückgenommen und uns in der Pastoralkommission bemüht, Elemente für einen neuen Brief zu benennen, der aber immer aus der Situation vor Ort geschrieben werden muss.
Frage: Das heißt, es wird nicht nochmal ein einheitliches Muster für alle geben.
Bode: Es wird höchstens Vorschläge oder Bausteine geben, wie man so etwas formulieren kann. Es geht um praktische Beispiele, wie man Menschen erreichen kann. Ich glaube, gerade jetzt, wo wir viele der austretenden Menschen in den Gemeinden kennen, kann man sie leichter ansprechen. Ich habe bei der letzten Visitation ein Gespräch mit Ausgetretenen gehabt. Zwei Stunden lang haben sie mir ihre sehr unterschiedlichen Motivationen für den Austritt dargelegt. Ich habe dann gefragt: Was soll ich tun? Sie haben dann gesagt: Solche Gespräche führen. Das mache ich auch. Ich habe hier im Bischofshaus schon manche sitzen gehabt, die mir gesagt haben, dass sie Kontakt zur Kirche behalten wollen und auch bereit sind, für bestimmte Dinge zu spenden. Das sind alles neue Überlegungen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Natürlich gehört aber dazu, dass das System gerecht bleibt, auch den Kirchenmitgliedern gegenüber.
Frage: Wie stellen Sie sich den künftigen Umgang mit Ausgetretenen vor?
Bode: Wichtig ist es, den Kontakt zu halten, mit Treffen, Gesprächsfäden, kleinen Gruppen, in denen es um den Glauben geht. Es geht also nicht darum, die rechtliche Seite noch nach vorne zu kehren. Wir müssen zwar den Schritt ernst nehmen, Zugang zu Sakramenten kann es also nicht ohne Gespräch geben. Wir müssen über Motivationen sprechen. Es gibt in der ganzen Gesellschaft eine Entfremdung von Institutionen, dazu kommt die fortschreitende Säkularisierung. Die Leute haben in der Pandemie gemerkt, dass man auch ganz gut ohne Beziehung zum Gottesdienst leben kann. Existenzielle Fragen stellen sich aber weiterhin, da müssen wir dranbleiben.
Frage: Wie kann das denn praktisch aussehen?
Bode: Es gibt da viele Möglichkeiten. Bei Taufen oder Beerdigungen müssen wir nach Wegen schauen, ob und wie wir vielleicht Zugänge gewähren können. Natürlich kann ich nicht ohne Weiteres jemandem, der aus der Kirche ausgetreten ist, ein Sakrament spenden. Aber vielleicht seinen Kindern. Da müsste man das Gespräch suchen. Wir brauchen also eine sehr differenzierte Pastoral.
Frage: Das heißt, Ausgetretene dürfen ihr Kind taufen lassen, wenn sie beispielsweise 200 Euro bezahlen.
Bode: Damit tue ich mich sehr schwer. Wobei man natürlich fragen muss, warum sie den Solidarbeitrag nicht bezahlen, aber etwa unsere Einrichtungen nutzen wollen. Es muss ein Beitrag sein, gern auch ein sozialer Beitrag, der dann geleistet wird. Das alles ist aber noch völlig im Fluss. Es muss alles getan werden, damit wir in der Kirche Gemeinschaft und Beheimatung bieten. Denn auf die Dauer ist ein rein individueller Glaube schwierig. Unser christlicher Glaube ist sehr auf ein Wir angelegt. Es muss also neue Wir-Formen geben, die nicht nur gemeindlicher Art sind und eher den Fragestellungen und Bedürfnissen der Menschen entsprechen.
Frage: Sie können sich also Andachten für Christen und Nicht-mehr-Christen vorstellen.
Bode: Es muss Gottesdienste geben, wo wir offen für alle sind. Das ist bereits bei jeder Wortgottesfeier möglich, diese Angebote müssen wir schaffen. Die Beziehung zum Wort zu behalten, finde ich ganz wichtig. Die Beziehung zum Christentum lebt über das Wort. Also kann auch ein Bibelkreis möglich sein, wo man sich der Gemeinschaft und auch den Sakramenten wieder annähern kann. Dazu kommen Gespräche und vielleicht auch individuelle Angebote in der Kirche. Das muss mehr sein, als nur eine Kerze anzuzünden.
