Ein Jahr #OutInChurch: "Die Arbeit fängt jetzt erst an"
Für Eric Tilch war der Leidensdruck nicht ganz so groß wie bei anderen. Er war bei seinem Arbeitgeber bereits als homosexuell geoutet. Geändert hat sich für den Jugendbildungsreferenten bei der Jugendkirche KANA in Wiesbaden trotzdem einiges. "Man braucht jetzt endlich nicht mehr das Gefühl haben, zwischen sexueller Identität und dem eigenen Glauben trennen zu müssen. Man kann jetzt beides einbringen." Und auch auf der kirchlichen Leitungsebene werde gespiegelt, dass man ernsthaft über das Thema nachdenke und LGBTIQ-Personen als wertvoll anerkennen wolle. "Das hat für mich persönlich dazu geführt, dass ich neuen Mut und neues Vertrauen in die Kirche geschöpft habe."
Der 27-jährige ist einer von 125 queeren – homo-, bisexuell, intersexuell, transgender, nicht-binär – Kirchenmitarbeitenden, die vor genau einem Jahr im Rahmen einer ARD-Doku mit der Initiative #OutInChurch an die Öffentlichkeit gegangen sind. Durch sie wurde eine breite Debatte über die Lage queerer Menschen in der Kirche im Allgemeinen und über das kirchliche Arbeitsrecht im Speziellen ausgelöst. Denn nach der damals noch geltenden Grundordnung, die von den Mitarbeitenden umfassende Loyalität zur kirchlichen Sittenlehre verlangte, mussten queere Menschen um ihren Arbeitsplatz bangen. Das stieß bei großen Teilen der Öffentlichkeit auf Unverständnis und sorgte zugleich für viel offen bekundete Solidarität und Forderungen nach einer Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts.
"Kipppunkt" für Veränderungen
Tilch betont, dass auch er sehr viele positive Reaktionen auf seine Teilnahme bei #OutInChurch bekommen habe, gerade aus dem kirchlichen Bereich. "Es gab viel Unterstützung und sogar Dankbarkeit, dass es diese Gruppierung gibt." Er sieht ihr Zeugnis als "Kipppunkt" dafür, dass Veränderungen möglich waren.
Denn kurz nachdem die Initiative in die Öffentlichkeit gegangen war, geriet auch auf der Ebene der Diözesen schnell einiges in Bewegung. Einige Bischöfe und Generalvikare stimmten in die Solidaritätsbekundungen ein und kündigten an, die alte Grundordnung des Arbeitsrechts zunächst in den entsprechenden Punkten auszusetzen. Im Herbst verabschiedeten die deutschen Bischöfe schließlich ein reformiertes Arbeitsrecht – für kirchliche Verhältnisse ziemlich rasch. Seit Beginn des Jahres 2023 setzen die deutschen Bistümer dieses nach und nach um. Zentrale Punkte: Aus der Lebensführung ihrer Mitarbeitenden will sich die Kirche künftig raushalten; Vielfalt in kirchlichen Einrichtungen wird als Bereicherung angesehen.
Die Initiative verbucht die zügige Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts als ihren größten Erfolg. "Das schreiben wir uns schon auch mit breiter Brust auf die Fahnen", sagt Rainer Teuber, Leiter des Essener Domschatzes und Mitglied der Steuerungsgruppe von #OutInChurch. Er räumt zwar ein, dass von vielen Seiten und nicht zuletzt auch juristisch Druck ausgeübt wurde, das Arbeitsrecht zu ändern. So sahen auch Bistümer, deren Bischöfe als konservativ gelten, keine Alternative zu einer Reform. "Aber der Druck ist erst durch die Aufmerksamkeit für die Initiative so groß geworden, dass es relativ schnell zu einer Änderung kam." Selbst Arbeitsrechtskommissionen in Bistümern seien dankbar gewesen, dass es diesen Druck gab. "Sonst wäre es unter Umständen nicht so eindeutig ausgegangen." Und auch bei noch offenen Fragen beim Arbeitsrecht wie der nach dem Umgang mit trans-, inter- und non-binären Personen gebe es positive Signale, sagt Teuber.
Die Änderung des Arbeitsrechts war eine der sieben Forderungen, die #OutInchurch formuliert hat – und bisher die Einzige, die umgesetzt wurde. Bei den ausstehenden geht es vor allem darum, LGBTIQ-Personen und -Paaren einen diskriminierungsfreien und gleichberechtigten Zugang zu allen kirchlichen Handlungsfeldern und zu den Sakramenten zu geben – bei letzterem geht es auch um das Thema Segensfeiern. Diese liegen noch relativ unbearbeitet auf dem Tisch. Und bei der vierten Vollversammlung des Synodalen Wegs im vergangenen Herbst erlebte nicht nur #OutInChurch einen herben Rückschlag, als ein Grundlagenpapier zum Thema Sexualität, in dem eine neue Haltung der Kirche zu Belangen der Sexualität und Geschlechtsidentität gefordert wurde, an der Sperrminorität der Bischöfe scheiterte.
