Heiligtumsfahrt-Organisatorin: Die Tradition hat einen Wert an sich
Seit 1349 pilgern Menschen zu den Heiligtümern im Aachener Dom. Eigentlich findet die Heiligtumsfahrt alle sieben Jahre statt, wegen der Corona-Pandemie dauerte es dieses Mal allerdings zwei Jahre länger. Nun stehen im Juni vier Textilreliquien in Aachen im Mittelpunkt: das Kleid Marias, die Windel Jesu, das Enthauptungstuch Johannes des Täufers und das Lendentuch Jesu. Umgeben ist das Ganze von viel Programm – unter Federführung von Nadine Braun. Die 26-jährige Veranstaltungskauffrau arbeitet seit 2016 beim Bistum Aachen. Im Interview spricht sie über Herausforderungen, Hoffnungen und einen besonderen Stoffball.
Frage: Frau Braun, die Aachener Heiligtumsfahrt gibt es seit 1349. Wenn Sie nun die Ausgabe für 2023 organisieren, läuft das dann ab wie immer oder gibt es auch Veränderungen?
Braun: Grundsätzlich bauen wir auf den Planungen der vergangenen Heiligtumsfahrt im Jahr 2014 auf. Damals hatten wir bereits einen Modernisierungssprung gemacht, zum Beispiel mit verschiedenen Veranstaltungen für unterschiedliche Zielgruppen. Das werden wir auch dieses Mal wieder aufgreifen. Was dieses Jahr neu sein wird, ist, dass wir das Kulturprogramm etwas größer aufbereiten wollen. Jeden Abend wird es ein kulturelles Highlight auf der Entdecker-Bühne auf dem Katschhof geben. Da gehen wir etwas mehr in die Breite und hoffen, damit auch ein neues Publikum ansprechen zu können, das sonst mit der Heiligtumsfahrt nicht so viel zu tun hat. Ansonsten gilt es, Bestehendes weiterzuentwickeln. Im Großen und Ganzen soll der kulturelle Aspekt gestärkt werden.
Frage: Wie wollen Sie neue Zielgruppen anziehen?
Braun: Es gibt einen gesamten Tag für die Jugend, wo sich alles auf sie ausrichtet. Ansonsten unterscheidet sich das Kulturprogramm je nach Tageszeit, abends haben wir zum Beispiel auch Orchester auf der Bühne. So wollen wir etwas Attraktives schaffen, das nicht nur direkt mit Gottesdiensten oder den Heiligtümern verbunden ist. So steht unsere Fahrradwallfahrt in Kooperation mit dem Aachener Fahrradsommer. Des Weiteren richten sich Tage an Vorschulkinder, Grundschulkinder, weiterführende Schulen, aber auch für Familien wird es besondere Angebote und Gottesdienstes geben und vieles mehr.
Frage: Wegen der Corona-Pandemie hat sich die Heiligtumsfahrt zwei Jahre verschoben, eigentlich wäre der Turnus 2021 gewesen. Haben Sie für 2023 etwas umgeplant?
Braun: Wir hatten für 2021 bereits umgeplant. Etwa im Sinne von hybriden Veranstaltungen oder besonderen Hygienekonzepten. Mit der Entscheidung, die Heiligtumsfahrt zwei Jahre zu verschieben war die Hoffnung verbunden, dass wir von Corona so weit nicht mehr betroffen sind, dass das Glaubensfest wieder so stattfinden kann, wie wir uns das vorstellen. Deswegen haben wir mit der Verschiebung wieder so geplant und organisiert, dass alles wieder normal möglich ist. Natürlich finden sich die Themen Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg inhaltlich im Programm wider. Nur organisatorisch sind wir wieder beim Status Quo ante.
Frage: Unabhängig von diesen weltpolitischen Entwicklungen geht die Bedeutung der Kirche und das Interesse der Menschen an ihr zurück, sie genießt keinen besonders guten Ruf. Wird sich das auf die Besucherzahlen auswirken?
Braun: Das ist mit die größte Frage, die wir uns stellen. 2014 waren 125.000 Menschen da – die würden wir gern wieder erreichen. Deshalb setzen wir große Hoffnungen in das Kulturprogramm. Ein schönes Angebot mitten in der Innenstadt, wo auch Menschen, denen die Kirche fernsteht gerne hinkommen und Kirche einmal anders und neu erleben. Ob das funktioniert, wissen wir nicht. Aber grundsätzlich sind wir sehr optimistisch, wir bereiten alles so vor, dass es wieder das schöne Gemeinschaftsgefühl wird, auf das wir uns freuen.
Frage: Aber mit einer rein frommen Veranstaltung würden Sie keine 125.000 Menschen nach Aachen locken.
Braun: Die Heiligtumsfahrt hat über die Jahrhunderte Millionen von Menschen nach Aachen gelockt. Und der religiöse und spirituelle Charakter der Wallfahrt ist immer noch der Kern der Heiligtumsfahrt. Trotzdem ist es wichtig, auch Menschen mit neuen Angeboten anzusprechen. Gerade diese Mischung aus nahezu mittelalterlichem Spektakel, wenn man es so nennen möchte, und der Übersetzung in die heutige Zeit mit unterschiedlichen Angeboten von Gebet und Gottesdienst, von Musik bis Ausstellungen macht den besonderen Reiz der Heiligtumsfahrt aus.
