Kohlgraf über Weltsynoden-Treffen: Stellen uns Synodalität anders vor
In Prag sind Welten aufeinandergeprallt, sagt der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. Er hat die europäische Etappe des weltweiten synodalen Prozesses als Teil der virtuellen deutschen Delegation verfolgt. Im katholisch.de-Interview zieht er sein Fazit – und wirft auch einen Blick auf die kommende Synodalversammlung in Frankfurt und die Weltbischofssynode in Rom.
Frage: Herr Bischof Kohlgraf, wie lautet Ihr Fazit zum Kontinentaltreffen in Prag?
Kohlgraf: Ich würde zunächst einmal positiv damit beginnen, dass es ein wichtiger Schritt ist, dass der Papst überhaupt einen solchen synodalen Prozess eingeleitet hat. Ich habe allerdings auch eine ganze Reihe fragwürdiger Erfahrungen gemacht. Es fängt bei den technischen Problemen an. Ich gehörte zu der deutschen Gruppe, die digital zugeschaltet werden sollte, und mich hat kein offizieller Link erreicht. Dorothea Sattler, die ebenfalls virtuell an dem Treffen teilgenommen hat, hat dann privat einen Link verschickt. Sie hat auch erst einen Tag vor Beginn erfahren, dass sie die Arbeitsgruppe moderieren soll. Das war schlecht organisiert, denn ohne diesen Link hätte ich keine Möglichkeit gehabt, mich irgendwie zu beteiligen. Das kann nicht Synodalität sein.
Frage: Überwiegen die negativen also die positiven Erfahrungen?
Kohlgraf: In unserer deutschen Sprachgruppe gab es schon eine große Ernüchterung bis hin zu Frust und starker Verärgerung, weil wir uns Synodalität anders vorstellen, als nur zu sitzen und Vorträgen zu lauschen und dann vielleicht ein dreiminütiges Statement abzugeben – was nur geschehen ist, weil die Arbeitsgruppe sich treffen konnte. Ansonsten wären wir reine Zuhörende gewesen.
Frage: Wie haben Sie grundsätzlich den Austausch in Ihrer Arbeitsgruppe wahrgenommen?
Kohlgraf: Wir hatten einen sehr guten Austausch, aber es war nicht wirklich kontrovers. Es waren Menschen, die im Grunde mit derselben theologischen Denkweise unterwegs waren. Für uns war es wichtig, deutlich zu machen, dass es um konkrete Schritte geht und dass wir nicht nur in einer theologischen Wolke bleiben. Um fünf Stichworte zu nennen, die uns wichtig waren: eine breite Beteiligung, das Aushalten von Ungleichzeitigkeit und unterschiedlichen theologischen Zugängen, die Bedeutung der akademischen Theologie, das Zulassen von Anfragen von außen und dass synodale Prozesse Zeit brauchen.
Synodaler Weg und Weltsynoden-Treffen: Was beide gemeinsam haben
Von Sonntag bis Donnerstag haben insgesamt rund 590 Delegierte bei der kontinentalen Etappe der Weltsynode in Prag ihre Erfahrungen von Synodalität miteinander geteilt. Aus Deutschland nahmen insgesamt 14 Delegierte teil – viele auch mit Erfahrung beim Synodalen Weg. Katholisch.de wirft einen Blick auf Parallelen und Unterschiede der Treffen beider Prozesse.
Frage: Inwiefern war auch der Synodale Weg der Kirche in Deutschland in Prag ein Thema?
Kohlgraf: Da ich parallel noch die Pastoralkommission hier in Präsenz leiten musste, konnte ich nicht permanent dabei sein. Aber bei dem, was ich mitbekommen habe, war Deutschland immer wieder ein Thema. Ich erinnere nur an die zwei Predigten der ersten Tage durch Erzbischof Graubner und Kardinal Ouellet. Graubner hat auf Deutsch gepredigt und sehr deutliche Worte über Verweltlichung gefunden. Da scheint mir der Adressat relativ klar zu sein. Die Vorbehalte gegenüber dem Synodalen Weg in Deutschland waren deutlich spürbar. Wobei man sagen muss, dass manche Punkte, die am Synodalen Weg kritisiert wurden, in Prag genauso stattgefunden haben.
Frage: Was denn zum Beispiel?
Kohlgraf: Zum Beispiel, dass man nur eine begrenzte Redezeit hatte, dass man nicht in die Tiefe gehen konnte und dass es zum Teil keine Debatten gab. Man mag sich über die Frankfurter Versammlungen wundern, aber bei uns – das darf man unbescheiden so sagen – gibt es Debatten, Menschen aus dem Plenum werden ernstgenommen und nicht nur das Podium redet. Das war in Prag durchgehend anders, bis dahin, dass die Chatfunktion teilweise aus unterschiedlichen, nicht transparenten Gründen abgeschaltet wurde. Die Kritik des Papstes, der Synodale Weg wäre elitär, kann ich gerade vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen nicht teilen, weil dort am Ende die Bischöfe entscheiden und das ist auch eine elitäre Gruppe.
Frage: Spätestens seit dem jüngsten Schreiben aus dem Vatikan zum Synodalen Rat ist klar, dass es auch in Deutschland Bischöfe gibt, die nicht unbedingt reformfreudig sind. Gab es denn von Ihren bischöflichen Mitbrüdern Kritik an der Auswahl der Online-Delegation für Prag?
