Sautermeister: "Theologie ist mehr als eine Kulturwissenschaft"
Der katholischen Theologie brechen nicht nur die Studierenden, sondern auch die Lehrenden weg. Jochen Sautermeister, Dekan der Bonner Katholisch-Theologischen Fakultät, spricht im Interview über Probleme mit der kirchlichen Lehrerlaubnis und wie sich Fakultäten und Institute künftig aufstellen müssen.
Frage: Herr Professor Sautermeister, der Nachwuchsmangel in der katholischen Theologie ist dramatisch, es gibt kaum noch Habilitierte für frei werdende Professuren. Will heute niemand mehr Theologie lehren?
Sautermeister: Doch, das glaube ich schon. Die Theologie ist unglaublich spannend. Allerdings: Der Ansehensverlust der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit darf nicht unterschätzt werden. Wer heute ein Theologiestudium angeht, steht häufig im sozialen Umfeld unter Rechtfertigungsdruck. Mit geringeren Studierenzahlen sinkt aber auch die Wahrscheinlichkeit, wissenschaftlichen Nachwuchs zu gewinnen. Wenn offensiv und vage über Kürzungen von Fakultäten und Instituten gesprochen wird, ist es nicht verwunderlich, wenn junge qualifizierte Theologinnen und Theologen von einer wissenschaftlichen Laufbahn frühzeitig Abstand nehmen.
Frage: Sehen Sie Möglichkeiten, dem Trend entgegenzuwirken?
Sautermeister: Ja, durchaus. Um mehr Nachwuchskräfte zu motivieren, sollten weitere konkrete berufliche Perspektiven für habilitierte Theologinnen und Theologen außerhalb der Universität eröffnet werden, falls es mit einer Uni-Karriere nicht klappt. Überdies sollte die Theologie auch innerkirchlich stärker anerkannt werden. Denn im kirchlichen Kontext sind leider immer wieder zugespitzte Äußerungen zu hören, die generell die pastorale Praxis gegenüber der Theologie hervorheben. In der Medizin oder Psychologie käme niemand auf die Idee, Forschung und Therapie gegeneinander auszuspielen. Daher müssen wir die Bedeutung unserer Disziplin für Gesellschaft, Wissenschaft und Kirche noch viel stärker herausstellen.
Frage: Dann ist da noch das "Nihil obstat", also die kirchliche Lehrerlaubnis, die immer wieder wegen Intransparenz in der Kritik steht. Führt das Verfahren zur Verunsicherung bei Nachwuchskräften?
Sautermeister: Leider lässt sich das nicht von der Hand weisen. Das gilt insbesondere für Erstberufungen auf Professuren. Die Verfahren können sich bis zu einem Jahr oder schlimmstenfalls noch länger hinziehen. Es gibt keinen verlässlichen Zeitplan. Im Vorgehen der kirchlichen Autoritäten lassen sich de facto mitunter nur schwer einheitliche Kriterien und Standards ausmachen. Dabei sind Verlässlichkeit und Transparenz nicht nur institutionell für den Universitätsbetrieb wichtig, sondern auch berufsbiografisch wie existenziell für Theologinnen und Theologen.
Frage: Von der Durchführung des Verfahrens einmal abgesehen – eine kirchliche Lehrerlaubnis für eine öffentliche Einrichtung bedarf gesellschaftlich einer Erklärung.
Sautermeister: Dass die Kirche dort, wo ihr künftiges Personal ausgebildet wird, ein Mitspracherecht hat, finde ich nachvollziehbar. Das ist bei konfessionsgebundenen Theologien ebenso der Fall wie beim Religionsunterricht. Der entscheidende Punkt ist vielmehr: Wo werden rote Linien gezogen, wie lassen sich diese legitimieren und wie lassen sich gerechte Verfahren sicherstellen?
Frage: Können Sie das näher erläutern?
Sautermeister: Die Theologie ist auch ein "Laboratorium", in dem unterschiedliche Denkweisen und Verstehenszugänge durchgespielt werden. Das hat die Apostolische Konstitution "Veritatis gaudium" im Jahr 2017 bekräftigt. Es geht darum, den Glauben der Kirche in der Welt von heute auch in seiner gesellschaftlichen Relevanz zu erschließen. Wenn Forschende sich nun aber wegen Unsicherheiten hinsichtlich des Nihil obstat nicht trauten, manche Fragen überhaupt zu stellen und gemäß der wissenschaftlichen Rationalitätsstandards und der gesellschaftlichen Plausibilisierungsbedingungen konsequent zu durchdenken, dann diskreditierte das die Theologie und schadete auch der Kirche.
