Franziskus verteidigt Umgang von Johannes Paul II. mit Missbrauch
Papst Franziskus hat seinen Vorvorgänger Johannes Paul II. (1978-2005) gegen Vorwürfe wegen dessen Umgang mit Missbrauchsfällen in Schutz genommen. Man müsse die Dinge nach den Maßstäben der jeweiligen Zeit bewerten, sagte er in einem Interview der argentinischen Zeitung "La Nacion" (Onlineausgabe Freitag Ortszeit). "Damals hat man alles vertuscht", so Franziskus. Während die katholische Kirche seit dem Missbrauchsskandal von Boston 2002 das Problem angegangen habe und sehr auf Aufklärung bedacht sei, finde etwa in Familien oder an Schulen immer noch Vertuschung statt.
Zu aktuellen Vorwürfen in Polen, Johannes Paul II. habe in seiner Zeit als Erzbischof von Krakau des Kindesmissbrauchs beschuldigte Priester nach Österreich entsandt, sagte Franziskus: "Ich kenne den Fall nicht, aber es war das Übliche." Allerdings müsse jede Epoche "mit der Hermeneutik der jeweiligen Zeit gedeutet werden".
Stimmrecht für Frauen bei Weltsynode
In dem Interview äußerte sich Franziskus auch zur anstehenden Weltsynode im Vatikan. Auch Frauen erhielten dort Stimmrecht. Jede Person, die an der Synode teilnimmt, werde mit abstimmen, gleich ob männlich oder weiblich, so Franziskus. "Das Wort 'alle' ist für mich der Schlüsselbegriff", fügte er hinzu. Lediglich Gäste und Beobachter seien von den Voten ausgeschlossen, so Franziskus. Wer an dem Treffen im Oktober im Vatikan teilnimmt, steht noch nicht fest. Eine katholische Bischofssynode dient dem Papst als Beratungsorgan. Texte, die sie verabschiedet, sind in der Regel keine rechtsverbindlichen Erlasse.
Gleichzeitig erteilte Franziskus einer "Gender-Ideologie" erneut eine Absage. Zum Reichtum des Menschseins gehörten neben persönlicher, kultureller und gesellschaftlicher Vielfalt auch "Unterschiede und Spannungen zwischen den Unterschieden", an denen man wachsen könne, so der 86-Jährige. Sie müssten nicht eingeebnet werden.
Ein Lehrschreiben zur Geschlechterfrage plane er nicht, betonte Franziskus. Er spreche aber darüber, "weil es etwas naive Leute gibt, die glauben, dass das der Weg des Fortschritts ist". Er selbst trenne stets zwischen Seelsorge mit Personen unterschiedlicher sexueller Orientierung und einer "Gender-Ideologie". Letztere nannte der Papst "eine der gefährlichsten ideologischen Kolonisationen".
Zu seiner persönlichen Situation sagte Franziskus, er habe auch nach zehn Jahren im Amt noch Pläne und Träume. Er wolle "Türen öffnen und Wege gehen." In der Leitungszentrale der Kirche spüre er den "Wind der Reform". Aber es gebe "noch immer viel zu tun", so der Argentinier, der am 13. März 2013 zum Papst gewählt worden war. Starke Kniebeschwerden nährten zuletzt Spekulationen über einen Rücktritt, den Franziskus grundsätzlich nicht ausschließt. Was ihn in der bisherigen Amtszeit froh gemacht habe, sei alles, was mit Vergebung und Verständnis für die Menschen zu tun habe. Er wolle "allen einen Platz in der Kirche geben", sagte Franziskus.
Persönlicher Fehler: Ungeduld
Als persönlichen Fehler nannte er "ein bisschen Ungeduld". "Wenn man die Ruhe verliert, rutscht man aus und macht Fehler", sagte der Papst - dies sei ihm "mehr als einmal" passiert. Die zehn Jahre an der Spitze der Kirche seien "schnell vergangen, wie mein ganzes Leben". Seine eigene Schulzeit komme ihm vor "wie gestern".
Zum Vorhaben der Kurienreform, mit dem er 2013 vor dem Hintergrund von Misswirtschaft und Netzwerken im Vatikan angetreten war, sagte Franziskus, er habe Veränderungen "in Gang gesetzt". Dabei erinnerte er an den im Januar verstorbenen Kardinal George Pell, der das Finanzwesen aufräumte.
Zur Frage nach internen Gegnern sagte Franziskus, Widerstand werde es "immer und überall geben - gegen jeden Fortschritt, jede Veränderung". Auch Jesus habe Widerstand erlebt. "Denn er hatte diese Botschaft: Hier muss man keiner politischen oder kirchlichen Partei angehören", so der Papst. (gho/KNA)