Kohlgraf: Offiziell habe ich nichts vernommen. Ich wurde als Vorsitzender der Pastoralkommission berufen, weil ich dort intensiv mit diesen Themen befasst bin. Das habe ich nicht als politisches Signal verstanden. Ich würde diese fünf Bischöfe, die nach Rom geschrieben haben, nicht nur unter dem doch sehr plakativen Stichwort "Reformverweigerer" fassen. Ob der Kommunikationsweg der richtige war, darüber kann man streiten. Aber die Frage, welche Rolle ein Bischof mit seiner bischöflichen Kompetenz in einem Synodalen Rat spielt, ist ja nicht dumm. Ich glaube, der Synodale Ausschuss wäre der Ort gewesen, genau solche Fragen zu klären. Es gibt ja diesen Unterschied zwischen decision making und decision taking. Auch in Prag war immer wieder von decision making die Rede und in Deutschland gibt es einen stärkeren Wunsch danach, auch an der Entscheidung selbst beteiligt zu sein.
Frage: In Prag sind die deutlichen Unterschiede innerhalb der Kirche zu Tage getreten. Wie kann man diese versöhnen?
Kohlgraf: Es sind tatsächlich Welten aufeinandergeprallt. Es gibt nicht nur unterschiedliche Geschwindigkeiten, sondern auch völlig unterschiedliche Kirchenbilder und auch unterschiedliche Bilder von Synodalität. Wenn die katholische Kirche zusammenbleiben soll, kann es nur über das Zugeständnis regionaler Lösungen und Wege gehen, um eine wirkliche Einheit in Vielfalt zu gestalten. Ich glaube, dass es wichtig ist, das ernstzunehmen, was Papst Franziskus immer wieder sagt: Gegenseitiges Hören ist nicht nur ein akustischer Vorgang, sondern Hören bedeutet auch, das Gute in der Meinung des anderen wahrzunehmen und retten zu wollen. Eine wichtige Grundvoraussetzung wird es bei den verschiedenen theologischen Zugängen sein, dem anderen sein Katholischsein zu lassen und zu unterstellen, dass es auch ihm um Gott, um die Menschen und um die Liebe zur Kirche geht.
„Wenn die katholische Kirche zusammenbleiben soll, kann es nur über das Zugeständnis regionaler Lösungen und Wege gehen, um eine wirkliche Einheit in Vielfalt zu gestalten.“
Frage: Gestern wurde der Entwurf des Abschlussdokuments vorgelesen. Nun treffen sich die Vorsitzenden der europäischen Bischofskonferenzen ohne Laien und andere Delegierte und bereiten ein zweites Dokument oder einen bischöflichen Kommentar vor. Was halten Sie davon?
Kohlgraf: Die Sinnhaftigkeit von zwei Abschlusspapieren kann man im Sinne der Synodalität durchaus infrage stellen. Ich denke aber, dass sich die Abschlusserklärung von Bischof Georg Bätzing nicht wesentlich von dem unterscheiden wird, was auch von der deutschen Sprachgruppe gekommen ist. Auf der anderen Seite gehört es auch zur Synodalität, auszuhalten, dass vielleicht von bischöflichen Gruppen anderer Länder sehr unterschiedliche Einschätzungen kommen, die sich mit unseren nicht decken. Ich teile die Einschätzung von Bischof Bätzing, die er bei der Debatte über den Entwurf des Dokuments kundgetan hat: dass das Treffen in Prag noch kein Pfingstereignis war, sondern ein erster Schritt, Positionen nochmal auf den Punkt zu bringen.
Frage: Jetzt steht im kommenden Monat die fünfte und damit abschließende Synodalversammlung an. Nehmen Sie da aus Prag Impulse mit, die Sie einbringen wollen?
Kohlgraf: Vor dieser Synodalversammlung sind ja einige Themen aufgekommen, bei denen wir insgesamt schauen müssen, was das für die Dynamik bedeutet. Das ist zum einen der Ad-limina-Besuch, das ist die Stellungnahme aus Rom zum Synodalen Ausschuss und zum Synodalen Rat. Das wird dieses Treffen in Frankfurt prägen. Es geht natürlich auch um die Verabschiedung weiterer Texte. Aber ich glaube, wir sollten diese Versammlung in Frankfurt auch nochmal nutzen, um uns zu vergewissern, was unsere Bilder von Synodalität sind. Sonst kommen wir auch nicht weiter.
Frage: Wenn wir noch ein bisschen weiter in die Zukunft blicken, stehen im Herbst 2023 und 2024 die Bischofssynoden in Rom zum Thema Synodalität an. Was erwarten Sie von diesen Treffen?
Kohlgraf: Ich glaube, dass der Weltepiskopat insgesamt viel vielfältiger ist, als man sich das hier wahrscheinlich ausdenkt und ausmalt. Wir Deutschen sind natürlich nicht der Nabel der Welt, wir geben uns genauso ein in die Vielfalt dieser Weltkirche, sind aber auch eine wichtige und entscheidende Stimme. Ich erhoffe mir schon, dass es bei dieser Bischofssynode in Rom noch einmal zu einem wirklichen Fortschritt an Dialog und Erkenntnis kommt. Und am Ende möchte ich nicht mit dem Papst tauschen, der aus diesen sich zum Teil widersprechenden Stimmen dann einen synodalen Text machen soll, der uns weiterführt. Dieser Text wird ja, wie man an anderen päpstlichen Texten sieht, kein Abschluss, sondern wird neue Fragen und Perspektiven eröffnen. Es kann auch sein, dass der Papst den Mut hat, die unterschiedlichen Positionen zu benennen und weitere Hausaufgaben zu verteilen.