"Wer respektiert werden will, muss selbst auch respektieren"

Kirche und Politik nach Aufruhr in Brasilien: Demokratie schützen

Veröffentlicht am 09.01.2023 um 15:08 Uhr – Lesedauer: 

Brasilia ‐ Die Bilder wecken Erinnerungen an Washington vor zwei Jahren: Eine aufgebrachte Menge in Brasilien stürmt Regierungsgebäude. Die Reaktionen weltweit reichen von Betroffenheit bis hin zu Mahnungen zum Schutz der Demokratie.

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Nach dem Sturm tausender Demonstranten auf Regierungsgebäude sehen Politik und Kirche eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie in Brasilien. Die Wut der mutmaßlichen Anhänger des ehemaligen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro richtete sich dabei gegen dessen Amtsvorgänger Luiz Inacio Lula da Silva. Die Demonstranten werfen dem Linkspolitiker Korruption sowie Manipulation der Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober vor. International, aber auch im größten Land Lateinamerikas selbst lösten die Angriffe Bestürzung aus.

Präsident Lula, der sich zum Zeit des Aufruhrs im Bundesstaat Sao Paulo und nicht in der Hauptstadt aufhielt, bezeichnete die Aktion als "Akt von Vandalen, Terroristen und Faschisten". Er kündigte Ermittlungen und eine harte Hand gegenüber den Angreifern und den Hintermännern an.

"In einem demokratischen Zusammenleben ist für so etwas kein Platz"

Die katholische Kirche in Brasilien mahnte zu Besonnenheit und forderte die Demonstranten dazu auf, "kriminelle Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat sofort zu beenden". Die Verursacher des Aufruhrs müssten "mit der gesamten Härte des Gesetzes zur Verantwortung gezogen werden", schrieb die brasilianische Bischofskonferenz über Twitter.

"In einem demokratischen Zusammenleben ist für so etwas kein Platz", erklärte der Erzbischof von Sao Paulo, Kardinal Odilo Scherer, über den Kurznachrichtendienst. "Es ist nun notwendig, die Gemüter zu beruhigen. Wer respektiert werden will, muss selbst auch respektieren."

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Das katholische Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat sieht Brasilien am Scheideweg zwischen Demokratie und Diktatur. "Der Angriff auf die demokratischen Institutionen muss ein Weckruf für all jene in Kirche, Staat und Gesellschaft sein, die nach wie vor Bolsonaro und seine Leute für eine demokratische Alternative im brasilianischen Politiksystem halten", erklärte der Leiter der Auslandsabteilung bei Adveniat, Thomas Wieland.

Auch die internationale Politik verurteilte die Vorfälle umgehend. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf Twitter: "Die gewalttätigen Attacken auf die demokratischen Institutionen sind ein Angriff auf die Demokratie, der nicht zu tolerieren ist." Deutschland stehe fest an der Seite des brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva und der Bevölkerung. Ähnlich äußerte sich der französische Präsident Emmanuel Macron: "Der Wille des brasilianischen Volkes und der demokratischen Institutionen müssen respektiert werden!"

Ähnliche Situation in den USA vor einem Jahr

Auch US-Präsident Joe Biden sprach Lula seine Unterstützung aus. Vor fast genau zwei Jahren war es in den USA zu einer ähnlichen Situation gekommen: Am 6. Januar 2021 hatten Anhänger des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump das Kapitol in Washington, den Sitz des US-Parlaments, gestürmt. Auch hier waren es unbelegte Vorwürfe der Wahlmanipulation, die die Demonstranten antrieben.

Der neue brasilianische Präsident Lula hatte am 30. Oktober mit weniger als 2 Prozent Vorsprung die Stichwahl gegen Amtsinhaber Bolsonaro gewonnen. Der Rechtspopulist hatte seine Niederlage jedoch nicht eingestanden. Stattdessen ermunterte er seine Anhänger, gegen Lulas Sieg zu protestieren. So sperrten Bolsonaro-Anhänger über Wochen landesweit Straßen. Zudem kampieren Tausende vor den Kasernen, um das Militär zu einem Putsch aufzufordern.

Bolsonaro selbst hatte bereits am 30. Dezember Brasilien verlassen. Das sollen ihm seine Anwälte geraten haben, um nicht für mögliche Unruhen verantwortlich gemacht zu werden. Der Ex-Militär hält sich seitdem im amerikanischen Florida auf. (KNA)