Von Upcycling bis Grabbeigabe: Was mit altem Kircheninventar passiert
Maria mit dem Kind steht neben der Figur des erwachsenen Jesus vor dem Regal, es gibt Kirchenbänke unterschiedlicher Stilformen, eine Kanzel steht auf dem Boden, daneben lehnt der abgenommene Baldachin, es gibt Regale voller Kerzenständer und anderer Gegenstände: Wenn Kirchen aufgegeben werden, dann wird auch jede Menge Inventar frei, das nach neuer Verwendung sucht. Manches landet in Depots. Oft aber finden Kirchenbänke, -fenster, Tabernakel und Co einen neuen Einsatzort.
Wenn sich die Frage stellt, wohin mit all den Einrichtungsgegenständen, sind die Kunstabteilungen der jeweiligen Bistümer gefragt. Und die haben je nach Standort ganz unterschiedliche Ausgangslagen. Während in Bistümern wie Essen, Osnabrück oder Münster seit der Jahrtausendwende schon eine zwei- oder gar dreistellige Zahl an Kirchen profaniert oder abgerissen wurde, sieht die Situation in Bayern ganz anders aus: "Wir sind hier sozusagen noch im Land der Glückseligen", sagt Martina Außermeier von der Hauptabteilung Kunst in der Erzdiözese München und Freising. In ihrem Bistum wurden bisher fast ausschließlich sogenannte Notkirchen geschlossen – ohnehin provisorische Bauten aus der Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Frage nach einer Weiterverwertung stellt sich also in deutlich geringerem Ausmaße als andernorts – und ist auch nicht so emotional belastet. "Hier geht es oft um Gegenstände, die seit Jahren vergessen irgendwo auf einem Kirchenspeicher lagerten – da sind die betroffenen Gemeinden in der Regel froh, sie loszuwerden", so Außermeier.
Der Geschmack ändert sich über die Zeit
Überhaupt sind schlichte und schnörkellose Gegenstände der 1960er und 1970er Jahre direkt nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil heute nicht mehr so gefragt. "Der Geschmack hat sich seit dieser Zeit doch gewandelt. Und das gilt auch für manche Gegenstände aus dem 19. Jahrhundert, die damals in großen Mengen sozusagen in Serienfertigung produziert wurden." Bei der Aufgabe von Kirchen mit Inventar, das von Gemeinden noch bis zum Schluss bei Gottesdiensten genutzt wurde, fällt den Gläubigen der Abschied etwa von Orgel oder Tabernakel dagegen oft ebenso schwer wie der vom Kirchengebäude selbst.
Überall in Deutschland versuchen Bistümer, nicht mehr benötigtes Inventar sinnvoll weiterzuvermitteln, so dass es weiter in Gebrauch bleibt. Sowohl aus Gründen der Würde als auch der Nachhaltigkeit ist dies oberstes Ziel. Manch liebgewonnener sakraler Gegenstand – zum Beispiel die Heiligenfigur des Patrons oder der Patronin – kommt in anderen Gebäuden der gleichen Pfarrei unter. Auch andere Pfarreien können Interesse anmelden oder es besteht Kontakt zu interessierten Stellen anderer Diözesen. Bisweilen kommen Anfragen von privaten Kirchenbesitzern: "Gerade erst haben wir eine neu gebaute Privatkapelle im neugotischen Stil mehr oder weniger komplett mit gebrauchten liturgischen Gegenständen und Kircheninventar versorgen können", sagt Außermeier nicht ohne Stolz.
Auch im Ausland gibt es Bedarf, vor allem in Afrika oder Osteuropa. "In Polen oder Tschechien entstehen immer wieder neue Kirchen, oft in Eigenregie. Kircheninventar ist teuer und dann sind die Menschen froh, wenn sie aus Deutschland etwas bekommen", erklärt Michael Reuter, bis zu seinem Ruhestand vor einigen Wochen Leiter der Gruppe Kunstpflege im Bistum Münster. Vom Erzbistum München wurde kürzlich ein Kirchenneubau in Ghana mit einer Grundausstattung liturgischer Gegenstände versorgt. Und es gibt auch schon Überlegungen, bei einem künftigen Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg Inventar zu liefern. Aus der Diözese Fulda ging gerade Inventar aus vier ehemaligen Kirchen nach Lettland. Ums Geldverdienen geht es dabei in der Regel nicht, das Inventar wird unentgeltlich weitergegeben – das gebietet schon der Respekt vor den liturgischen Gegenständen, heißt es.