Frage: Wir haben nun viel darüber gesprochen, Menschen wieder an den Glauben heranzuführen. Aber manchmal ist es nicht der Glaube, sondern die Institution, die das Problem ist. Wie kann man denn auf solche Leute zugehen?
Bode: Das wird nur gehen, wenn man bei ihrem persönlichen Glauben ansetzt, ihrer persönlichen Suche, ihrer Lebenssituation. Das kann bei Kasualien sein, wo ja auch oft Ausgetretene dabei sind. Da muss das Umfeld dann so sein, dass man ins Gespräch kommt und Kontakt findet.
Frage: Es gibt auch Menschen, die wegen Einzelpersonen austreten. Nach dem Streit bei der Missbrauchsaufarbeitung und der kirchlichen Anzeige gegen Sie – auch wegen Ihnen?
Bode: Ja, das gibt es durchaus, auch wenn ich davon häufig nichts mitbekomme. Manche sagen mir aber: Also jetzt ist das Maß voll, ich bin enttäuscht von Ihnen und ich habe mich von der Kirche abgemeldet.
Frage: Was sagen Sie denen?
Bode: Das tut mir sehr leid. Ich habe Fehler gemacht. Ich kann mich nicht rechtfertigen. Das habe ich auch immer deutlich gesagt. Ich mache aber auch deutlich, dass Kirche mehr ist als das, was wir zurzeit in verschiedenen, sehr negativen Dingen erleben.
Frage: Wird Ihnen auch gesagt, dass Sie daran auch selbst Schuld sind?
Bode: Das wird der Amtskirche immer wieder vorgeworfen. Wir haben auch oft nicht genug den Kontakt zu Betroffenen gesucht. Die Betroffenen müssen dabei allerdings die Weise bestimmen können, wie sie mit uns in Kontakt treten. Wir dürfen nicht übergriffig sein, sondern müssen behutsam vorgehen. Sie müssen die Bereitschaft spüren, dass wir reden wollen. Das war zu oft nicht der Fall.
Frage: Betroffene haben Sie beim Vatikan angezeigt – können Sie da noch ein aufrichtiger Ansprechpartner sein?
Bode: Wenn man Vertrauen verloren hat, sind ein Gespräch und ein Dialog schwieriger. Andererseits kann über einen Dialog Vertrauen auch neu aufgebaut werden. Manche können nur mit jemand anderem als mit mir sprechen – und tun das auch. Die Menschen sind da sehr unterschiedlich.
Frage: Sie stehen aber weiter hinter Ihrer Entscheidung, dem Papst nicht den Rücktritt anzubieten?
Bode: Ich bin der Meinung, dass das ein Teil meiner Verantwortung ist. Ich habe vieles falsch gemacht, aber ich denke, ich habe noch Zeit, neues Vertrauen aufzubauen. Das ist eine Abwägungsfrage. Ich möchte weiterhin Verantwortung übernehmen, um die Dinge zum Besseren zu führen. Deshalb stehe ich immer noch dahinter.
Frage: Sorgt das weiter für scharfe Reaktionen?
Bode: Ja, die gibt es immer noch. Manchmal raten auch Therapeuten Betroffenen, sich mit einem Vertreter der Amtskirche zu treffen. Also auch mit mir. Das gehört zum Amt, das ist auch richtig so. Ebenso ist es bei meinen Mitarbeitern. Die haben den Mut, anzusprechen, dass da Vertrauen verloren gegangen ist. Und das sagt ja schon etwas über die Atmosphäre hier im Bistum aus.
Frage: Es setzt sich also auch eine Sekretärin zu Ihnen und sagt, was ihr nicht passt?
Bode: Ich habe immer dazu eingeladen, Kritik zu äußern. Natürlich freue ich mich über konstruktive Kritik. Und es gibt Grenzen, Hasstiraden zum Beispiel. Aber wichtig ist, dass man im Gespräch bleibt. Ich glaube, dass diese hörende Aufmerksamkeit von Kirche immer noch erwartet wird. Trotz allem Desaster.