Standpunkt

Wir brauchen unroutinierte Gottesrede statt Ritualkompetenzroutine

Veröffentlicht am 22.02.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Wir brauchen unroutinierte Gottesrede statt Ritualkompetenzroutine
Bild: © Julia Haase

Köln ‐ Am heutigen Aschermittwoch kann man in vielen Kirchen wieder bräsige Ritualkompetenzroutine erleben, kommentiert Peter Otten. Was aber ist mit Menschen, die aufgrund einer Missbrauchserfahrung nicht mehr glauben und vertrauen können?

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Die Theologin und Religionswissenschaftlerin Hildegund Keul hat vor ein paar Tagen in einem bemerkenswerten Text auf katholisch.de auf eine bleibende "toxische Zumutung" hingewiesen: Nämlich dann, wenn Kunstwerke von Missbrauchstätern weiter in religiösem Gebrauch bleiben. Für Betroffene müsse das "furchtbar sein, erneut verletzend, vielleicht sogar retraumatisierend". Aber: "Offensichtlich dient die kirchliche Ritualkompetenz noch immer den Täter:innen statt denjenigen, die der Vulneranz im System zum Opfer fallen."

Hinter der These von Hildegund Keul steckt letztlich die Feststellung, dass in vielen Gemeinden und Verbänden einfach weiter gemacht wird wie bisher. Das betrifft auch die Frage, wie von Gott erzählt wird. Was ist mit der Rede von Gott, der "bedingungslos" liebt? An "deiner Seite" steht? Was ist mit "der gute Hirt"? Oder: "Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand?" Wie mag es Menschen mit Gewalterfahrung in der Kirche gehen, wenn sie das immer wieder hören – wenn sie die Nähe von Gemeinden und Gottesdiensten überhaupt noch suchen? Wie von Auferstehung reden, wenn es für Menschen, die sexuelle und sexualisierte Gewalt erlebt haben, keine mehr gibt? Müssen die leider, leider draußen bleiben? Was ist mit dem gemeindlichen Leben? Gilt nicht vielerorts immer noch eine ziemlich unreflektierte Sehnsucht nach einer familialen Form von Kirche?

Was aber mögen Menschen dabei empfinden, die Nähe im kirchlichen Kontext vergiftet, verletzend und zerstörend erlebt haben? Interessieren sie noch oder sind sie bestenfalls Spezialfälle für die kategoriale Seelsorge? Wo wird über kirchliche Vergemeinschaftung im Kontext von sexueller und geistlicher Gewalt reflektiert? Gibt es überhaupt ein Bewusstsein, geschweige denn ein Klima dafür, dass wir sie anders verstehen müssen? Wo wird das Bewusstsein angestoßen? Wäre das nicht Leitungssache?

Am heutigen Aschermittwoch sprechen Priester beim Auftragen des Aschenkreuzes wieder hunderttausendfach: "Kehrt um und glaubt an das Evangelium." Ritualkompetenzroutine. Was aber ist mit Menschen, die nicht glauben, nicht vertrauen können? Was meint der, der "Evangelium" sagt? Bräsige Ritualkompetenzroutine überhört diese Fragen. Wir brauchen aber dringend eine unroutinierte Gottesrede. Eine, die an der Vulneranz der misshandelten Menschen Maß nimmt.

Von Peter Otten

Der Autor

Peter Otten ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Seit einigen Jahren bloggt er unter www.theosalon.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.