Union: Menschenrecht auf Religionsfreiheit weltweit stärken

"Seelischer Freiheitsentzug"

Veröffentlicht am 16.09.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Eine Mariendarstellung hängt an einer verkohlten Wand einer Kirche nahe Alqosh im Norden des Irak.
Bild: © KNA
Christenverfolgung

Berlin ‐ Mit dem Wüten der Terrormiliz "Islamischer Staat" gegen Christen, Jesiden und alle Andersgläubigen ist das Menschenrecht auf Religionsfreiheit wieder dramatisch in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Unionsfraktion im Bundestag widmete dem Thema einen zweitägigen Kongress mit hochrangiger Besetzung - und zugleich mit ernüchternden Fakten und erschütternden Berichten.

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Religionsfreiheit gehöre zu den Menschenrechten, die weltweit am meisten missachtet werden, konstatierte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am Dienstag in Berlin: In 147 Staaten weltweit wird das öffentliche Bekenntnis eingeschränkt, in 110 Staaten werden die größten Religionsgruppen von Christen oder Muslimen unterdrückt, in 45 Ländern ist ein Wechsel der Religion staatlich untersagt.

Was das für die Menschen bedeuten kann, verdeutlichte der chaldäisch-katholische Erzbischof im irakischen Erbil, Baschar Warda: Nach Jahren der Diskriminierung bei Behörden, in der Politik, der Justiz, im Erziehungswesen und den Medien stehen die chaldäischen, syrischen und assyrischen Christen mit der blutigen Verfolgung durch die IS-Miliz vor der Auslöschung ihrer Existenz. In einem dramatischen Appell bat Warda um Soforthilfe. Die 150.000 Vertriebenen stünden vor einem harten Winter. Vor allem Familien verlören jede Hoffnung auf die Zukunft.

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Video: © Tobias Böcher

Christine Schirrmacher erklärt im Hintergrundgespräch, warum sich die Situation der Christen im Orient verschlechtert hat.

Religionsfreiheit in den Koalitionsvertrag

Lange vor der jüngsten Zuspitzung im Irak hatte besonders Fraktionschef Volker Kauder (CDU) darauf gedrängt, den Einsatz für Religionsfreiheit erstmals als Auftrag der Bundesregierung in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Für ihn bedeutet das, diese heikle Frage etwa in Gesprächen mit den Regierungschefs von Malaysia, Indonesien oder Ägypten anzusprechen.

Der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, verdeutlichte in einem Panoptikum von Leid und Gewalt die unterschiedlichen Formen der Unterdrückung gegen die innersten Überzeugungen: In Vietnam versuche die kommunistische Regierung durch detaillierte Regelungen, die Religionsausübung "zu strangulieren". Bei Missachtung drohten Gefängnis oder Folter. Pakistan unterdrücke Nichtmuslime "durch absurde Blasphemiegesetze", und der Irak ebne derzeit mit Bulldozern Bahai-Friedhöfe ein, um jegliches Gedächtnis an die postislamische Religion auszulöschen. In Saudi-Arabien, "einem Sponsor radikaler Bewegungen aller Art", stehe auf den Wechsel des Glaubens die Todesstrafe.

Derzeit auch Schiiten und Zeugen Jehovas betroffen

Blicken in eine ungewisse Zukunft: Christen im Irak stehen auf einem Dach vor einer Kirche.
Bild: ©dpa/Christophe Petit Tesson

Blicken in eine ungewisse Zukunft: Christen im Irak stehen auf einem Dach vor einer Kirche.

Neben Christen treffen die Verfolgungswellen derzeit laut Bielefeldt besonders Zeugen Jehovas und Schiiten. Er gebe aber keine "natürliche Täterreligion oder Opferreligion". Der UN-Sonderberichterstatter beklagte zugleich, dass in Deutschland wie in Europa das Verständnis für die Religionsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht schwinde. Bei der Beschneidungsdebatte seien sogar Religionsfreiheit und Menschenrechte gegeneinander ausgespielt worden. Wenn dieses Recht auf "identitätsstiftende Grundüberzeugung" - zu dem auch das Recht auf Nichtglauben gehöre - missachtet werde, kollabiere das ganze Menschenrechtssystem, warnte Bielefeldt. Selbst deutsche Gerichte hätten religiöse Verfolgung nur noch beschränkt als Verfolgungsgrund anerkennen wollen.

Was aber kann man gegen diesen "seelischen Freiheitsentzug" tun - wie es Alt-Landesbischof Ulrich Fischer nannte? Die Religionsfreiheit brauche einen institutionellen Rückhalt in den Ländern selbst, betonte Bielefeldt. Dazu sollten die 28 EU-Staaten entsprechend den Richtlinien zur Religionsfreiheit ihre diplomatischen Vertretungen oder Auslandsinstitute stärker zur Achtung dieses Menschenrechts einsetzen. Auch Nichtregierungsorganisationen, die Zivilgesellschaft und die Medien seien gefordert, dem Thema Öffentlichkeit zu verschaffen. Und den Opfern - die mit ihrem Leben für dieses Menschenrecht einstehen - müsse signalisiert werden, dass sie nicht allein seien.

Der Erzbischof von Erbil forderte, die Verbrecher vor ein internationales Gericht zu stellen. Und er bat Deutschland und die EU, jegliche Hilfe für die irakische Regierung von der Einhaltung und Durchsetzung der Menschenrechte abhängig zu machen.

Von Christoph Scholz (KNA)