Theologin: Frage mich fortwährend, wie lang ich noch katholisch bleibe
Ihre Beziehung zur katholischen Kirche ist für Claudia Danzer ambivalent. Einerseits fühlt sie sich als Theologin in ihrer Weiterentwicklung diskriminiert - Priesterin kann sie nicht werden. Gleichzeitig ist sie erst durch die katholische Kirche zu der Persönlichkeit geworden, die sie heute ist. Ein Interview über ein schwieriges und dennoch enges Verhältnis.
Frage: Frau Danzer, Sie schreiben, Sie fühlten sich in der Kirche als Kind so angenommen, wie Sie waren. Inwiefern hat sich die Atmosphäre dort vom Sportverein oder der Schule unterschieden?
Danzer: Ich hatte das Gefühl, dass ich erstmal nichts können und beweisen muss, um in der Kirche angenommen zu sein. Im Sportverein geht es auch darum, Leistung zu erzielen. Gleichzeitig fand ich es toll, mich in der Kirche schon recht jung aktiv einbringen zu können, zum Beispiel als Ministrantin in der Jugendarbeit. Und ich mochte das Zusammenkommen verschiedener Generationen von Jung bis Alt.
Frage: Haben Sie im Laufe Ihres kirchlichen Lebens Diskriminierungserfahrungen gemacht aufgrund Ihres Geschlechts?
Danzer: Natürlich. Die strukturelle Diskriminierung von Frauen in der Kirche ist ja offensichtlich. Ein Beispiel sind für mich die Predigten. In den allermeisten Fällen legt der Priester im Gottesdienst das Evangelium aus. Das Wort Gottes wird also nahezu immer aus männlicher Perspektive erklärt. Das ist Diskriminierung. Dazu kommt meine eingeschränkte berufliche Perspektive als katholische Theologin. Die Berufsoption der Priesterin fällt für mich weg, nur aufgrund meines Geschlechts.
Frage: Müssen Sie sich manchmal dafür rechtfertigen, dass Sie sich als Frau in der Kirche engagieren?
Danzer: Ich frage mich fortwährend, wie lange ich noch katholisch sein kann und ob ich als katholische Theologin ein System mitstabilisiere, das diskriminierend ist und Missbrauch begünstigt. Im Moment bleibe ich – aber im erklärten Protest. Nur so kann ich einen Beitrag dazu leisten, die überkommenen Strukturen zu verändern.
Frage: Sie haben eine Initiative gegründet, "Mein Gott* diskriminiert nicht. Meine Kirche schon". Soll die auch zur Veränderung beitragen?
Danzer: Genau das war der Ausgangspunkt. Als angehende Theologinnen kamen Luisa Eisele, Lisa Baumeister und ich mit diesem Widerspruch nicht mehr klar, dass die Kirche von einem liebenden und gerechten Gott predigt und dieses Gottesbild gleichzeitig in ihren Strukturen nicht umsetzt. Wir wollen sichtbar machen, dass es für eine Kirche mit anderem Gesicht auch andere theologische Begründungsmuster gibt. Da gibt es schon eine lange Tradition an guten Argumenten, auch aus der feministischen oder der queeren Theologie. Wir machen dazu, neben den Infos auf unserer Website, Workshops mit Jugendgruppen oder Schulen. Dass wir mit diesem Engagement etwas bewegen, hilft uns allen dreien, noch in der Kirche zu bleiben.
Frage: Wie kommt Ihr kirchliches Engagement in Ihrem Umfeld an?
Danzer: Wenn ich Menschen außerhalb der Kirche erzähle, dass ich katholische Theologin bin, dann reagieren die meisten mit einer Mischung aus Neugier und Kopfschütteln. Wenn sie aber merken, dass ich sehr kritisch unterwegs bin und dass es eine ganze Menge Menschen gibt, die katholisch und kritisch, katholisch und feministisch oder auch katholisch und queer sind, schaue ich in überraschte Gesichter.
Frage: Was tut die Kirche Ihnen Gutes?
Danzer: Die Kirchen haben eine sehr wichtige Funktion in der Gesellschaft – sie sind Orte des Nachdenkens, des Reflektierens, des Innehaltens. Ich bin durch die kirchliche Jugendarbeit zu einem politisch denkenden Menschen geworden. Gute Jugend- und Gemeindearbeit ermutigt und befähigt Menschen, Verantwortung zu übernehmen für sich selbst und für andere. Für mich bedeuten Spiritualität und Glaube auch, politisch zu sein und für gerechtere gesellschaftliche Strukturen zu kämpfen. Das ist Teil meiner Glaubenspraxis – und hoffentlich ein Mehrwert für die Gesellschaft.
Frage: In Ihrem Beitrag spielt das Schlagwort Freiheit eine große Rolle. Inwiefern ist für Sie frei sein und katholisch sein miteinander vereinbar?
