Weitergabe von Visitationszwischenbericht war rechtswidrig

Marx unterliegt im Fall "Integrierte Gemeinde" vor Datenschutzgericht

Veröffentlicht am 02.03.2023 um 12:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Ex-Vorsitzende der Katholischen Integrierten Gemeinde siegt vor Gericht: Kardinal Marx ist demnach verantwortlich für die unerlaubte Weitergabe eines Visitationszwischenberichts – erstmals urteilte das Gericht damit über einen Diözesanbischof.

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Die Weitergabe des Visitationsberichts der "Katholischen Integrierten Gemeinde" im Erzbistum München und Freising an während der Visitation Befragte war rechtswidrig. In einem Rechtsstreit zwischen der ehemaligen Vorsitzenden des Vereins der Gemeinschaft und dem Münchner Kardinal Reinhard Marx hat das Datenschutzgericht der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in einer am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung (DSG-DBK 02/2022, Beschluss vom 8. Februar 2023) einen Datenschutzverstoß festgestellt, der in die Verantwortung des Erzbischofs fällt. Der Beschluss ist die erste veröffentlichte Entscheidung des 2018 eingerichteten Gerichts, die einem Diözesanbischof Rechtsverstöße attestiert.

Auf Anfrage teilte das Erzbistum München und Freising am Freitag mit, dass das Erzbistum und der Erzbischof den Datenschutz sehr ernst nehmen. "Die Umsetzung aller Vorgaben hat hohe Bedeutung. Die Auffassung des Kirchlichen Datenschutzgerichts betrifft einen konkreten Einzelfall und wird zur Kenntnis genommen. Entscheidungen eines Gerichts werden respektiert", so der Sprecher.

Die Beschwerdeführerin hatte sich in ihren Datenschutzrechten verletzt gesehen, da im Zuge der Visitation der Zwischenbericht von den Visitatoren zur Überprüfung der Aussagen an als Zeugen Befragte weitergegeben worden war. Sowohl die Nennung des Namens und der Funktion der Klägerin als auch die Beschreibung und Bewertung ihres Handelns als Vereinsvorsitzende stelle zu schützende personenbezogene Daten dar. Der den Zeugen bekannt gewordene Bericht wurde an Pressevertreter weitergegeben, die damit über die Inhalte des bis heute nicht öffentlich bekannten Dokuments berichten konnten.

Marx für rechtswidriges Handeln der Visitatoren verantwortlich

Das Gericht folgte damit auch in zweiter Instanz der Argumentation der Klägerin. Für die Weitergabe des kompletten Visitationszwischenberichts an Dritte habe es keine Rechtsgrundlage gegeben. Obwohl Kardinal Marx den Bericht der Visitatoren nicht persönlich weitergegeben hatte, ist er für das Handeln der von ihm zur Visitation Beauftragten nach Ansicht des Gerichts datenschutzrechtlich verantwortlich, der Datenschutzverstoß wird daher rechtlich ihm zugeordnet. Eine Verantwortlichkeit der Visitatoren selbst schloss das Gericht aus und wies die Anträge der Klägerin gegen diese zurück. Von der Beschwerdeführerin vorgebrachte kirchenrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der durch den Münchner Erzbischof angeordneten Visitation spielten für die Entscheidung des Gerichts auch mangels Zuständigkeit keine Rolle.

Die kirchlichen Datenschutzgerichte können lediglich Entscheidungen kirchlicher Datenschutzaufsichten und der unteren Gerichtsinstanz aufheben sowie Datenschutzverstöße feststellen. Weitergehende Sanktionsmöglichkeiten wie Bußgelder stehen dem Gericht nicht zur Verfügung. Daher beschränkt sich die Auswirkung der letztinstanzlichen Entscheidung auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit. Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz sieht die Kirchliche Datenschutzgerichtsordnung keine Rechtsmittel vor. Der Beschluss wird mit seiner Mitteilung an die Beteiligten rechtskräftig. Schadensersatz kann auf Grundlage der kirchlichen Entscheidung nur vor staatlichen Gerichten durchgesetzt werden. Mit der Einrichtung des Interdiözesanen Datenschutzgerichts und des Datenschutzgerichts der DBK wurde 2018 erstmals in Deutschland eine spezielle kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit für Datenschutz eingerichtet.

Nach Schilderungen von ehemaligen Mitgliedern über geistliche Manipulationen in einem System psychischer und finanzieller Abhängigkeit ordnete Kardinal Marx 2019 eine Visitation der Katholischen Integrierten Gemeinde im Erzbistum München und Freising an. Auf der Grundlage des Visitationsberichts Ende 2020 löste der Münchener Erzbischof den Verein in seiner Diözese auf. Nach der Auflösung wurden zudem neue Vorwürfe erhoben. 2020 distanzierte sich der emeritierte Papst Benedikt XVI. von der KIG, zu der er jahrzehntelang enge Verbindungen unterhalten hatte. Er sei offensichtlich "über manches im Innenleben" der Gemeinde "nicht informiert oder gar getäuscht" worden, sagte er gegenüber der “Herder Korrespondenz”. Mittlerweile ist die Gemeinschaft in fast allen deutschen Diözesen, in denen sie aktiv war, kirchenrechtlich abgewickelt. Zuletzt löste der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst die Organisation in seiner Diözese auf, für den letzten verbliebenen Verein im Erzbistum Paderborn führt die Bistumsleitung Gespräche mit Vertretern der KIG mit dem Ziel einer Auflösung. Zu Beginn der in dieser Woche tagenden Vollversammlung der DBK forderten Betroffene der KIG eine überdiözesane Aufarbeitungs- und Wahrheitskommission. Das Anliegen sei aber nicht auf der Vollversammlung besprochen worden, teilte DBK-Sprecher Matthias Kopp bei einer Pressekonferenz am Mittwoch mit. (fxn)

Ergänzung, 3. März 2023, 9.15 Uhr: Stellungnahme des Erzbistums ergänzt. (2. Absatz neu)