Frage: Eine Veranstaltung, bei der 125.000 Besucherinnen und Besucher erwartet werden, ist ja ein Riesending – und bei Ihnen laufen als 26-Jähriger die Fäden zusammen. Was ist für Sie das Spannendste daran?
Braun: Eigentlich die ganzen Kontakte durch die Arbeits- und Projektgruppen, durch unsere Steuerungsgruppe, Dienstleister und im direkten Kontakt mit den Pilgerinnen und Pilger, die sich schon jetzt mit ihren Gruppen anmelden. Ich komme mit so vielen unterschiedlichen Menschen zusammen, das ist schon besonders. Ich kann mir nichts Vergleichbares vorstellen, wo ich mit so vielen Menschen in Kontakt komme, so viele Geschichten höre und ein Teil davon sein darf.
Frage: Und was ist die größte Herausforderung?
Braun: Alles so zusammen zu halten, dass am Ende alles läuft. Dass alles nachher stimmig ist, auf alle berechtigten Interessen Rücksicht genommen und an alles Notwendige gedacht wird. Da ist die Balance die größte Herausforderung.
Frage: Was ist für Sie am Ende der Idealzustand?
Braun: Dass erstmal alles, was wir planen und uns vorstellen, überhaupt genehmigt wird. Dass während der Heiligtumsfahrt zwischen den Behörden und den Verantwortlichen alles im Einklang ist und der Austausch funktioniert. Dass alles reibungslos funktioniert und wir den Pilgerinnen und Pilgern das ermöglichen, was sie sich erhoffen.
Frage: Wie groß ist da das Risiko, etwa mit Blick auf Genehmigungen?
Braun: Wir sind im ständigen Austausch etwa mit dem Ordnungsamt, da versuche ich natürlich alles so anzufragen, dass alles passt. Die Zusammenarbeit und der Austausch läuft sehr vertrauensvoll.
Frage: Steht denn etwas auf der Kippe?
Braun: Nein, es sieht alles sehr gut aus. Wir haben wahrscheinlich den Vorteil, dass wir schon so lange an den Planungen dran sind, dass wir auf potenzielle Einwände direkt hätten Rücksicht nehmen können. Die Stadt hat ja auch ein Interesse daran, dass die Heiligtumsfahrt stattfindet.
Frage: Bleibt bei dem ganzen Organisationsaufwand denn auch für Sie Zeit für etwas Spiritualität bei der Heiligtumsfahrt?
Braun: Das hoffe ich. Ich bin natürlich jederzeit abrufbar während der Tage, aber ich möchte mir auch hier und da die Zeit nehmen, bei einigen Aktionen selbst dabei zu sein und bewusst wahrzunehmen, was bei der Wallfahrt geschieht. Aber ich glaube, das tut man automatisch, wenn man den ganzen Trubel mitbekommt und ich glaube, dass das ganze Ereignis einem viel zurückgibt.
Frage: Es wird Ihre erste Heiligtumsfahrt sein. Für einen jungen Menschen im Jahr 2023 sind diese Heiligtümer nichts Selbstverständliches. Können Sie eine Verbindung zu den Windeln Jesu herstellen?
Braun: Diese Heiligtümer gibt es schon seit Jahrhunderten und sie tragen für viele Menschen eine symbolische Kraft in sich. Da ist es schön, das zu unterstützen und zu ermöglichen. Ganz egal, ob man sie für echt hält oder nicht. Diese lange Tradition seit 1349 hat auch einen Wert an sich. Und wir übersetzen es auch in die Gegenwart: Es gibt zum Beispiel die Kunstaktion "Stoffgeschichten", in der wir die Menschen fragen: Was ist Euch heilig. Es hat doch jeder einen Stoff, ein Kleidungsstück, das ihm besonders wichtig ist und mit dem er eine besondere Geschichte verbindet. Und hier schließt sich der Kreis zu den Heiligtümern, die Stoffreliquien sind. Daraus entsteht ein großer Stoffball, der an den Wallfahrtstagen durch die Innenstadt rollt. So hoffen wir, können die Menschen das Thema Heiligtümer im Hier und Jetzt erfahren.
Frage: Was erhoffen Sie sich persönlich von dieser Heiligtumsfahrt?
Braun: Ich glaube, man geht aus so einer Großveranstaltung mit einem größeren Selbstbewusstsein heraus. Außerdem erhoffe ich mir, dass ich danach endlich mitreden kann, wenn Kollegen von den verschiedenen Heiligtumsfahrten erzählen. Außerdem hoffe ich, dass ich das genauso erleben werde, wie es auf den Fotos immer aussieht. Das gibt mir dann bestimmt viel Input, um mich der nächsten Heiligtumsfahrt 2028 zu widmen.
Frage: Sie haben also die Heiligtumsfahrt 2028 für sich selbst schon im Blick.
Braun: Natürlich. Wie das dann am Ende planerisch aufgebaut wird, weiß ich zwar selbst noch nicht. Aber natürlich denkt man immer nach vorne, vor allem, weil es ja jetzt nur noch fünf Jahre bis zur nächsten sind. Es geht alles immer schneller als man es auf dem Schirm hat.