Top-Juristin an der Kurie: "Frauen im Vatikan vernetzen sich anders"
Papst Franziskus beruft verstärkt Frauen in Führungspositionen. Die Juristin Francesca di Giovanni (69) ist Untersekretärin im Staatssekretariat, der vatikanischen Leitungszentrale. Im Interview spricht sie über ihre und andere Perspektiven.
Frage: Frau di Giovanni, sind Sie die mächtigste Frau im Vatikan? Und: Welchen Unterschied machen Frauen in der Vatikan-Hierarchie?
Di Giovanni: Ersteres stimmt sicher nicht. Zur zweiten Frage möchte ich ein Beispiel nennen, auf das wir ein wenig stolz sind: Wir haben 2021 in Vorbereitung auf die UN-Klimakonferenz in Glasgow lange mit Vertretern verschiedener Religionen gearbeitet. Wir trafen uns jeden Monat per Videoschalte und versuchten, eine gemeinsame Linie zu finden, die wir – also Hindus, Muslime, Juden, Christen usw. – gegenüber den Regierungen vertreten konnten. Wir tauschten uns dafür auch mit Wissenschaftlern aus.
Unser Ausgangspunkt war, dass wir – als Religionen – uns um die Welt kümmern müssen; um die Natur, die Umwelt, in der Menschen leben. Schließlich verabschiedeten wir am 4. Oktober 2021 einen Aufruf an die Klimakonferenz und traten dabei als eine gemeinsame Stimme der Religionsgemeinschaften in diesem multilateralen Kontext auf. Ohne verallgemeinern zu wollen: Ich glaube, dass Frauen zu dieser Art Arbeitsstil etwas Besonderes beitragen können. Es ist ein geschwisterlicher Arbeitsstil. Man könnte das mit einer Mutter vergleichen: Eine Mutter versucht, die Kinder zusammenzuhalten, auch wenn sie streiten; um das Gute in jedem Einzelnen zu finden, mit jedem Einzelnen zu sprechen.
Frage: Heißt das, Frauen sind besser im Networking?
Di Giovanni: Frauen sind für diese Rolle geeignet. Es gibt auch sehr fähige Männer, die sich gut vernetzen können. Genauso wie es Frauen gibt, die sich dafür nicht eignen. Aber es liegt mehr in der Natur der Frau, Kontakte herzustellen; zu versuchen, die verschiedenen Stimmen zu Gehör zu bringen und so weit wie möglich einen gemeinsamen Standpunkt anzustreben. Ein Vorbild ist Eleanor Roosevelt, die als Leiterin der Vorbereitungskommission für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ganz besonderes diplomatisches Geschick bewies.
Frage: In kirchlichen Führungspositionen sind Frauen deutlich in der Unterzahl.
Di Giovanni: Das sollte sich verbessern, genauso wie in der Wirtschaft. Wir sehen jetzt, dass bestimmte Positionen von Frauen besetzt sind. Aber das muss noch mehr werden, vor allem im globalen Süden. Zuvor gilt es, Frauen Zugang zu Bildung zu erleichtern. Deshalb beharrt die Kirche darauf, dass Mädchen in die Schule gehen dürfen. Eine qualitativ hochwertige Bildung für alle Mädchen ist mein innigster Wunsch.
Frage: In der katholischen Kirche gelten Heilige als Vorbilder. Darunter sind viele Ordensfrauen, die für ihre Unterwürfigkeit und nicht für ihren Durchsetzungswillen gelobt werden. Ist das nicht ein Widerspruch zu dem, was Sie gesagt haben?
Di Giovanni: Die meisten dieser Heiligen haben sich freiwillig für diesen Dienst entschieden. Sicher muss man auch den kulturellen und den historischen Kontext sehen. Aber wir haben auch einige sehr freimütige Heilige wie zum Beispiel Katharina von Siena, die selbst Bischöfen und Päpsten Rat erteilte. Oder Teresa von Avila. Und man sollte auch grundsätzlich fragen, ob es korrekt ist, Autorität in der Kirche als Macht wahrzunehmen. Ich glaube, dass Autorität in der Kirche mehr als Dienst am Menschen gesehen werden müsste; ein Dienst an Gott und am Nächsten. Das würde auch viele hierarchische Überbauten zum Einsturz bringen. Jeder hat eine Rolle, die ihm Autorität verleiht – aber er muss diese Rolle als Dienst begreifen.
Frage: Sind Männer und Frauen in der Kirche Partner auf Augenhöhe?
Di Giovanni: Ich meine es mehr im Sinne des Evangeliums; ich sehe mehr Brüder und Schwestern, nicht Männer und Frauen, wie Paulus sagte. Denn es gibt verschiedene Rollen, für die der eine oder andere besser oder schlechter geeignet ist. Nichts darf jedoch zu einer Knechtschaft ausarten. Jeder soll in Freiheit seinen eigenen Beitrag leisten können; jeder soll sein können, was er ist. Das geht über eine Rolle hinaus, und wenn, dann immer eine Rolle im Dienst.
Frage: Was sagen Sie Frauen, wenn sie in der Kirche, im Vatikan arbeiten, wenn sie Karriere machen wollen?
Di Giovanni: Als erstes soll sich die junge Frau bilden, Kenntnisse erwerben, die sie dann als Beitrag in der Kirche einbringen kann. Heute leben wir in einer Zeit, in der der Beitrag einer Frau in der Kirche wertgeschätzt werden sollte. Sicher gibt es Widerstand; aber ich sehe Fortschritte, vor allem für professionelle und gut ausgebildete Frauen. Der Papst will eine stärkere weibliche Präsenz auch in der Römischen Kurie. Mit seinen Ernennungen versucht er, das zu unterstreichen. Neben Professionalität muss auch Treue zur Kirche und zum Evangelium bei jedem und jeder vorhanden sein. Ich nenne das 'Treue in Freiheit'.