Vorwürfe gegen Wojtyla: Dziwisz warnt vor "Selbstvernichtung" Polens
Nach Vorwürfen der Missbrauchsvertuschung gegen Papst Johannes Paul II. (1978-2005) ruft dessen langjähriger Privatsekretär Stanislaw Dziwisz zu Treue zu dem 2014 heiliggesprochenen Polen auf. "Es ist eine Zeit der Prüfung, ob wir dem Erbe treu sind, das uns Johannes Paul II. mit seiner Lehre und seinem Dienst, seinem Leiden und seinem Gebet hinterlassen hat", betonte der Krakauer Kardinal in einer am Donnerstagabend vom Erzbistums Krakau veröffentlichten Erklärung. Heute müsse man "Liebe und Dankbarkeit" zum Papst aus Polen bekennen, weil er den Glauben gestärkt und sein Leben restlos Gott und seinem Vaterland gewidmet habe.
"Ich möchte heute mit aller Kraft sagen: Die Zerstörung des kollektiven Gedächtnisses führt zur Selbstvernichtung der Nation, zum Entzug ihrer Identität, die seit Jahrhunderten auf den Werten des Evangeliums beruht", so Dziwisz. Man dürfe nicht schweigen oder gleichgültig zusehen, "wie der Prophet unserer Zeit bespuckt wird". Es schmerze ihn, dass die Erinnerung an alles, was Polen Johannes Paul II. zu verdanken habe, immer mehr mit Füßen getreten und sein Erbe zerstört werde. Mit Blick auf Personen, die Vorwürfe gegen den frühreren Papst erheben, erklärte der Kardinal, wer Fakten unter dem Deckmantel einer Verteidigung von Wehrlosen manipuliere, trage Konflikte in die Gesellschaft und verunsichere viele Menschen.
Anlass von Dziwiszs Aufruf ist eine am Montagabend vom Privatsender TVN24 ausgestrahlte Fernseh-Doku. Darin wurde Johannes Paul II. beschuldigt, er habe als Erzbischof von Krakau vor seiner Papstwahl von Anschuldigungen sexuellen Kindesmissbrauchs gegen drei Geistliche gewusst, habe sie aber trotzdem weiter in Pfarreien arbeiten lassen. Für einen Priester schrieb Johannes Paul II. laut dem TV-Bericht 1972 ein Empfehlungsschreiben an den damaligen Wiener Kardinal Franz König, um ihn in eine österreichische Kirchengemeinde schicken zu können. Über die Vorwürfe gegen den Priester habe er König nicht informiert.
Polens Parlament verteidigt Johannes Paul
Karol Wojtyla, so der bürgerliche Name des späteren Kirchenoberhaupts aus Polen, war von 1964 bis zur Papstwahl Erzbischof von Krakau. 1966 machte er Dziwisz bis zu seinem Tod 2005 zu seinem Privatsekretär. Anschließend leitete der heute 83-jährige Kardinal bis 2016 das Erzbistum Krakau. Am Donnerstagabend hatte auch Polens Parlament versucht, den "guten Namen" Johannes Pauls II. zu verteidigen. Die Abgeordneten nahmen mit 271 gegen 43 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) einen entsprechenden Entschließungsantrag an. Die größte Oppositionsfraktion, die rechtsliberale Bürgerkoalition, boykottierte die Abstimmung.
Die nationalkonservative Regierungspartei PiS legte dem Parlament darauf den Resolutionsentwurf vor. Darin heißt es: "Der Sejm der Republik Polen verurteilt entschieden die mediale schändliche Hetzjagd, die weitgehend auf Materialien des Gewaltapparates der Volksrepublik Polen basiert und gegen den großen polnischen Papst gerichtet ist, den heiligen Johannes Paul II." Es werde versucht, ihn mit Vorwürfen zu kompromittieren, "die selbst die Kommunisten nicht zu nutzen wagten". Damit stellten sich "die Autoren außerhalb des zivilisatorischen Kreises, zu dem Polen seit 1989 gehört". Der frühere Papst wird in dem Text als "Symbol der Wiedererlangung der Unabhängigkeit und der Befreiung Polens aus der russischen Einflusszone" gewürdigt.
Unterdessen beschwerte sich Polens Außenministerium beim US-Botschafter in Warschau, Mark Brzezinski, über den TV-Bericht. TVN24 gehört zum US-Konzern Warner Bros. Discovery. Das Ministerium in Warschau erklärte, die möglichen Folgen des Handelns des Senders seien "mit den Zielen der hybriden Kriegsführung identisch, die darauf abzielen, Spaltungen und Spannungen in der polnischen Gesellschaft zu erzeugen". Zudem ist die Rede von einer "Schwächung der Fähigkeit der Republik Polen zur Abschreckung eines potenziellen Gegners und der Widerstandsfähigkeit gegenüber Bedrohungen". (KNA)