Standpunkt

Die Regierung riskiert Kulturkampf beim Thema Abtreibung

Veröffentlicht am 11.01.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Man könne die Bundesregierung nur davor warnen, Hand an den Kompromiss zur Abtreibung zu legen, kommentiert Ulrich Waschki. Statt die Debatten der 90er Jahre wieder zu entfachen, sieht er einen anderen Diskurs als dringender an.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Es war zu erwarten: Die grüne Bundesfamilienministerin Lisa Paus setzt sich für eine Streichung des Abtreibungsparagrafen 218 ein. Damit geht sie über den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung hinaus, der eigentlich erst einmal eine Kommission für diese Frage einsetzen wollte. Das Ziel vieler Linker und Liberaler: Abtreibung soll ein medizinischer Eingriff wie jeder andere werden. Bisher gilt: Schwangerschaftsabbrüche sind verboten und strafbar, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei. Diese Regel soll nun weg.

Man kann die Regierung nur davor warnen, Hand an den mühsam errungenen Kompromiss zur Abtreibung zu legen. Das deutsche System ist sicher nicht ideal, aber es hat sich bewährt. Die Überzeugung, dass menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt und von da an absoluten Schutz genießen muss, teilen eben nicht alle. Daher wird man Abtreibungen unter den Bedingungen unserer Gesellschaft nicht vollständig per Gesetz verhindern können. Zumal die Geschichte zeigt, dass dieser Versuch nur mehr Leid verursacht und Leben kostet. Dennoch darf Abtreibung eben kein Eingriff wie jeder andere werden. Denn es geht um das Leben eines ungeborenen Kindes. Schon jetzt ist das Bewusstsein dafür bei vielen verlorengegangen. Dieser Entwicklung darf man nicht weiter Vorschub leisten.

Unser Recht versucht, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, in dem zwischen den Interessen der Frau und des ungeborenen Kindes abgewogen werden muss. Die Abtreibungsrate bei uns ist im internationalen Vergleich relativ niedrig. Anders als in anderen Ländern tobt um das Thema bisher kein Kulturkampf. Die Regierung sollte dies nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Statt längst abgeschlossene Debatten der 90er Jahre wieder zu entfachen, sollten wir gesellschaftlich viel mehr darüber nachdenken, wie Frauen das Ja zum Kind erleichtert werden kann. Das wäre eine Aufgabe für eine Familienministerin.

Von Ulrich Waschki

Der Autor

Ulrich Waschki ist Geschäftsführer und Chefredakteur der Verlagsgruppe Bistumspresse.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.