Danzer: Für mich haben Freiheit und Katholizismus erstmal ein paradoxes Verhältnis. Einerseits bin ich als Frau alles andere als frei in meinen Entwicklungsmöglichkeiten. Gleichzeitig hat mir mein Glaube oft geholfen, mir meiner Freiheit bewusst zu werden. Mein Glaube hilft mir, mich immer wieder neu in ein Verhältnis zu mir selbst und zu meiner Umwelt zu setzen. Frei-Sein und Katholisch-Sein gehen für mich also am Ende doch zusammen.
Frage: Wie gehen Sie damit um, dass es unter jungen Katholiken und Katholikinnen auch solche gibt, die sich keine Reformen wünschen?
Danzer: Eine rote Linie sind für mich Homophobie oder Transphobie. Queere Menschen müssen in der katholischen Kirche so schnell wie möglich anerkannt werden. Das ist eine Frage der Menschenrechte. Auch echte Partizipation muss möglich sein, nicht nur zum Schein. Gleichzeitig ist es klar, dass es verschiedene Meinungen gibt, alle sollen in der Kirche ihren Platz haben. Es geht mir um eine Anerkennung von faktischer Pluralität im Katholizismus. Dafür muss es aber nicht gültige Lehrpraxis sein, dass nur Männer Priester werden können. Ich frage mich manchmal, was es mit dem eigenen Glaubensleben zu tun hat, welches Geschlecht der oder die Priester*in hat.
Frage: Hatten Sie auch schon Momente, in denen Sie an der Kirche verzweifelt sind?
Danzer: Nachdem ich die 356-Seiten der MHG-Studie gelesen habe, war ich an einem solchen Punkt angelangt. Es wurde offenbar, was viele vielleicht geahnt hatten, aber jetzt lag es als empirische Studie schwarz auf weiß vor mir. Die kirchlichen Strukturen begünstigen nicht nur sexualisierte Gewalt, sondern auch noch deren Vertuschung – und das in jedem Bistum. Wenn ich dann an die globale Perspektive der Weltkirche denke, frage ich mich, welche Dimensionen das alles hat. Insgesamt steht die Kirche hier erst noch am Anfang.
Frage: Für wie realistisch halten Sie es, dass das, was Sie sich wünschen – Geschlechtergerechtigkeit, echte Partizipation – erfüllt wird?
Danzer: Das ist völlig offen. Was mir Hoffnung gibt, ist, wie sehr sich der Katholizismus in Deutschland seit der MHG-Studie 2018 verändert hat. Innerhalb der Theologie ist nun eine viel freiere Rede über eine Veränderung der Kirche möglich. Alle sind sich einig, dass die Strukturen geändert werden müssen, um sexualisierte Gewalt künftig zu minimieren. Nach dem Verbot der gleichgeschlechtlichen Segnung durch den Vatikan 2021 wehten an unzähligen Kirchtürmen in Deutschland und darüber hinaus demonstrativ die Regenbogenflaggen. Es hat mich gefreut, dass sich so viele Menschen so klar positioniert haben. Und die Kampagne "#Outinchurch" hat unglaublich viel erreicht. Das Thema LGBTQIA+ war vorher ein vollkommenes Tabu, nun ist dieses gebrochen. Veränderung ist möglich.
Frage: Gleichzeitig wird der Gegenwind stärker…
Danzer: Ja, und das beunruhigt mich. Wenn ich sehe, wie auch in Europa christlich-fundamentalistische Strömungen zunehmen, die ganz offen homophob sind und teilweise, wie in Ungarn, in Verbindung mit der Regierung stehen, dann frage ich mich schon, welche Rolle das Christentum zukünftig spielen wird. Steht es an der Seite autoritärer Herrscher oder steht es für eine freiheitsliebende, liberale Gesellschaft?
Frage: Sie schreiben in Ihrem Beitrag explizit, Sie sind katholisch auf Zeit. Wann ist für Sie der Moment gekommen, auszutreten?
Danzer: Im Moment bin ich noch dabei, weil wir mitten in Reformbestrebungen durch den Synodalen Weg sind. Und solange sich dort Menschen mit sehr viel Engagement und Zeit für eine andere Kirche einsetzen, mache ich mit.
Zur Person
Claudia Danzer (30 Jahre) ist katholische Theologin. Seit 2019 arbeitet sie als Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie an der Uni Freiburg. Sie ist Mitbegründerin der Initiative "Mein Gott* diskriminiert nicht. Meine Kirche schon" und Autorin und Redakteurin des Blogs y-nachten.
Buch: "Wir bleiben"
Claudia Danzer ist eine der Autorinnen des Buches "Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen". In ihren Beiträgen beschreiben 18 Frauen, warum ein Austritt zumindest aktuell für sie keine Option ist und wie sie sich in der katholischen Kirche fühlen. Herausgeberin ist die Journalistin Elisabeth Zoll. Das Buch erscheint am 15.2.2023 im Hirzel Verlag, umfasst 183 Seiten und kostet 22 Euro.