Kohlgraf: Mainzer Bischöfen war Kirche wichtiger als Betroffene
Nach der Veröffentlichung des Mainzer Missbrauchsgutachtens hat Bischof Peter Kohlgraf zu einem umfassenden Blick auf das Wirken der ehemaligen Mainzer Bischöfe Karl Lehmann, Hermann Volk und Albert Stohr aufgerufen. "Um der Wahrheit für die Betroffenen willen darf es keine unantastbaren Denkmäler mehr geben", sagte er in einer ersten Reaktion auf die am Freitagvormittag vorgestellte Missbrauchsstudie für seine Diözese. Das gelte für Kardinäle und Bischöfe, aber auch für Denkmäler anderer Ebenen. "Ihnen war der Schutz von Tätern und Kirche wichtiger als die Not von Betroffenen."
"Ein ganzes System hat versagt", führte Kohlgraf weiter aus. "Nicht nur die Leitungsebene ist ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden - auch andere Ebenen haben versagt." Das müsse man sich noch genau anschauen. "Menschen wollten nicht hinschauen, in Familien wollte man nicht glauben oder nicht reagieren, Gemeinden haben relativiert." Als Gründe dafür nennt er ein überhöhtes Priesterbild. "So hat man sich gegenseitig geschützt, wie in einer geschlossenen Gesellschaft."
"Wir reden über ein Verbrechen"
Er lerne zu verstehen, welches Unheil Missbrauch in das Leben von Menschen, Familien, Gruppen und Gemeinden gebracht habe, so Kohlgraf weiter. "Wir reden über ein Verbrechen und nicht über einzelne Skandale oder das Versagen einzelner." Menschen, Glaube und Vertrauen seien zerstört worden. "Es geht um Machtverhältnisse, um Verschweigen, um Relativieren, Betroffene haben Druck und Ignoranz erlebt." Es gelte nun, sprachfähig zu werden. "Die Kommunikation mit Gemeinden und anderen Einrichtungen wird immer wichtiger werden."
Er wolle nun mit weiteren Verantwortlichen "alles tun, um Vorsorge zu treffen". In Sachen Transparenz und Intervention wolle man den begonnenen Weg weitergehen. Es sei nun am Bistum, konkrete Maßnahmen dazu zu entwickeln. "Es ist mir als Bischof von Mainz persönlich ein wichtiges Anliegen, meine Verantwortung wahrzunehmen und mit den Menschen im Bistum die künftigen Wege zu gestalten. Der Blick in die Vergangenheit ist wichtig, um die Zukunft gestalten zu können, wir werden uns weiterentwickeln." Dafür sei die Studie ein "Meilenstein auf unserem Weg". Die Studie sei vorwiegend aufgrund von Gesprächen entstanden. "Menschen, die selbst betroffen sind, und Menschen, die etwas wissen und erfahren haben, haben ihre Geschichte erzählt. Dazu gehörte Mut." Das Gutachten sei nicht der Abschluss der Aufarbeitung.
Die Studie "Erfahren, Verstehen, Vorsorgen" der Regensburger Kanzlei des Rechtsanwalts Ulrich Weber hatte im Bistum Mainz zwischen 1945 und 2022 657 Betroffene identifiziert. Bei 401 gehen die Anwälte davon aus, dass die erlittenen Taten hochplausibel sind. Dem gegenüber stehen 392 Beschuldigte, von denen die Schuld von 181 als hoch plausibel angenommen wird. Den Bischöfen Lehmann, Volk und Stohr wirft der Bericht vor, durchweg den Schutz der Institution Kirche über den angemessenen Umgang mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs gestellt zu haben. (cph)