Matthias Egert – Der Don Camillo und Peppone von Zörbig
Wie ein Don Camillo sieht Matthias Egert nicht aus. Auch nicht wie ein Peppone, ganz im Gegenteil. Und doch drängt sich der Vergleich mit den beiden Hauptfiguren aus den bekannten Erzählungen von Giovannino Guareschi in gewisser Weise auf. Schließlich dreht sich in den Geschichten aus dem fiktiven italienischen Städtchen Boscaccio alles um den katholischen Priester Don Camillo und den Bürgermeister Peppone – und Egert vereint in seiner Person ganz ähnliche Rollen. Wie Peppone ist auch Egert Bürgermeister – allerdings nicht in Italien, sondern in der sachsen-anhaltischen Kleinstadt Zörbig. Und wie Don Camillo leitet auch er katholische Gottesdienste – allerdings nicht als geweihter Priester, sondern als Vorsteher von Wort-Gottes-Feiern, also Gottesdiensten ohne Priester und Eucharistie.
Auf den – zugegeben etwas hinkenden – Vergleich angesprochen, muss Egert beim Besuch von katholisch.de im Rathaus von Zörbig lachen. "Politisch passt das schon mal überhaupt nicht", sagt der 38-Jährige mit einem breiten Grinsen. Schließlich sei Peppone bekanntermaßen Kommunist, während er selbst überzeugtes CDU-Mitglied sei. Und ein Priester wie der schlagkräftige und schlitzohrige Don Camillo sei er schließlich auch nicht. Sei's drum: Egerts gleichzeitige Tätigkeit als hauptamtlicher Bürgermeister einer 10.000-Einwohner-Gemeinde und als ehrenamtlicher Leiter von Wort-Gottes-Feiern in der katholischen Kirche ist ungewöhnlich genug – zumal in der tiefsten ostdeutschen Diaspora zwischen Bitterfeld und Halle.
Andere Bürgermeister engagieren sich in Vereinen, Egert in der Kirche
Wobei Egert selbst seine Doppelrolle in Rat- und Gotteshaus gar nicht so ungewöhnlich findet. "Als Christ darf dir deine Umwelt nicht egal sein. Vielmehr sind wir in diese Welt hineingesetzt, um im göttlichen Auftrag zu handeln – auch und gerade für andere Menschen", betont er. Während andere Christen sich in Vereinen oder Sozialprojekten engagierten, versuche er eben, als Bürgermeister seinen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Doch anders als ein Engagement im Sport- oder Kleingartenverein, wie es für viele Bürgermeister kleinerer Städte normal ist, ist ein herausgehobenes Amt in der katholischen Kirche für den obersten politischen Vertreter einer Kommune vor allem in der Diaspora eben doch keine Selbstverständlichkeit.
Doch Probleme aufgrund seines Christseins und seines Engagements in der Kirche hat Egert mit seinen ganz überwiegend kirchenfernen Bürgern – und Wählern – bislang nicht gehabt. "Vor meiner Wahl zum Bürgermeister wussten die Menschen in Zörbig, dass ich in der Kirche aktiv bin. Und ich habe im Wahlkampf klar gesagt, dass ich auch als Bürgermeister weiter kirchlich engagiert bleiben werde, weil das einfach zu meiner DNA gehört", erzählt er. Und so stand Egert am Sonntag nach seiner Wahl direkt wieder als Ministrant am Altar der Zörbiger St.-Antonius-Kirche – wie schon so oft in den Jahren davor. Und nicht nur das: Zu seinem Amtsantritt als Stadtoberhaupt und dem damit verbundenen Beginn der neuen Legislaturperiode des Stadtrats initiierte Egert einen ökumenischen Segnungsgottesdienst, zu dem sogar die konfessionslosen Stadträte kamen. "Das war ein guter Start in die gemeinsame Arbeit", erinnert sich der Bürgermeister mit einem Lächeln.
