Erste Kardinäle fordern Ehrung Benedikts XVI. als Kirchenlehrer
Nach dem Tod des emeritierten Papstes werden erste Forderungen laut, Benedikt XVI. zum Kirchenlehrer zu erklären. Der Wiener Kardinal und Ratzingerschüler Christoph Schönborn sagte in einem Interview mit der italienischen Zeitung "Corriere della Sera", dass er Benedikt XVI. unter die großen Kirchenlehrer einordnet: "In meiner Bibliothek habe ich die Werke von Papst Benedikt neben denen des Heiligen Augustinus aufgestellt." Er werde unter den Großen der Theologiegeschichte bleiben, an die man sich noch Jahrhunderte erinnern werde. "Wir werden uns an Joseph Ratzinger im 20. Jahrhundert erinnern, wie wir uns an John Henry Newman im 19. Jahrhundert und Thomas von Aquin und Bonaventura im 13. Jahrhundert erinnern", so Schönborn weiter.
In einem von der Tagespost-Stiftung herausgegebenen Interview sagte Kurienkardinal Kurt Koch zwar, dass er einem Urteil des Papstes nicht vorgreifen wolle. Er hoffe aber auf die Ehrung, da Ratzinger nicht nur ein hervorragender Theologe als Wissenschaftler gewesen sei, sondern auch stets im Dienst der Verkündigung des katholischen Glaubens gestanden habe. Er habe nicht danach gestrebt, eine "originelle" Theologie zu entwickeln, sondern sein theologisches Denken an der Offenbarung Gottes in der Heilsgeschichte orientiert. "Diese Grundhaltung macht einen wahren Kirchenlehrer aus, so dass mit Recht darauf gehofft werden darf, dass Papst Benedikt XVI. eines Tages in die Schar der großen Theologen auf der päpstlichen Kathedra wie Leo der Große und Gregor der Große aufgenommen werden wird", so Koch.
Gegenüber der italienischen Zeitung "La Stampa" drückte der ehemalige Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, seine Hoffnung aus, dass die moderne Welt sich endlich entscheiden werde, auf ihn zu hören: "Ich hoffe, er wird bald zum Kirchenlehrer erklärt." Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der von Benedikt zum Präfekten der Glaubenskongregation ernannt wurde, bezeichnete den verstorbenen Papst im US-amerikanischen "National Catholic Register" als "großen Denker und echten Kirchenlehrer von heute". Bei der Generalaudienz am Mittwoch würdigte Papst Franziskus seinen Vorgänger als "großen Lehrmeister der Glaubensunterweisung". "Sein scharfes und feinfühliges Denken war nicht selbstbezogen, sondern kirchlich, weil er uns immer zur Begegnung mit Jesus führen wollte", so der Papst.
Auch bei Johannes Paul II. Rufe nach Ehrung
Seit dem 13. Jahrhundert wurden bedeutende Theologen formal mit dem Titel "Doctor Ecclesiae", "Kirchenlehrer", geehrt. Mittlerweile gibt es ein festgelegtes Verfahren, nach dem der Papst Kirchenlehrer ernennt. Das Verfahren ähnelt dem einer Heiligsprechung, setzt aber keine formelle Selig- oder Heiligsprechung voraus. Mittlerweile gibt es 37 Kirchenlehrer. Papst Franziskus hat bislang zwei neue Kirchenlehrer ernannt, den armenischen Mönch und Mystiker Gregor von Narek (951 bis 1003, ernannt 2015) sowie Irenäus von Lyon (um 135 bis 200, ernannt 2022). Im Pontifikat von Benedikt XVI. wurden 2012 die Mystiker Johannes von Avila (1499 bis 1569) und Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) zu Kirchenlehrern ernannt.
Auch Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. (1920–2005) war als Kirchenlehrer im Gespräch. Einen entsprechenden Antrag der Polnischen Bischofskonferenz, den 2014 heiliggesprochenen Papst aus Anlass seines 100. Geburtstags 2020 zum Kirchenlehrer und Patron Europas zu ernennen, lehnte das vatikanische Staatssekretariat im selben Jahr ab. Anders als bei den in letzter Zeit teilweise wenige Jahre nach dem Tod erfolgten Seligsprechungen wird der Titel des Kirchenlehrers bisher in größerem Abstand zum Tod verliehen. Die 1897 verstorbene Karmelitin Thérèse von Lisieux ist im Kreis der Doctores Ecclesiae die jüngste und wurde 100 Jahre nach ihrem Tod ausgezeichnet. Weniger Zeit zwischen Tod und Ernennung vergingen nur bei dem Moraltheologen Alfons von Liguori (1696 bis 1787, ernannt 1871). (fxn)