Weiter viel Skepsis bei Mitarbeitenden
Von der gesamtkirchlichen Ebene ist hier noch gar nicht gesprochen. Der Katechismus der Katholischen Kirche sieht etwa in Homosexualität eine "Beeinträchtigung", die aufgrund der Schöpfungsordnung nicht als gleichwertige sexuelle Prägung anzusehen sei. Er hält fest, dass homosexuelle Handlungen "in sich nicht in Ordnung" seien. Trotz aller Anfragen an das Lehramt in diesen Punkten dürfte sich an den Formulierungen nicht so schnell etwas ändern. "Als schwuler, verheirateter Mann bin ich im Arbeitsrecht in Deutschland jetzt eine Bereicherung, in der Lehre eine ungeordnete Persönlichkeit, die in schwerer Sünde lebt", fasst Rainer Teuber die Diskrepanz zusammen.
Dasselbe gilt für homosexuelle Priester. Nach wie vor gilt offiziell das 2005 vom Vatikan formulierte Wort, dass "Männer mit tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen" nicht zum Priester geweiht werden dürften, da sie keine "korrekte Beziehung" zu Frauen und zu Männern aufbauen könnten. "Nun halten sich zwar weltweit die Bischöfe daran nicht, aber sie stellen dieses Verbot auch viel zu wenig öffentlich wahrnehmbar in Frage", schreibt Bernd Mönkebüscher, Pfarrer im Hamm und ebenfalls Mitglied der Steuerungsgruppe von #OutInChurch, in einem Beitrag für "feinschwarz.net". Sie stünden nicht zu ihrer Praxis und machten sich auch nicht vehement für ein Streichen dieser Formulierung beim Papst stark. In diesem Zusammenhang einfach nur auf das Einhalten des Zölibates hinzuweisen, sei zu wenig.
Genau aus diesen Gründen sind viele queere Mitarbeitende immer noch skeptisch, ob alles, was es an Reformen und Absichtserklärungen gibt, auch wirklich ernstgemeint ist. Deshalb tun sich viele trotz #OuntInChurch und reformiertem Arbeitsrecht nach wie vor schwer, sich zu ihrer Lebensform zu bekennen. "Ich hatte gehofft, dass sich vor allem nach der Doku viele outen. Das habe ich in der Intensität nicht wahrgenommen", sagt Eric Tilch.
"Unsere Arbeit fängt jetzt erst an, weil es einen Bewusstseinswandel braucht", betont deshalb Rainer Teuber. Einige Bischöfe hätten durch direkte Begegnung mit queeren Menschen dazugelernt. Die Initiative habe alle deutschen Oberhirten zu einem Gespräch eingeladen. Mit manchen gebe es bereits einen guten Austausch. "Gleichzeitig gibt es bei einigen aber auch dröhnendes Schweigen." Doch auch auf allen anderen Ebenen brauche es mehr Auseinandersetzung. Eric Tilch wünscht sich daher vor allem, dass die queere Pastoral ausgebaut wird. Viele Diözesen haben zuletzt Beauftragte für dieses Themenfeld eingesetzt. Doch man müsse es auch in die Pfarreien tragen. "Das ist sicher ein langer Prozess, den wir aber jetzt gut anstoßen können."
Und mit Blick auf die Weltkirche? Hier wünscht sich die Initiative, dass sich die deutschen Bischöfe – zumindest die reformbereiten – laut und deutlich positionieren. Gerade die Umfrage im Rahmen des weltweiten synodalen Prozesses habe gezeigt, dass die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit und all ihren Facetten aus allen Teilen der Welt komme. Deshalb hofft #OutInChurch auf einige Impulse der Weltsynode für einen veränderten kirchlichen Blick auf das Thema LGBTIQ. "Ich hoffe, dass die Synode in einem ersten Schritt das Thema anerkennt und sich daraus eine Diskussion entwickelt", sagt Eric Tilch.
Neue Struktur
Rund 600 Mitglieder hat die Initiative inzwischen, aus allen kirchlichen Berufsgruppen. Das bisher lose Netzwerk kommt also mittlerweile an seine Grenzen. Deswegen will sich #OutInChurch eine neue Struktur geben. Anlässlich des Jahrestags gibt es deshalb kommendes Wochenende in Köln ein Treffen, bei dem ein Verein gegründet werden soll. Dieser will fortan für die dringendsten Anliegen seiner Mitglieder einstehen. "Auf Sicht sind wir nicht arbeitslos", so Rainer Teuber.
#OutInChurch steht noch ganz am Anfang seines Weges. Und ob sie irgendwann auch noch weitere Erfolge für sich verbuchen können werden, steht in den Sternen. Doch seine Ausdauer, unterstreicht Erich Tilch, hängt maßgeblich davon ab, was bei ihm vor Ort, bei seiner Arbeit passiert. "Der Blick nach Rom ist für mich immer ernüchternd. Kraft ziehe ich daraus, wenn ich auf meine Tätigkeit schaue, in die queere Jugendarbeit, die wir hier machen", so der Jugendbildungsreferent aus Wiesbaden. Er kann mit der Situation leben, wenn er weiß, dass er dort etwas bewegen kann. "Das mindert zwar nicht meinen Wunsch, dass sich auf Weltkirchenebene etwas verändert. Aber davon will ich mich nicht mehr abhängig machen."