Auch in seinem Alltag als Stadtoberhaupt versteckt Egert sein Christsein nicht. In seinem Amtszimmer im Zörbiger Rathaus hängt für jeden Besucher sichtbar ein Kreuz, im Gespräch oder bei Ansprachen zitiert er immer mal wieder den einen oder anderen Heiligen und mit den beiden Pfarrern der Stadt trifft er sich regelmäßig zum Gespräch. "Mir ist es wichtig, die Kirchen wieder stärker und selbstverständlicher in die Stadtgesellschaft einzubinden. Bei welchen Themen können sie sich sinnvoll einbringen? Wie gucken sie auf wichtige Entwicklungen in unserer Stadt? Das sind Fragen, zu denen ich mich mit den Pfarrern gerne austausche", erzählt Egert. Noch habe kein Bürger kritisiert, dass er sich als Bürgermeister zu seinem christlichen Glauben bekenne und diese Seite von sich auch in seine Tätigkeit als Stadtoberhaupt einfließen lasse – und eine solche Kritik erwartet er auch nicht: "In der Bürgerschaft ist mein kirchliches Engagement weithin akzeptiert", ist er überzeugt.
Die Sternsingeraktion als Bürgersprechstunde
Doch wie verhält es sich, wenn Egert in seiner Kirchengemeinde ministriert oder Wort-Gottes-Feiern leitet? Predigt dann der Katholik Matthias Egert zu den Gläubigen – oder doch der Bürgermeister Matthias Egert? "Bürgermeister ist man rund um die Uhr", sagt Egert dazu und verdeutlicht das an der Sternsingeraktion. Da sei er auch dieses Jahr wieder mitgelaufen – als Katholik und Mitglied seiner Pfarrei: "Doch für die allermeisten Bürger steht dann neben den Sternsingern eben der Bürgermeister vor ihrer Haustür." Auch bei Bürgern, die ihn vielleicht nicht gewählt hätten, sei die Reaktion aber immer positiv, und viele nutzten die Gelegenheit, schnell mal das eine oder andere kommunale Anliegen anzusprechen. "Das ist für mich fast wie eine Bürgersprechstunde; da wird auch mal gefragt, wann endlich die kaputte Straßenlaterne repariert wird", sagt Egert, der im vergangenen September vom Fachmagazin "Kommunal" zum "Bürgermeister des Monats" gekürt wurde, mit einem Augenzwinkern.
„Wir haben hier jetzt schon einen riesigen Raum, der nur von einem Priester bedient wird. Dass der nicht allen seelsorglichen Bedürfnissen gerecht werden kann, ist klar. Und die Situation wird in den kommenden Jahren ja auf keinen Fall besser.“
Sein Glaube und sein Einsatz für die Kirche wurden Egert in die Wiege gelegt. Aus einer engagiert-katholischen Familie stammend – die wegen ihres Glaubens in der DDR als "sozialistisch unzuverlässig" eingestuft wurde und immer wieder mit Repressalien zu kämpfen hatte – kam er von klein auf mit dem Christentum und dem kirchlichen Leben in seiner Heimatstadt in Berührung. "Mein Vater hat sich in unserer Gemeinde um die Ministranten gekümmert, war Küster, Lektor und Pfarrgemeinderatsvorsitzender. Und meine Mutter saß lange im Kirchenvorstand. Das hat mich natürlich geprägt", erzählt Egert.
"Beim Sonntagsgottesdienst kann die Seele auch mal durchatmen"
Schon früh war der christliche Glaube zentraler Bestandteil seines Lebens, er wurde Ministrant, später dann wie zuvor schon sein Vater Küster und Lektor. Das mündliche Abitur legte Egert in Religion ab, anschließend studierte er in Eichstätt neben Politikwissenschaft und Soziologie auch Theologie. Den Gedanken, vielleicht sogar Priester zu werden, verwarf er aber schnell – vor allem wegen des Zölibats, der schon seinem Onkel einst Probleme gemacht hatte. Der war noch zu DDR-Zeiten katholischer Priester gewesen, lernte dann aber eine Frau kennen und konvertierte später zum Protestantismus. "Und mein Vater hat meine Mutter kennengelernt, bevor er Priester werden konnte", berichtet Egert, der nach dem Studium dann zunächst in der freien Wirtschaft arbeitete.
