Die Zisterzienser – Helfer bei der Urbarmachung Europas
Die Szene ist legendär: Gemeinsam mit 30 Gefährten und Verwandten klopft im Frühling 1113 ein junger Mann an die Pforte des Klosters von Citeaux. Dort herrscht gerade Krisenstimmung. Die radikale Reform des Benediktinertums, die der asketische Abt Robert von Molesme 1098 mit seiner Neugründung Citeaux anstrebte, war an einem toten Punkt angelangt. Zu hart schien das entsagungsvolle Leben, das die Mönche sich hier abverlangten; zu gering die Zahl derer, die sich ein solches Leben antun wollten. Und jetzt 30 auf einen Schlag, darunter dieser so wild entschlossene Charismatiker: Bernhard von Fontaines, 23-jähriger Burgunder aus einem Rittergeschlecht.
Der Gründungsabt, Robert von Molesme, war damals schon zwei Jahre gestorben. Ihm war sein ganzes langes Leben immer wieder passiert, was nun bald auch in Citeaux geschehen sollte: Robert wollte zu den Wurzeln des Benediktinertums zurück und wieder in radikaler Armut beten und arbeiten. Deshalb verließ er seine bisherige Gemeinschaft und gründete in Molesme im Norden Burgunds ein neues Kloster. Das erhielt dann aber so viel Zuspruch, Zulauf und Spenden, dass Abt Robert wieder auszog und in der feuchten Einöde von Citeaux (altfrz. "cistels" = Röhricht) neuerlich eine Gemeinschaft gründete. Es war ein Montag, der 21. März 1098.
Die Geschichte einer erstaunlich gespaltenen Persönlichkeit
Sein Nachfolger, der charismatische Bernhard von Fontaines, Anführer der Neuankömmlinge, war ein Macher; er wurde zu einer Art zweitem Gründer von Citeaux. Der leibfeindliche Asket war ein brillanter Redner, Prediger und Menschenfischer, dem begeisterte junge Männer folgten. Und als Citeaux nach nur zwei Jahren aus allen Nähten platzte, zog Bernhard weiter bis in ein helles Tal (lat. "clara vallis"), wo er im Juni 1115 mit zwölf Gefährten eintraf. Das Kloster "Clairvaux" wurde die erste Tochtergründung von Citeaux – und Bernhard, das Alphatier, wurde dort der Gründungsabt.
Aus dem Abt von Clairvaux wurde ein Berater von Päpsten und Königen: Bernhard, der Kreuzzugsprediger, Bernhard, das Gewissen eines ganzen Zeitalters, das später sogar als das "bernhardinische" bezeichnet wurde. Seine Lebensgeschichte ist dem ersten Anschein nach die Geschichte einer erstaunlich gespaltenen Persönlichkeit. Fast allgegenwärtig, oftmals allzu leidenschaftlich war er in die Geschäfte der Welt verwickelt, ja er gestaltete die entscheidenden Felder der Kirchenpolitik und Theologie seiner Zeit entscheidend mit: Papstschisma und Kreuzzug, Armutsbewegung und den Umgang mit Häresien, Mystik und Scholastik.
Gleichzeitig blieb sein Ideal das der Zisterzienser: eine totale Zurückgezogenheit aus den weltlichen Angelegenheiten, aus der er durch eigene Umtriebigkeit und auf Bitten anderer immer wieder herausgerissen wurde. Bernhard selbst hat diesen Widerspruch schmerzlich empfunden. Er war auch ein ungnädiger Eiferer, der mit seinen Gegnern alles andere als zimperlich umsprang. Schließlich sah er seine Sache stets als die Sache Gottes an. Ein Asket bis zum Äußersten, dem sein Wahn zum Verzicht schon bald dauerhaft die Gesundheit ruinierte.
Ein weiterer Widerspruch, der Bernhard ebenso erfreut wie nachdenklich gemacht haben dürfte, war der zwischen einem radikalen Armutsideal und dem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg seines Ordens. "Was immer man euch anbieten mag", lehrte er, "weist es zurück, wenn es nicht mit eurem Heil verbunden ist." Und doch war es gerade seine eigene moralische Autorität, die den Zisterziensern geistliche Berufungen und vom Adel geschenkte Ländereien nur so zufliegen ließ.
Ein Welt-Erfolg
Und so nahm auch hier, ebenso wie bei den von Bernhard so scharf kritisierten Reformbenediktinern von Cluny, bald die Last weltlichen Besitzes zu. Die Zisterzienser waren einfach zu gut in ihrem Metier, als dass sie mit ihren Produktionsstätten nicht bald eine übermächtige Konkurrenz zu den einfachen Bauern ihrer Region werden mussten. Bei Bernhards Tod 1153 gab es schon 350 Abteien, von denen 164 in ganz Europa mehr oder weniger direkt oder mittelbar Bernhards Leitung unterstanden. Hätte der heilige Benedikt von Nursia, hätten Robert von Molesme oder Bernhard von Clairvaux einen solchen Welt-Erfolg gewollt? Wohl nicht – doch der Geist weht nun mal, wo er will.
Wer im Übrigen heute nach Citeaux fährt, um den Genius loci des Zisterziensertums zu suchen, der bekommt, ob er will oder nicht, dann doch eine ordentliche Portion der bescheidenen Anfänge mit. Fast die komplette Klosteranlage der Mutterabtei wurde im Zuge der Französischen Revolution abgeräumt; nur ein paar Wirtschaftsgebäude tragen noch einen Hauch einstiger Größe herüber. Die Betonkirche aus den 1980er Jahren wirkt von außen regelrecht abschreckend. Und doch singt dort an einem Sonntagnachmittag im März, auch nach 925 Jahren, wie selbstverständlich ein Dutzend Zisterziensermönche das benediktinische Stundengebet.