Eine gewisse Zurückhaltung herrscht, wenn Privatleute ausrangiertes Kircheninventar nicht für einen sakralen Raum, sondern in ihrer Wohnung, im Haus oder Garten benutzen wollen. Solche Anfragen sind bisher zwar eher selten, berichtet Jennifer Reffelmann, Referentin für Liturgie und kirchliche Kunst im Bistum Essen. Dennoch wird hier besonders sorgfältig geprüft. "Es sind klassischerweise Kirchenbänke, die an Gemeindemitglieder gehen, die eng mit dem aufgegebenen Kirchengebäude verbunden sind. Die stellen sie als Erinnerung zu Hause oder im Garten auf". Gegenstände aus dem engeren liturgischen Kontext kommen da weniger infrage. Denn was passiert, wenn die Person stirbt, die eine starke Verbindung zur aufgegebenen Kirche hatte? Michael Reuter hat da so seine Erfahrungen. "Ich kann mich erinnern, dass bei Ebay mal ein mobiler Altar zur Versteigerung stand. Das war höchst absurd. Was, wenn der als Tisch in einer Kneipe landet?"
„Ich kann mich erinnern, dass bei Ebay mal ein mobiler Altar zur Versteigerung stand. Das war höchst absurd. Was, wenn der als Tisch in einer Kneipe landet?“
Auch wenn alles versucht wird, dass Kircheninventar weiter in Verwendung bleibt: nicht immer gelingt das. Manche profanierten Gegenstände müssen entsorgt werden, weil sich partout keine neue Verwendung finden will. Und das ist ein sensibles Thema. "Einfach einen Müllcontainer auf den Hof der Gemeinde zu stellen und dann Tücher, Bücher oder Figuren darin verschwinden zu lassen, geht natürlich gar nicht", verdeutlicht Jennifer Reffelmann. Es gibt würdevollere Möglichkeiten: Gegenstände aus Holz gehen im Osterfeuer auf. Einzelnes eignet sich auch als Grabbeigabe: "Das können etwa kleinere Figuren oder Kerzenständer sein oder ein Messlektionar bei einem verstorbenen Lektoren oder einer Lektorin." Generell sollten Gemeinden oder Pfarreien aber möglichst nichts eigenständig entsorgen, sondern die Kunstabteilungen der jeweiligen Bistümer einbinden – schließlich kann sich auch in einem jahrzehntelang nicht getragenen Messgewand eine wertvolle Stickerei, unter einem schwarz angelaufenen Kerzenständer echtes Silber verbergen.
Upcycling als Trend
Auch dem Thema Upcycling sind die kirchlichen Kunstexperten nicht abgeneigt – schon aus Gründen der Nachhaltigkeit. Aus entweihten Altären aus Stein sind beispielsweise schon Grabsteine oder Stelen entstanden. Als die Gemeinde Papst Johannes im Bistum Münster eine Kirche aufgeben musste, wurde der dortige Altar geschreddert und daraus ein neuer Altar samt Ambo gegossen; im Bistum Essen wurde aus einem ehemaligen Taufbecken eine besonderer Springbrunnen, der jetzt auf einem neu gestalteten Friedhofsfeld steht. "Das ist ein sehr schönes Symbol. Ein Springbrunnen mit seinem sprudelnden Wasser steht für das Leben. Auch ein Bezug zur Taufe weiterhin besteht", findet Jennifer Reffelmann. Auch ihr Fachkollege Michael Reuter sieht in solchen Upcycling-Methoden einen würdevollen Umgang für ausrangiertes Kircheninventar. Im größeren Maße sind sie für ihn allerdings nicht realistisch. Denn solche Arbeiten sind zeitaufwändig und damit auch teuer: "Finanziell lohnt sich das leider nicht. Da ist ein industriell hergestellter Grabstein einfach viel günstiger."
Angesichts vieler ähnlicher Fragestellungen haben sich die Bistümer bei der Weitervermittlung von Kircheninventar vernetzt. Der bundesweite "Arbeitskreis für die Inventarisation und Pflege des Kirchlichen Kunstgutes" arbeitet unter Federführung des Erzbistums Köln an einer gemeinsamen Datenbank, über die Kircheninventar gebündelt angeboten und nachgefragt werden kann. Und ist diese erstmal online, finden vielleicht auch die bisher unvermittelten Skulpturen und Gegenstände eine neue Heimat.