Ordensmann: Kirche hat Ex-Vatikan-Berater "buchstäblich geschützt"
Der Schweizer Theologe und Dominikaner Philippe Lefebvre hat das Verhalten kirchlicher Autoritäten im Fall des früheren Vatikan-Beraters Tony Anatrella kritisiert. "Der Druck innerhalb und außerhalb der Institution war so groß, dass Tony Anatrella buchstäblich geschützt wurde", sagte Lefebvre der internationalen Online-Ausgabe der französischen Zeitung "La Croix" (Montag). Lefebvre, Professor für Altes Testament in Fribourg und Mitglied der Päpstlichen Bibelkommission, kritisiert seit Jahren Anatrellas Arbeit und warnt vor seinen Thesen.
Die Erzdiözese Paris hatte vergangene Woche bekanntgegeben, dass dem 82-jährigen Priester und Psychoanalytiker nach Abschluss eines kanonischen Verfahrens wegen Missbrauchsvorwürfen vom Vatikan jegliche therapeutischen und priesterlichen Tätigkeiten untersagt wurden. Anatrella soll junge Männer, darunter auch Seminaristen, im Rahmen einer Therapie sexuell missbraucht haben. Diese seien wegen ihrer homosexuellen Neigungen zum ihm geschickt worden. Bereits 2006 war von Vorwürfen gegen Anatrella berichtet worden, den mutmaßlichen Betroffenen wurde damals jedoch nicht geglaubt. Als 2016 erneut Vorwürfe erhoben wurden, leitete die Erzdiözese Paris das kanonische Verfahren ein und belegte Anatrella in der Folge erstmals mit Sanktionen.
"Ganze Maschinerie"
Lefebvre betonte, der Fall stehe stellvertretend für viele Missbrauchsfälle, die sich seit Jahrzehnten in der Kirche ereigneten. "Es ging nicht nur darum, die Augen zu verschließen, sondern eine ganze Maschinerie zu organisieren, um Anschuldigungen zu verhindern." Jeder habe gewusst, was zu tun sei: "einen Brief blockieren, die Opfer herausfordern, die Zeugen bedrohen".
Da der Fall schon vor rund 20 Jahren an die Öffentlichkeit geraten sei, könne man sich freuen, dass endlich eine Strafe ausgesprochen wurde, "und zwar von einer hohen Autorität der Kirche", so Lefebvre weiter. "Dennoch glaube ich nicht, dass die Sache damit abgeschlossen ist." Fraglich sei, warum das Verfahren so lange gedauert habe, obwohl die Aussagen der Opfer längst zu den Akten genommen worden seien. "Außerdem: Wenn die Taten sehr schwerwiegend sind, wie Rom suggeriert, warum ist die Strafe dann nicht höher?"
Besondere Brisanz hat der Fall Anatrella deshalb, weil er den Heiligen Stuhl jahrelang in Fragen der Sexualität beriet und sich immer wieder kritisch zum Thema Homosexualität äußerte. 2005 war er an der Formulierung des Verbots des Vatikans, homosexuelle Männer zu Priestern zu weihen, beteiligt. (mal)