Frage: Wie müssen sich Fakultäten und Institute aus ihrer Sicht künftig aufstellen, um wirklich zukunftsfähig zu sein?
Sautermeister: Das geht nicht ohne die Beachtung der gesellschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklungen unter dem Vorzeichen religiöser Pluralisierung. Die Bereitstellung der berufsbezogenen Studiengänge für pastorale Dienste und Schule ist eine bleibende Aufgabe. Zwar sinken die Studierendenzahlen deutlich. Aber gegen den religionssoziologischen Trend besteht die Erwartung, mehr Studierende zu gewinnen. Realistisch geht das nur über die Einführung neuer, erweiterter Studienangebote. Im Bereich der Forschung werden fakultätsübergreifende Kooperationen und Interdisziplinarität immer wichtiger. Drittmitteleinwerbung, Wissenschaftskommunikation und Transfer der Ergebnisse in Kirche, Gesellschaft und Öffentlichkeit gewinnen immer mehr an Bedeutung.
Frage: Sollten die Einrichtungen proaktiv über Zusammenlegungen und Schließungen nachdenken?
Sautermeister: Angesichts des großen Aufgabenspektrums zeigt eine nüchterne Analyse: Es stellen sich nicht unerhebliche Ressourcenfragen – erst recht, weil die kleinen theologischen Fakultäten die gleichen Aufgaben zu erfüllen haben wie große, etwa Philosophische Fakultäten. Es scheint mir daher ratsam, konkret zu überlegen, wie Fakultäten und Institute inhaltlich und administrativ stärker in die jeweiligen Universitäten eingebunden werden können, um sich zu profilieren. Anstatt allgemein Schließungen und Zusammenlegungen vorzuschlagen, sollten daher differenzierte Analysen vorgenommen werden. Schließungen lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Ohne Theologie würde Kirche, Wissenschaft und Gesellschaft etwas fehlen.
Frage: Warum überhaupt noch Theologie in einer Gesellschaft, die sich zunehmend von kirchlichen Institutionen entfernt?
Sautermeister: Als Reflexion auf Glaubenserfahrungen, -praktiken und religiöse Überlieferungen bringt die Theologie Perspektiven ein, wie es keine andere Wissenschaft kann, auch nicht die Religionswissenschaften und Philosophie: Sie thematisiert das menschliche Freiheitsbewusstsein in seinem Verdanktsein, seiner Gebrochenheit und in seiner Hoffnung. Sie reflektiert die existenziellen Erfahrungen von Begrenztheit, Schuld und Endlichkeit, von Kontingenz und Selbsttranszendenz. Sie hält die Frage nach der Bestimmung des Menschen ebenso offen und gibt die Frage nach Verantwortung und Werten eine Tiefendimension.
Die Theologie bringt die Fragen nach Gott, Sinn und dem Unverfügbaren reflexiv in den akademischen Raum ein und trägt dazu bei, diese Fragen lebensweltlich-existenziell sowie strukturell auszubuchstabieren. Dazu ist sie auf das interdisziplinäre Gespräch und den kulturellen Dialog angewiesen. Theologie ist mehr als eine Kulturwissenschaft; sie ist Sinnwissenschaft und Glaubenswissenschaft. Im Gegensatz dazu befassen sich – mit Ausnahme der Philosophie – die einzelnen Disziplinen mit methodisch und thematisch abgegrenzten Gegenständen. Aber keine Disziplin bezieht sich auf das Gesamt der Wirklichkeit aus einer Sinnperspektive.
Frage: Ein solches Ideal von Theologie setzt aber auch voraus, dass sie sich den Diskursen in Universität und Gesellschaft wirklich stellt.
Sautermeister: Dem stimme ich voll zu. Dass das Wissenschaftssystem selbst ein Interesse an der Theologie hat, hat der Wissenschaftsrat im Jahr 2010 ausdrücklich formuliert. Außerdem darf man nicht übersehen: Global spielen Religionen eine viel größere und selbstverständlichere Rolle als in Deutschland. Somit ist auch der interreligiöse Dialog wichtig. Bei den großen Herausforderungen unserer Zeit – Frieden, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit – sind Religionen vorne mit dabei. Also – Grund genug, die Theologien zu stärken.