Zeigt sich sein Christsein denn auch in der Art und Weise, wie er Politik macht und seine Stadt führt? Egert, der auch als Beisitzer im Landesvorstand der sachsen-anhaltinischen CDU sitzt, denkt schon: "Ich halte mich für jemanden, der grundsätzlich freundlich auf die Leute zugeht oder nach einem Streit vielleicht auch schneller mal die Hand ausstreckt. Das ist Teil meines Selbstverständnisses, dass auch in meinem christlichen Glauben begründet ist." Dieser helfe ihm auch, sein Handeln immer wieder selbstkritisch zu hinterfragen und mit Herausforderungen mitunter vielleicht auch ein Stück weit gelassener umzugehen – weil er eben wisse, dass es immer noch eine höhere Macht gebe, die nicht von dieser Welt sei. "Der sonntägliche Gottesdienst ist auch in dieser Hinsicht enorm hilfreich, weil man dort nach einer intensiven Arbeitswoche über das Erlebte reflektieren und die eigene Seele auch mal durchatmen kann", sagt Egert.
Mit Blick auf die Lage der katholische Kirche in Deutschland und speziell im Bistum Magdeburg, zu dem Zörbig gehört, äußert Egert im Gespräch Sorgen – vor allem mit Blick auf den immer stärker spürbar werdenden Priestermangel. "Wir haben hier jetzt schon einen riesigen Raum, der nur von einem Priester bedient wird. Dass der nicht allen seelsorglichen Bedürfnissen gerecht werden kann, ist klar. Und die Situation wird in den kommenden Jahren ja auf keinen Fall besser", betont er. Zwar vertraue er natürlich auf den Heiligen Geist, aber wenn es in 20 Jahren in ganz Sachsen-Anhalt vielleicht nur noch eine Handvoll Priester gebe – was dann? "Muss man eine Taufe oder Hochzeit dann ein Jahr vorher anmelden, um überhaupt eine Chance zu haben? Und was passiert, wenn es wegen fehlender Priester praktisch keine Eucharistiefeiern mehr gibt? Wenn wir auf diese Fragen und auf die seelsorglichen Bedürfnisse der Menschen keine Antworten finden, dann bleiben die Kirchtürme als bloße Gerippe zurück. Das wäre das Schlimmste, was uns passieren kann", warnt der 38-Jährige.
"Gott allein weiß, wo es hingeht und was er mit uns vorhat"
Immerhin: Als engagiertes Mitglied seiner Gemeinde und Leiter von Wort-Gottes-Feiern stemmt sich Egert im Rahmen seiner Möglichkeiten als Laie gegen den Trend. Seit Herbst vergangenen Jahres hat er schon mehrere Feiern geleitet, unter anderem an Weihnachten und am Dreikönigstag – bislang allerdings noch ohne die dafür notwendige Beauftragung, aber in Absprache mit dem Bistum. Nachdem er es im vergangenen Jahr aufgrund der dienstlichen Terminfülle nicht geschafft habe, will er nun in diesem Frühjahr den obligatorischen Kurs für Gottesdienstbeauftragte absolvieren, erzählt Egert.
Wie es in Zukunft für ihn weitergeht – dafür vertraut Egert auf Hilfe von oben: "Gott allein weiß, wo es hingeht und was er mit uns vorhat." Zunächst mal wolle er seine siebenjährige Amtszeit als Bürgermeister voll machen, "und wenn die Wählerinnen und Wähler es wollen, würde ich dann sogar nochmal sieben Jahre dranhängen". Für die Zeit danach könnte er sich dann vieles vorstellen – gerne auch ein noch stärkeres Engagement in seiner Kirche.