Die Kurden bekommen Waffen
Die kurdische Armee im Nordirak soll unter anderem 500 Panzerabwehrraketen, 16.000 Sturmgewehre und mehrere Millionen Schuss Munition für ihren Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat erhalten. Die ersten Waffen sollen in rund zwei Wochen im Nordirak eintreffen. Die Lieferung hat einen Gesamtwert von etwa 70 Millionen Euro.
Die Entscheidung der Bundesregierung, die sich bereits am Vorabend für Waffenlieferungen ausgesprochen hatte, sei erst nach sorgfältiger Abwägung getroffen worden, so Merkel in einer Regierungserklärung am Montag vor dem Bundestag. Die Bundesregierung sei sich auch der Risiken bewusst. Zugleich gelte aber: "Das immense Leid vieler Menschen schreit zum Himmel und unsere eigenen Sicherheitsinteressen sind bedroht."
Das, was ist, wiege in diesem Fall schwerer als das, was sein könnte, fügte die Kanzlerin hinzu. "Wir haben jetzt die Chance, das Leben von Menschen zu retten und weitere Massenmorde im Irak zu verhindern. Wir haben jetzt die Chance zu verhindern, dass sich die Terroristen einen weiteren sicheren Rückzugsort schaffen. Diese Chance müssen wir nutzen."
Deutschland soll mehr Flüchtlinge aufnehmen
Gleichzeitig sagte die Kanzlerin eine zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak zu. "Dort wo Menschen in Not sind, werden wir helfen auch durch zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen", sagte Merkel. Nichtsdestotrotz müsste ein drohender Zerfall des Iraks verhindert werden. "Uns liegt es fern, zentrifugale Kräfte im Irak zu unterstützen", erklärte sie. "Im Kern geht es darum, das irakische Staatsgefüge vor einem Verfall zu bewahren." Der Irak brauche jetzt einen "Prozess der Aussöhnung".
Unter Leitung von Angela Merkel hatte eine Ministerrunde am Sonntagabend beschlossen, die Kurden mit Waffen aus den Beständen der Bundeswehr auszurüsten. Darüber hatte der Bundestag nun noch einmal abgestimmt.
Die Lieferung und Übergabe der Waffen werde "auf vom Bürgerkrieg nicht unmittelbar betroffenem, sicherem Gebiet erfolgen", erklärte das Verteidigungsministerium am Sonntagabend. Falls eine Ausbildung erforderlich sei, finde diese "grundsätzlich in Deutschland" statt, eventuell aber auch im Raum Erbil "oder in einem Drittstaat". "Für eine dafür gegebenenfalls erforderliche Entsendung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bedarf es keines Mandates", erklärte das Ministerium.
Oppermann verteidigt Entscheidung als Nothilfe
Die Grünen-Fraktion im Bundestag hat sich wie erwartet mehrheitlich gegen Waffenlieferungen Deutschlands in den Nordirak ausgesprochen. Die Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, hatte sich bereits im Vorfeld der Abstimmung "hoch skeptisch" im Blick auf die angekündigte deutsche Waffenhilfe für den Nordirak geäußert. Zwar gebe es auch in ihrer Partei die Haltung, eine solche Maßnahme könne "als Nothilfe sinnvoll sein"; es gehe aber nicht an, sich auf die Lieferung "von Zehntausenden von Waffen" zu beschränken, sagte Göring-Eckardt am Montag im Südwestrundfunk. Zugleich betonte die Grünen-Fraktionsvorsitzende, sie sei "fest davon überzeugt", dass die Terrormiliz militärisch bekämpft werden müsse. "Das geht gar nicht anders. Deswegen ist es richtig, was die USA dort machen".
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verteidigte die vorgesehenen Waffenlieferungen hingegen als Nothilfe. Ziel sei der Schutz Hunderttausender Flüchtlinge, sagte er am Montag im Bundestag. "Wir werden darauf achten, dass die humanitäre Hilfe für diese Region immer deutlich höher ist als die Waffenhilfe." Doch Hilfe setze ein Mindestmaß an militärischer Absicherung voraus.
Auch Vertreter der Kirche haben sich für Waffenlieferungen ausgesprochen
Auch Vertreter der Kirchen hatten in den vergangenen Tagen mehrfach Position zum Thema bezogen. Die katholischen Bischöfe schlossen in einer Stellungnahme ihres Ständigen Rates am vergangenen Montag eine Waffenlieferung in den Nordirak als Hilfsmittel nicht aus. Allerdings dürfte ein solcher Export niemals ein "selbstverständliches und unhinterfragtes Mittel der Friedens- und Sicherheitspolitik sein", hieß es in der Mitteilung. " Nach einem Treffen mit dem chaldäisch-katholischen Erzbischof von Mossul, Emil Schamoun Nona, am vergangenen Mittwoch betonte Militärbischof Franz-Josef Overbeck, dass alles getan werden müsse, um "den Menschen vor Ort wieder ein würdiges Leben zu ermöglichen". Dazu "muss auch gehören, dass als eine der letzten Möglichkeiten die Androhung von Gewalt hoffentlich ausreicht". Es könne aber auch sein, "dass man zu anderen Mitteln greifen muss, weil diese Angreifer eine andere Sprache nicht verstehen", so Overbeck weiter.
Ähnlich äußerte sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider. Er bezeichnete Waffenlieferungen als Teil einer "Nothilfe" für die leidenden Menschen im Nordirak. Diese Nothilfe für die von der IS gejagten Menschen müsse vor allem humanitäre Hilfe sein, schrieb Schneider im Internetportal "Zeit Online" am Sonntag. "Wer Nothilfe übt, muss sich aber auch Gedanken darüber machen, wie das Wüten des IS, das die Not verursacht, eingegrenzt und möglichst beendet werden kann, damit die humanitäre Hilfe auch nachhaltig wirkt."
Unterdessen forderten Menschenrechtler sowie Vertreter von Hilfsorganisationen und Kirchen einen Ausbau der humanitären Hilfe. Anstatt auf militärische Mittel zu setzen, müsse Deutschland seine humanitären Anstrengungen intensivieren, sagte beispielsweise der Freiburger Rüstungsgegner Jürgen Grässlin am Sonntag . Nötig sei die "Schaffung von Fluchtwegen und der aktiven Fluchthilfe, verbunden mit massiver humanitärer Unterstützung". Auch das katholische Hilfswerke Misereor zeigte sich skeptisch, was Waffenlieferungen an den Irak angeht. Misereor-Chef Pirmin Spiegel mahnte in einem Gespräch mit der "Aachener Zeitung" am Mittwoch ein UN-Mandat an, bevor es zu einem militärischen Beitrag kommt. Ein solcher Schritt "brächte eine deutlich größere Legitimation als ein Beschluss der Bundesregierung", sagte Spiegel. (som/KNA/dpa)